Jüdische Geschichte:
Der Bar Kokhba-Aufstand neu überdacht

Schäfer, Peter (Hrsg.): The Bar Kokhba War reconsidered. New perspectives on the second Jewish revolt against Rome (= Texte und Studien zum antiken Judentum 100). Tübingen 2003...

Julia Wilker

Die Rezension wurde veröffentlicht bei H-Soz-u-Kult, 02.02.2004, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-060


Der Bar Kokhba-Aufstand, die zweite jüdische Rebellion gegen die römische Herrschaft in Palästina, ist allein aufgrund der disparaten Quellenlage nie so ausführlich wie der erste Jüdische Krieg von 66 bis 70/73 n.Chr. erforscht und diskutiert worden. Ziel des anzuzeigenden Sammelbandes "The Bar Kokhba War Reconsidered", herausgegeben von Peter Schäfer, ist es nun, die neueren Ergebnisse und Diskussionen zu diesem zweiten jüdischen Aufstand zusammenzufassen.[1] Der Band geht auf eine an der Universität Princeton gehaltene Konferenz vom November 2001 zurück und vereint Beiträge führender Wissenschaftler zum Thema.

Der Sammelband beginnt mit einem Beitrag von Peter Schäfer (Bar Kokhba and the Rabbis, S. 1-22), in dem der Autor eine Einordnung Bar Kokhbas und seiner Ideologie in das geistige Umfeld seiner Zeit unternimmt. Im Gegensatz zu vielen anderen Forschern grenzt Schäfer Bar Kokhba jedoch stark von der rabbinischen Bewegung des 2. Jahrhunderts ab und kann überzeugend die sehr viel stärkeren ideologischen Verbindungen zu früheren Traditionen der Makkabäer und den Zeloten der Zeit vor 70 n.Chr. sowie zu Denkmustern der Gemeinde von Qumran aufzeigen.

Die folgenden fünf Beiträge befassen sich mit dem vieldiskutierten Problem der Gründe und Anlässe des Ausbruchs des Aufstandes. Martin Goodman (Trajan and the Origins of the Bar Kokhba War, S. 23-29) bezieht hier die Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Krieges ein und sieht eine Kontinuität anti-jüdischer Politik von Vespasian bis hin zu Hadrian, die allein durch Nerva kurzzeitig unterbrochen worden sei. Die Gründung von Aelia Capitolina an der Stelle Jerusalems durch Hadrian sei keineswegs eine Kehrtwende oder einfache Reaktion auf den Aufstand, sondern die Konsequenz einer Strategie gewesen, den Juden die Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels unmöglich zu machen. Auch Yoram Tsafrir beschäftigt sich mit der Gründung der römischen Kolonie Aelia Capitolina (Numismatics and the Foundation of Aelia Capitolina, S. 31-36) und geht hier vor allem chronologischen Fragen nach. Er beweist schlüssig, dass die häufig angebrachten numismatischen Funde, die eine Gründung der Kolonie noch vor bzw. während des Aufstandes beweisen sollen, keineswegs eindeutig in ihrer Aussage sind. Eine definitive Entscheidung dieser für die Gründe des Aufstandes so wichtigen Datierungsfrage ist damit auf der Basis der vorliegenden Quellenlage nicht möglich.

Benjamin Isaac (Roman Religious Policy and the Bar Kokhba War, S. 37-54) untersucht das vor allem von der Historia Augusta (v. Hadr. 14,2) genannte Beschneidungsverbot als möglichen Grund für den Aufstand, kommt jedoch nach einer Behandlung der römischen Rechtspraxis und des Umgangs mit fremden Religionen und Sitten zu dem Schluss, das Verbot habe sich lediglich auf Konvertiten bezogen. Da den Juden daher weiterhin die Beschneidung ihrer Söhne gestattet gewesen sei, könne ein solches Verbot als Auslöser für den Aufstand ausgeschlossen werden. Auch Aharon Oppenheimer (The Ban on Circumcision as a Cause of the Revolt, S. 55-69) lehnt das Beschneidungsverbot als Grund für den Aufstand ab, begründet diese These jedoch hauptsächlich mit der Datierung. Insbesondere durch eine genaue Analyse der relevanten talmudischen Quellen kommt er zu dem Schluss, das Beschneidungsverbot sei Teil der Repressionsmaßnahmen gegen die Juden nach dem Krieg gewesen; als Grund für den Aufstand käme daher nur, wie von Cassius Dio (69,12) genannt, die Gründung von Aelia Capitolina an der Stelle Jerusalems in Betracht. Der anschließende Beitrag "Negotiating Difference: Genital Mutilation in Roman Slave Law and the History of the Bar Kokhba Revolt" (S. 71-91) von Ra'anan Abusch untersucht schließlich das Beschneidungsverbot im Rahmen des römischen Sklavenrechts. Die hadrianische Gesetzgebung gehöre, wie bereits frühere Kastrationsverbote, in den Kontext des rechtlichen Schutzes von Sklaven und sei nicht als Verbot der jüdischen Beschneidung an sich zu verstehen.

Der Aufsatz von Hanan Eshel (The Dates Used during the Bar Kokhba Revolt, S. 93-105) eröffnet dann eine Reihe von Beiträgen, die sich mit dem Aufstand selbst und seinem Verlauf beschäftigen. Im Gegensatz zum ersten jüdischen Aufstand ist das während des Bar Kokhba-Krieges von den Rebellen benutzte Datierungssystem unbekannt. Aufgrund einer relativen Chronologie der vorhandenen datierten Dokumente kommt Eshel zu dem Schluss, die Zeitrechnung Bar Kokhbas setze entweder im Sommer 132 mit dessen Machtübernahme oder am 1. Tishri (September / Oktober) desselben Jahres an. Menahem Mor untersucht schließlich die territoriale
Ausdehnung und damit auch das Ausmaß der Revolte (The Geographical Scope of the Bar-Kokhba Revolt, S. 107-131): Weder könne die Verleihung der ornamenta triumphalia an die Statthalter von Syria und Arabia als Beweis für ein Übergreifen des Aufstandes auf diese Provinzen gewertet werden, noch sei die relative Dauer des Krieges ein Zeichen für seine große geografische Ausdehnung.

Es folgt ein Beitrag von Hannah M. Cotton zu den Papyri aus der Judäischen Wüste, die mit zu den bedeutendsten Quellen für den zweiten Aufstand gehören (The Bar Kokhba Revolt and the Documents from the Judaean Desert, S. 133-152). Zu den wichtigsten Ergebnissen zählt hier eine Umdatierung der vieldiskutierten Papyri Murabba'at 29 und 30 in die Zeit des ersten Aufstandes, die damit nicht mehr als Beweis für eine Besetzung Jerusalems durch die Rebellen dienen können. Das ebenfalls häufig diskutierte Papyrus Yadin 52 schließlich beweist offensichtlich eine nabatäische Beteiligung am Bar Kokhba-Aufstand. Cotton erwägt hier die Möglichkeit nabatäischer Söldner auf seiten Bar Kokhbas, favorisiert jedoch eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen Juden und Nabatäern, die sich gemeinsam von der hadrianischen Hellenisierungspolitik bedroht gesehen hätten.

Werner Eck untersucht erneut die epigrafischen Quellen zum Bar Kokhba-Aufstand (Hadrian, the Bar Kokhba Revolt, and the Epigraphic Transmission, S. 153-170). Er beginnt mit einer Verteidigung seiner bekannten Interpretation der Inschrift des hadrianischen Triumphbogens von Tel Shalem, für die er eine Nennung von Hadrians zweiter Imperatorenakklamation rekonstruiert.[2] Dies würde den Bogen auf die Zeit nach dem Aufstand datieren und seine Errichtung in unmittelbaren Zusammenhang mit der Niederschlagung der Revolte setzen. Andere Inschriftenfragmente bringen Eck zu der These, es habe während des Krieges eventuell entscheidende Seeschlachten auf dem Toten Meer oder gar dem Mittelmeer gegeben. Abschließend widmet Eck sich der Verleihung
der ornamenta triumphalia an die Statthalter von Arabia, Syria und Judaea und bringt sie mit der Errichtung des Bogens von Tel Shalem in Zusammenhang. Auch Glen Bowersock beschäftigt sich mit der Inschrift des Tel Shalem-Bogens (The Tel Shalem Arch and P. Nahal Hever/Seyal 8, S. 171-180), weist aber die Rekonstruktion von Eck zurück. Der Bogen sei vielmehr anlässlich des Besuches Hadrians in der Provinz 130 n.Chr. und damit vor dem Aufstand errichtet worden. Im zweiten Teil seines Aufsatzes untersucht Bowersock schließlich erneut die nabatäische Beteiligung an der Rebellion und kommt aufgrund des epigrafischen Befundes zusammen mit dem schon von Hannah Cotton behandelten Papyrus zu dem Schluss, der Aufstand habe geografisch auch weite Gebiete im nördlichen Transjordanien erfasst.

Die folgenden zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem archäologischen Thema der so genannten Underground Hideouts. Amos Kloner und Boaz Zissu (Hiding Complexes in Judaea, S. 181-216) fassen hier den Kenntnisstand für Judaea zusammen, wobei sie den Befund nach zwölf verschiedenen Typen klassifizieren. Die verschiedenen Anlagen spielten eine entscheidende Rolle für die jüdische Kriegstaktik und legen eine Ausbreitung des Aufstandes über ganz Judaea nahe. Für Galiläa untersucht Yuval Shahar (The Underground Hideouts in Galilee and their Historical Meanings, S. 217-240) den archäologischen Befund und kann typologische Ähnlichkeiten zu Judaea feststellen. Dagegen gibt es keinerlei Hinweis auf eine Nutzung der Verstecke während des Bar Kokhba-Aufstandes, so dass Shahar annimmt, sie seien in dessen Vorbereitungsphase eingerichtet, aufgrund der lokalen Fokussierung der Kämpfe auf Judaea aber niemals benutzt worden.

Yaron Z. Eliav bearbeitet das Stadtbild der römischen Neugründung Aelia Capitolina (The Urban Layout of Aelia Capitolina: A New View from the Perspective of the Temple Mount, S. 241-277). Nach dem neuen Plan von Eliav setzte sich die römische Kolonie klar von dem alten Jerusalem ab, der Tempelberg wurde bewusst außerhalb der Stadtgrenzen belassen. Im letzten Beitrag des Bandes beschäftigt sich Yael Zerubavel schließlich mit der Rezeption des Bar Kokhba-Aufstandes im modernen Israel (Bar Kokhba's Image in Modern Israeli Culture, S. 279-297) und zeichnet den Weg von der zionistisch motivierten Heroisierung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die auf breitestes Interesse stoßenden archäologischen Funde der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts bis zur folgenden kritischeren Geschichtsschreibung nach.

Der vorliegende Sammelband zeigt das breite Spektrum der Fortschritte, Kontroversen und weiterhin offenen Fragen zum Bar Kokhba-Aufstand, ohne einen Konsens der Forschung formulieren zu wollen oder zu können. Trotz der anhaltenden Diskussionen scheint sich jedoch - wie auch Peter Schäfer in seinem Vorwort feststellt (S. XX) - nach den minimalisierenden Tendenzen vor allem der 80er-Jahre eine neue allgemeine Sichtweise durchzusetzen, die den zweiten jüdischen Aufstand wieder als größeres und gewichtigeres Ereignis interpretiert. Unabhängig davon, ob man den einzelnen Interpretationen folgen mag, bietet der anzuzeigende Band ein ausgezeichnetes Bild des aktuellen Forschungsstandes und füllt damit eine seit langem bestehende Lücke.


Anmerkungen:
[1] Vgl. zuvor bes. Oppenheimer, Aharon (Hg.), The Bar Kokhva Revolt, Jerusalem 1980 (hebr.); Schäfer, Peter, Der Bar Kokhba-Aufstand, Tübingen 1981; Oppenheimer, Aharon; Rappaport, Uriel (Hgg.), The Bar Kokhva Revolt. A New Approach, Jerusalem 1984 (hebr.); Mildenberg, Leo, The Coinage of the Bar Kokhba War, Aarau 1984.
[2] Eck, Werner; Foerster, Gideon, Ein Triumphbogen für Hadrian im Tal von Beth Shean bei Tel Shalem, Journal of Roman Archaeology 12 (1999), S. 294-313.

Schäfer, Peter (Hrsg.): The Bar Kokhba War reconsidered. New perspectives on the second Jewish revolt against Rome (= Texte und Studien zum antiken Judentum 100). Tübingen Mohr Siebeck 2003

ISBN 3-16-148076-7; XX, 313 S.; EUR: 99,00

 

gs / tacheles-reden.de / 2004-03-01