Antisemitismus 2003:
Umfragen und Studien

Im Jahr 2003 gab es mehreren Studien und Umfragen, die sich mit dem Themenkomplex Antisemitismus in Deutschland beschäftigten. Die verschiedenen Studien kommen zu teilweise unterschiedlichen Ergebnissen...

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Wolfgang Benz vom ZfA (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) erläuterte ein generelles Problem solcher Studien in der Berliner Morgenpost:

"(...) Aus der Erfahrung mit anderen Umfragen weiss ich, dass es nicht viele Möglichkeiten gibt, Antisemitismus in der Bevölkerung wissenschaftlich zu messen. Denn man kann die Menschen schlecht fragen: Sind Sie Antisemit? Dann hätte das Antwortergebnis ´Nein` wahrscheinlich zwischen 95 und 99 Prozent erreicht. Warum? Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass manche nicht wissen, was dieser Begriff konkret meint, beziehungsweise, wie er als Begriff belegt ist. Also sagen dann viele erst einmal instinktiv nein, um nichts Falsches zu sagen. Dann gibt es eine Gruppe, die wirklich nein meint, wenn sie nein sagt. Auf die Schliche kommen wollen die Demoskopen aber denen, die antisemitische Tendenzen aufweisen, aber von einem klarem Bekenntnis Abstand nehmen würden, weil sie sonst Nachteile für sich befürchten. Diese Gruppe steckt natürlich auch in der 85 Prozent Ist-mir-egal-Antwort (...)" (10.11.2003)

Eine Umfrage von Forsa / Stern und eine Studie von Wilhelm Heitmeyer (Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld) sahen z.B. einen Anstieg antisemitischer Einstellungsmuster, während Wolfgang Benz eine Abnahme antisemitischer Vorurteile v.a. unter jungen Menschen beobachtete. Das FOKUS Institut stellt fest, dass vor allem Männer zwischen 21 und 30 Jahren in Sachen Vorurteile gegen Juden relevant seien. Wolfgang Benz vom ZfA hingegen ist anhand seiner Untersuchungen (Emnid / ZfA) erfreut über den "guten Wert" der unter 30-Jährigen. Er sieht die Zahlen als Indikator für seine These, dass der Antisemitismus über die Generationen hinweg betrachtet spürbar nachlässt.

Die Ergebnisse im Vergleich

Laut FOKUS Institut liegt die negative Wahrnehmung von JüdInnen in der deutschen Bevölkerung zwischen 15 Prozent bis 17 Prozent. Zum Thema Antisemitismus in Deutschland direkt befragt, gab jedoch nur ein Prozent der Befragten an, dass die Deutschen den Juden negativ eingestellt sind (Emnid /ZfA). Indes meinten immerhin zwölf Prozent, dass eine "große Zahl" der Deutschen Juden ablehnt. 23 Prozent lassen sich dem Lager der Deutschen mit latent bis starken antisemitischen Einstellungen zuordnen (Forsa / Stern). Mehr als 23 Prozent der Bevölkerung sehen außerdem "zu viel Einfluss" von Juden in Deutschland (Heitmeyer). Doch bekommt die Vertretung der Juden in Deutschland bei der Frage nach verschiedenen Gruppen mit zu hohem gesellschaftlichen Einfluss mit 20 Prozent insgesamt den letzten Platz (Emnid / ZfA). 39 Prozent sehen "die unterstellten Bereicherungen einzelner Juden bei den Wiedergutmachungsleistungen" als Gründe für antisemitische Ressentiments an (Emnid / ZfA). Fast 55 Prozent der Bevölkerung unterstellen, dass Juden aus der Vergangenheit Vorteile ziehen wollen (Heitmeyer). 61 Prozent meinen, dass 58 Jahre nach Kriegsende ein Schlussstrich unter das Thema Holocaust gezogen werden sollte (Forsa / Stern). Fast 70 Prozent ärgern sich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden (Heitmeyer).

Als Ursachen für diese Forschungsergebnisse werden verschiedene Aspekte aufgeworfen. Allgemeine Zukunftsangst und die Sorge um die Eskalation gesellschaftlicher Konflikte werden z.B. vom FOKUS Institut genannt. Laut Heitmeyer sind auch die Ängste vor Anerkennungsverlusten relevant. Je negativer diese individuellen Anerkennungsbilanzen ausfallen, desto weniger sind Menschen bereit, ihrerseits die Gleichwertigkeit und Unversehrtheit von anderen, also der angeblich schwächeren Gruppen, anzuerkennen. Heitmeyer spricht von einer "unterwanderten Mitte", die keine mehr ist. Der Entschuldungsdiskurs hätte in allen politischen Schattierungen der deutschen Gesellschaft Fuß gefasst und könnte die potenzielle Basis eines neuen, "unverkrampften" Antisemitismus bilden, weil man die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich wähnt. Die Ergebnisse wiesen also darauf hin, dass sich Normalitätsvorstellungen in der "Mitte" verschoben hätten. Wolfgang Benz vom ZfA betont, dass die genaue Analyse seiner Daten noch erfolgen muss, weist aber darauf hin, dass jeder vierte Deutsche an konfuse Weltverschwörungstheorien glaubt, die die Juden mal als Wegbereiter des Kapitalismus, mal als Wegbereiter des Kommunismus sehen. Er appelliert an die Bundesregierung und die politischen Parteien, alle Anstrengungen zu fördern, damit solche Irrwege wie sie die Verschwörungsfantasien darstellen, als Welterklärungen verschwinden.

FOKUS Institut "Hassgruppen in der deutschen Gesellschaft"

Im Januar 2003 wurde eine empirische Untersuchung des Hallenser FOKUS Instituts (Institutsleiter Michael Chrapa), unter dem Titel "Hassgruppen in der deutschen Gesellschaft" vorgestellt. Konkretes Ziel der Studie war die Ermittlung der Häufigkeit von Negativurteilen über Personengruppen mit "andersartigen" Merkmalen in der Bundesrepublik und wie dieselben begründet werden. Das Mittel der Erhebung war eine schriftliche Befragung. Insgesamt wurden 1800 beantwortete Fragebögen aus Ost- und Westdeutschland ausgewertet.

In der Studie wurde jedoch nicht nur nach "spürbarer Abneigung" gegenüber verschiedenen Personengruppen gefragt, sondern auch nach der persönlichen Wahrnehmung und Gewichtung gesamtgesellschaftlicher Konflikte und nach Meinungen zur Gesellschaft und zu Sinn oder Unsinn politischer Aktivität.

Die Ergebnisse belegen eine wilde und äußerst krude Mischung von Ablehnungsgruppen. Unangefochten auf Platz Eins der Hitliste der mit Ablehnung bedachten Personen stehen Menschen "mit rechtsradikalem Outfit". In Ost und West stehen sie mit einer Nennung bei mehr als 80 Prozent der Befragten. Auf Rang Zwei folgen "Drogenabhängige" mit 70 Prozent. Menschen jüdischer Herkunft wurden in dieser Erhebung von 15 Prozent (Ost) bzw. 17 Prozent (West) als negativ wahrgenommen. Institutleiter Chrapa machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die Vorurteile gegen Juden nicht vorrangig von älteren Menschen, sondern besonders häufig von Männern zwischen 21 und 30 Jahren geäußert wurden. Die Studie sieht keinen direkten Zusammenhang zwischen Ablehnung des Fremden und Anderen und der konkreten Angst um den Arbeitsplatz. Nur wenige zogen ihre Einschätzungen aus eigenen negativen Erlebnissen. Eine wesentliche Ursache für die Zunahme irrationaler Ängste und Abwehrmechanismen sieht Institutleiter Chrapa gleichwohl in der ebenfalls in der Studie zutage getretenen allgemeinen Zukunftsangst, der Sorge um die Eskalation gesellschaftlicher Konflikte.

Wilhelm Heitmeyer - Gesellschaftliche Situation und feindselige Mentalitäten in Deutschland

Im Dezember 2003 wurde eine Studie des Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld (Wissenschaftliche Leitung Wilhelm Heitmeyer) vorgestellt. Die empirischen Daten erhob das Meinungsforschungsinstitut Infratest (München) im Juni und Juli 2003. Befragt wurden 3000 Bürger ab 16 Jahren. Die Ergebnisse der Untersuchung im Jahr 2003 zeigen gegenüber 2002 insgesamt einen leichten Anstieg von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie.

Mehr als 23 Prozent der Befragten sehen laut dieser Studie "zu viel Einfluss" von Juden in Deutschland. Fast 18 Prozent weisen den Juden eine Mitschuld an ihren Verfolgungen zu. Fast 55 Prozent unterstellen, dass Juden aus der Vergangenheit Vorteile ziehen wollen. Insgesamt finden sich im Jahre 2003 25 Prozent in der Bevölkerung, die für eine mentale Kombination von Law-and-Order-Aggression gegen Außenseiter, für Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus stehen. Dies ist gegenüber 2002 eine Zunahme von etwa 5 Prozent. Mehr als zwei Drittel dieser Personen ordnen sich selbst in der "Mitte" des politischen Spektrums ein, also im Milieu der neuen Selbstverständlichkeiten. Dazu zählt Heitmeyer auch den mentalen Hintergrund der aktuellen Antisemitismusdebatte des Jahres 2003 und der Forderung nach "endgültiger" Entschuldung. Fast 70 Prozent der Bevölkerung ärgern sich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden. Auch hier dominiert die politische "Mitte": Ihr fühlen sich 60 Prozent zugehörig, davon sind 70 Prozent verärgert. Diejenigen, die sich in dieser Mitte eher links einordnen, umfassen 25 Prozent, von diesen sind fast 60 Prozent verärgert. Die "Entschuldung" ist somit nicht mehr nur ein Topos der extremen Rechten. Sie wird zum Thema der "unterwanderten Mitte", die keine mehr ist. Der Entschuldungsdiskurs hat in allen politischen Schattierungen der deutschen Gesellschaft Fuß gefasst und kann die potenzielle Basis eines neuen, "unverkrampften" Antisemitismus bilden, weil man die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich wähnt. Die Ergebnisse weisen also darauf hin, dass sich Normalitätsvorstellungen in der "Mitte" verschoben haben.

Forsa / Stern – Umfrage zu Antisemitismus in Deutschland

Laut einer Umfrage des Forsa-Institutes vom 14./15. November 2003 für die Zeitung Stern lassen sich 23 Prozent von 1.301 Befragten dem Lager der Deutschen mit latenten bis starken antisemitischen Einstellungen zuordnen. Das waren drei Prozent mehr als 1998 und entspricht jedem fünften Deutschen. Unter den 14- bis 24-Jährigen sind es 13 Prozent (1998: 10), unter den 65-Jährigen und Älteren sind es 40 Prozent (1998: 38).

Eine Frage in dieser Untersuchung lautete: "In Deutschland leben etwa 82 Millionen Menschen. Wie viele davon sind Ihrer Ansicht nach jüdische Mitbürger?" Die Zahl der rund 100.000 Juden in Deutschland wurde deutlich überschätzt. Über 1 Million bis 5 Millionen "jüdische Mitbürger" schätzten 26 Prozent der Befragten. Mehr als 5 Millionen vermuteten gar 31 Prozent.

Eine andere Fragestellung war: "Wie haben sich die Einstellungen zu den Juden in den letzten Jahren verändert?". 1998 war der Anteil derer, die eine positive Entwicklung bei den Einstellungen zu Juden zu sehen glaubten, mit 49 Prozent deutlich größer als 2003 mit 36 Prozent. Eine negative Einstellung sahen 2003 30 Prozent (1998: 15 Prozent). Auch die Anzahl derer, die eine Mitschuld der Juden an ihrer Verfolgung in Vergangenheit sahen, stieg von 14 auf 19 Prozent an. Immerhin 61 Prozent der Befragten meinten, dass 58 Jahre nach Kriegsende ein Schlussstrich unter das Thema Holocaust gezogen werden sollte. 1998 vertraten dies noch 63 Prozent. Die Prozentzahl der Menschen, die der Äußerung "Viele Juden versuchen aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ihren Vorteil zu ziehen und die Deutschen dafür zahlen zu lassen" zustimmten, lag 2003 bei 36 Prozent (1998: 41). Der Aussage "Juden fühlen sich in erster Linie mit Israel verbunden. Sie interessieren sich nur am Rande für die Angelegenheiten des Landes, in dem sie leben" stimmten 35 Prozent zu (1998: 25). "Macht und Einfluss der Juden in der Geschäftswelt steht in keinem Verhältnis zum Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung" befanden 33 Prozent (1998: 36). 28 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu "Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss" (1998: 21). Die Überzeugung "Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihrer Verfolgung nicht ganz unschuldig" vertraten 2003 immerhin 19 Prozent (1998: 17). Konstante 18 Prozent glauben noch immer "Man kann Juden an ihrem Aussehen erkennen".

Um ein Prozent gesunken ist von 1998 (18 Prozent) bis 2003 (17 Prozent) der Anteil jener, die zugeben "Juden haben etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen deshalb nicht zu uns". Ein Prozent mehr (9 Prozent) als 1998 (8 Prozent) glaubt 2003 "Die Juden haben deswegen so viele Schwierigkeiten, weil Gott sie dafür bestraft, dass sie Jesus Christus gekreuzigt haben".

Berliner Morgenpost / Emnid / ZfA - "Wie antisemitisch sind die Deutschen eingestellt?"

Im November 2003 führte die Berliner Morgenpost in Kooperation mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin TU Berlin und dem Meinungsforschungsinstitut TNS-Emnid eine Umfrage zum Thema "Wie antisemitisch sind die Deutschen eingestellt?" mit 1006 Befragten durch. Auf die Frage: "Wie beurteilen Sie die allgemeine Einstellung der Bundesbürger gegenüber den Juden? Sind die meisten, eine große Zahl, eine geringe Zahl, oder ist kaum jemand gegen die Juden?" beurteilten 79 Prozent positiv, wie die deutsche Gesellschaft gegenüber jüdischen Bürgern eingestellt ist. Nur ein Prozent gab an, dass die Deutschen den Juden negativ eingestellt sind. Indes meinen zwölf Prozent, dass eine "große Zahl" der Deutschen Juden ablehnt. Im Einzelnen zeigen sich hohe Daten innerhalb der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen (84 Prozent). Die Angaben der 14- bis 29-Jährigen (79 Prozent) liegen im Bundesdurchschnitt; die der Altersgruppe der 50-Jährigen und Älteren sind niedriger (74 Prozent).

Auf die Frage "Glauben Sie, die folgenden Gruppen haben zu viel Einfluss in unserer Gesellschaft, zu wenig Einfluss oder ist der Einfluss gerade richtig?" wird der größte Einfluss in der Gesellschaft den Großunternehmen (60 Prozent) und den Medien (60 Prozent) zugesprochen. Es folgen auf Platz drei die Amerikaner (53 Prozent) und dann die Banken (51 Prozent). Den Gewerkschaften misst gerade einmal jeder dritte Deutsche (35 Prozent) einen wichtigen Stellenwert zu. Die Kirchen liegen mit 21 Prozent auf dem vorletzten, die Vertretung der Juden in Deutschland mit 20 Prozent auf dem letzten Platz. Bei den 14- bis 29-Jährigen sehen nur sechs Prozent den Einfluss der Vertretung der Juden in Deutschland als zu groß an, bei den 30- bis 49-Jährigen sind es 18 Prozent und bei den 50- Jährigen und Älteren 28 Prozent.

Auf die Frage "Was würden Sie empfinden, wenn Sie einen Bürger jüdischen Glaubens als Nachbarn hätten? Möchten Sie einen Bürger jüdischen Glaubens als Nachbarn, ist Ihnen das egal oder wollen Sie ihn lieber nicht als Nachbarn haben?" antwortete mit "Ist mir egal" eine Mehrheit von 85 Prozent der Deutschen. Lieber keinen jüdischen Nachbarn haben zu wollen, dafür sprachen sich zwei Prozent der Deutschen aus und explizit für einen jüdischen Nachbarn 13 Prozent.

Auf die Frage "Es gibt bei uns ja auch kritische Meinungen über Juden. Woran nehmen diese wohl Anstoß?" sah die Mehrheit der Deutschen (65 Prozent) in der "Politik Israels in den besetzten Gebieten" den Grund dafür, warum Deutsche an jüdischen Bürgern Anstoß nehmen. Jeder Zweite (52 Prozent) nannte "die Wiedergutmachungsleistungen Deutschlands insgesamt" und 39 Prozent "die unterstellten Bereicherungen einzelner Juden bei den Wiedergutmachungsleistungen" als Gründe für Ressentiments. Im unteren Drittel rangierten "die wirtschaftliche Macht" (32 Prozent), der "gesellschaftliche Einfluss" (32 Prozent) als Kritik. Den "jüdischen Glauben" betrachteten 19 Prozent als Grund für eine Ablehnung und sieben Prozent machten keine Angaben zu einem der aufgelisteten Antwortfelder.

Eine weitere Frage lautete: "Bitte sagen Sie, ob Sie folgende Aussage stark befürworten, eher befürworten, eher ablehnen oder stark ablehnen: Heute ebenso wie in der Vergangenheit üben die Juden zu viel Einfluss auf die Weltgeschehnisse aus." Dass Juden weltweit zuviel Einfluss haben, meinten 25 Prozent der Deutschen, 67 glauben das nicht, neun Prozent machen dazu keine Angaben. Das größte Vertrauen genießen die jüdischen Bürger innerhalb der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen. In dieser Gruppe vertritt mit 82 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt der Befragten die Meinung, dass Juden keinen umfassenden globalen Einfluss auf die Geschicke der Welt ausüben. Doch dieses Zutrauen schwindet, umso älter die Deutschen sind.

Umfrage der EU-Ratspräsidenten - "Irak und der Weltfrieden"

"Wir sind nicht nur traurig, sondern entsetzt." Mit dieser Erklärung reagierte die israelische EU-Mission in Brüssel auf eine Anfang November 2003 veröffentlichte Eurobarometer-Studie vom Oktober des Jahres und kritisierte dabei auch eine "einseitige und emotionale Berichterstattung" über Israel in den Medien. Die Eurobarometer-Umfrage der EU berichtete, dass die Europäer Israel an die Spitze aller Staaten stellte, von denen "Bedrohung des Weltfriedens" ausgehe. Von 7.515 EU-Bürgern, die für die Eurobarometer-Studie befragt wurden, gaben 59 Prozent an, Israel sei eine Bedrohung für den Weltfrieden. In Deutschland waren es sogar 65 Prozent. Selbst Staaten wie Nordkorea oder der Iran schienen den Befragten weniger gefährlich zu sein. Auf Kritik aus Israel hin wurden offen "methodologische Fehler" in der Fragestellung der Umfrage zugegeben. Gar nicht erst zur Auswahl stand die palästinensische Autonomiebehörde. "Weil die ja kein Staat ist", so die EU-Reaktion.

MEDIEN TENOR Forschungsbericht Nr. 139 – Dezember 2003

Der Medien Tenor Forschungsbericht  Nr. 139 des Forschungsinstitut der INNOVATIO Verlags AG beschäftigte sich auch mit Antisemitismus in den Medien. Die Medienanalyse der Berichte über Antisemitismus, Israel und Glaubensgemeinschaften kommt zu dem Schluss: "Der Anti-Semitismus-Debatte fehlt die Substanz". Im Zeitraum vom 01.11.1998  bis zum 19.10.2003 wurden 47.098 Beiträge über Israel in TV-Medien, 328 Beiträge über Antisemitismus in 19 Medien; 4.048 Passagen über Religionsgemeinschaften in 19 Medien; alle Aussagen über die NS-Vergangenheit von ausgewählten Unternehmen in 27 Medien untersucht.

Das Ergebnis: "Nach zehn Jahren der kontinuierlichen Medienanalyse fällt es dem Beobachter angesichts der aktuellen Debatte über die Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann schwer, den Redaktionen (...) etwas anderes als Sensationsgier und Instrumentalisierung zu attestieren, wenn sie sich mit der Frage des zukunftsträchtigen Umganges eines Teils der deutschen Geschichte, mit Glaubengemeinschaften im allgemeinen sowie der jüdischen Gemeinde und Israel im besonderen auseinandersetzen. Sowohl bei der Entscheidung, welchen Themen deutsche Journalisten überhaupt Nachrichten-Wert zubilligen als auch bei den Gewichtungen, scheinen Klischees eine größere Rolle zu spielen als der journalistische Trieb nach Recherche, Nachricht und qualifizierter Einordnung."

Eine Grafik zeigt, das die meisten Journalisten dem Thema nur im November 2003 – zur Zeit der Debatten um die Aussagen des CDU-Abgeordneten Hohmann – eine massive Aufmerksamkeit widmeten (über 80 Prozent), während die Berichterstattung in den Monaten zuvor um die 10 Prozent lag. Kurzfristige Sensationsberichte führten demnach nicht zu einem Mehr an Informationen, sondern höchstens zu einer Übersättigung.  Eine andere Grafik verdeutlicht die Konsequenzen: Im Saldo wird die jüdische Glaubensgemeinschaft noch negativer dargestellt als die beiden christlichen Hauptkirchen. Der Anteil der negativen Berichterstattung ist höher als der Anteil positiver Berichterstattung.

Eine weitere Grafik verdeutlicht, wie gering das Interesse in den Medien an der wirklichen Aufklärung ist. Im Jahr 2003 war die inhaltliche Struktur der Berichterstattung über die jüdische Gemeinde von Themen wie Prozesse, kriminelle Handlungen gegen die Gemeinde und Rauschgiftkriminalität geprägt.

In einer Grafik zum Israel Bild im TV wird dargestellt, dass Berichte über israelische Militäraktion klar überwogen, wenn 2003 über die Handlungen von israelischen Institutionen oder Personen berichtet wurde. Auch Berichte über innenpolitische Ereignisse, Parteien oder Staatsbesuche kamen kaum ohne den schon obligatorischen Blick auf den Nahost-Konflikt aus.

Generell ist eine starke Häufung an Studien, die sich mit dem Themenkomplex Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung beschäftigen, für das Jahr 2003 festzustellen. Trotz aller methodologischen wie inhaltlichen Unterschiede der verschiedenen Erhebungen, die hier dokumentiert wurden, zeigen sie jedoch, dass das Problem Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft virulent und keineswegs zu unterschätzen ist.

Quellen:

Junge Welt, 10. Januar 2003, "Irrationale Abwehrreflexe. Neue Studie: Vorbehalte gegenüber Minderheiten weit verbreitet. Wenig Logik bei Begründungen" von Jana Frielinghaus

DIE ZEIT, 12. Dezember 2003, "Feindselige Normalität. In Deutschland breitet sich die Bereitschaft aus, Mitmenschen zu verachten – wenn sie anders sind" von Wilhelm Heitmeyer

Berliner Morgenpost, 10. November 2003, "Wie antisemitisch sind die Deutschen eingestellt?", Texte und Interview mit Wolfgang Benz: Frank Diering

Die Tageszeitung, 20. November 2003, LATENT ANTISEMITISCH. Jeder fünfte Deutsche

Berliner Morgenpost, 5. November 2003, "Scharon beklagt europäischen Antisemitismus Empörung in Israel über eine umstrittene Umfrage der EU – Ratspräsident Berlusconi: ‚Keine offiziellen Standpunkte’" von Norbert Jessen

MEDIEN TENOR Forschungsbericht Nr. 139 – Dezember 2003

W. Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 2. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 2003


http://www.medien-tenor.de/Beitrag/MT139/39_7879.pdf 

http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/artikel.php?id=10&kat=10&artikelid=821

http://www.nahost-politik.de/europa/eurobarometer.htm#2.2

gs / tacheles-reden.de / 2004-01-26