PINECHAS:
Der Glaubenseifer in Torah und
Talmud, in Halacha und Agada
[Hebr.:
4. BM Num
beMidbar 25,10-30,1]
Siehe
auch:
Toleranz nicht Dogmatismus
Der nach
Pinechas, dem Eiferer benannte Wochenabschnitt greift das Phänomen
des Glaubenseifers auf. Die Stellungnahme zu diesem Problem ist
heute eine äusserst aktuelle Frage geworden. Es ist deshalb von
grosser Wichtigkeit, festzustellen, welchen Platz der fanatische
Eifer in Bibel und Talmud einnimmt und was unsere Dezisoren dazu zu
sagen haben.
Dem einfachen
Sinn des Textes nach zu urteilen, ist die Stellung der Bibel eine
absolut positive, denn es heisst: "Pinechas, Sohn Elasars, Sohnes
Aharons des Priesters, hat meinen Grimm abgewendet von den Kindern
Israel, indem er an meiner Statt eiferte unter ihnen, dass
ich nicht aufrieb die Kinder Israel in meinem Eifer. Drum sprich:
Ich gebe ihm meinen Bund des Friedens. Es sei ihm und seinen
Nachkommen nach ihm der Bund des ewigen Priestertums; dafür dass
er geeifert hat für seinen G"tt und gesühnt hat die
Kinder Israel" (Kap. 25, 10-13).
Dieser klaren
und eindeutigen Einschätzung gegenüber stehen erstaunliche
Aussprüche im Talmud. Im Jeruschalmi — Sanhedrin Kap. 9,
Halacha 7 finden wir zwei Aussprüche, die für unser Thema wichtig
sind:
-
"Pinechas
handelte nicht im Sinne unserer Weisen".
-
Rabbi Bar
Pasi sagte: "Man wollte ihn schon aus der Gemeinde ausstossen,
als der Heilige schützend eingriff und erklärte: Es sei ihm und
seinen Nachkommen nach ihm der Bund des ewigen Priestertums."
Auch im Bawli
(babylonischer Talmud, Sanhedrin 82a) wird die Frage aufgeworfen, ob
Pinechas recht gehandelt habe oder nicht. Drei verschiedene
Ansichten sind hier vertreten, und alle stützen sich auf denselben
Vers: "Als Pinechas, Sohn Elasars, Sohn Aharons des Priesters,
das sah, da stand er auf aus der Mitte der Gemeinde und nahm
eine Lanze in seine Hand" (Kap. 25, 7). Die Talmudlehrer, deren
Ansichten an dieser Stelle zum Ausdruck kommen, versuchen die Frage
zu beantworten, warum Pinechas es wagte, ohne die Erlaubnis unseres
Lehrers Mosche zu handeln.
Raw sagte: Er
sah die Tat und gedachte der Halacha und sprach zu Mosche: ich
habe von dir die Überlieferung, dass denjenigen, der einer Kutäerin
beiwohnt, die Eiferer töten; da sagte er zu ihm: der den
Brief zu lesen versteht, sei auch sein Überbringer... (du musst die
Halacha in die Tat umsetzen), sofort nahm er einen Speer in seine
Hand. Dieser Auffassung nach hatte Pinechas mit der Zustimmung
Mosches und auf seinen Befehl gehandelt.
Im Gegensatz
dazu meinen die anderen Amoraim*, dass
Pinechas seine Tat nur aus eigenem Antrieb vollbracht hat. Schemuel
sagte: "Keine Klugheit und keine Einsicht und keine Ueberlegung gilt
wider den Herrn" (Sprüche 21, 30), d.h., wenn es um die Entweihung
des g"ttlichen Namens geht, erweist man dem Weisen keine Ehre. Dazu
bemerkt Raschi: "Deshalb erlaubte sich Pinechas, eine halachische
Entscheidung in Gegenwart seines Lehrers zu treffen (und
dementsprechend zu handeln). Er vergeudete nicht die Zeit, um Mosche
um Erlaubnis zu bitten, damit die anwesenden Zuschauer aus seinem
Zögern nicht die falsche Folgerung ziehen sollten, dass es erlaubt
sein könnte, einer Aramit beizuschlafen.
Der dritte
Amora, Rabbi Jizchak sagt: "Pinechas sah, dass ein Engel des
Verderbens sich näherte und anfing, das Volk zu schlagen — "da stand
er auf aus der Mitte der Gemeinde."
In der
halachischen Entscheidung des Maimonides finden wir eine
Zusammenfassung der Ansichten seiner Vorgänger. Er schreibt:
"Wer einer
heidnischen Frau, sei es im Ehezustand oder sei es als
Prostituierte, beiwohnt, und der Akt geschieht in der Öffentlichkeit
— d.h. vor mindestens zehn oder mehr israelitischen Augenzeugen —
und dabei von Eiferern erschlagen wird, so sind die Eiferer wegen
ihres schnellen Entschlusses sehr zu loben. Das ist eine
Halacha, die auf Mosche und die Offenbarung am Sinai zurückzuführen
ist. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass Pinechas den Simri
erschlug.
Aber der Eiferer darf den Sünder
nur bei frischer Tat totschlagen, jedoch nach Vollendung des
frevelhaften Aktes darf man ihn nicht töten... und wenn der Eiferer
ihn trotzdem erschlägt, ist er selbst todesschuldig. Wenn der
Eiferer sich erst mit der Bitte um Erlaubnis, den Sünder zu töten,
an den Gerichtshof wendet, bekommt er keinerlei Anweisung, obgleich
der Akt selbst noch nicht vollendet ist. Überdies, wenn der Sünder
den Eiferer aus Notwehr erschlägt, ist der Täter nicht
todesschuldig" (Gesetze über verbotene geschlechtliche Beziehungen
(Issurej Biah), Kap. 12,4-5).
Im
Religionsgesetz ist also eine eindeutige Tendenz zu erkennen, den
Begriff "Eiferer dürfen ihn töten" einzuschränken.
In der
Midrasch-Literatur
werden sehr unterschiedliche und oft sogar gegensätzliche Meinungen
über den Eifer im allgemeinen und über Pinechas im besonderen
geäußert. In der Bibel wird auch der Prophet Elijahu als grosser
Eiferer geschildert. Der Midrasch gibt einen Dialog zwischen dem
Ewigen und Elijahu wieder, in dem eine sehr negative Beurteilung des
Eifers zum Ausdruck kommt. In der Bibel heisst es: "Da erging an ihn
das Wort G"ttes, der ihn fragte:
Was hast du
hier, Elija? Er antwortete: Geeifert habe ich für den Herrn, den
G"tt Zwaot, denn die Kinder Israel haben deinen Bund verlassen,
deine Altäre haben sie niedergerissen..." (1 Könige 19, 9-10).
Nun kommt aber der Midrasch und bringt in diesen Dialog Worte
scharfer g"ttlicher Kritik hinein. Die Frage des Ewigen: "Was hast
du hier, Elijah?" versteht der Midrasch als eine Rüge: "Auf die
Frage des Herrn hätte Ehijahu sagen müssen: Herr der Welt, Deine
Söhne sind es, die Söhne der durch Dich geprüften Erzväter Awraham,
Jizhak und J'akow, die Deinen Willen auf Deiner Welt getan haben" —
aber er — Ehijahu — hat das nicht gesagt." (Seder Elijahu Sutta —
Kap. 8; Jalkut, Könige §217).
Zu einer ganz
anderen Einschätzung der Eiferer Pinchas und Ehijahu und des Eifers
überhaupt gelangen wir, wenn wir ein literarisches Phänomen im
Midrasch in Betracht ziehen, das Prof. J. Heinemann mit
"Verdichtung" bezeichnet hat. In seinem hebräisch geschriebenen Werk
"Mittel und Wege der Agada" führt Heinemann aus: Die Erscheinung der
"Verdichtung" findet sich in der ganzen antiken Literatur, d.h. die
Konzentration der Handlung auf ein begrenztes Gebiet, was Ort, Zeit
und die Anzahl der handelnden Charaktere betrifft.
... Die genaue
Ausführung dieses Verfahrens finden Sie auf den Seiten 320ff "Bina
baMikra von Rabbiner B.S. Jacobson (Israel 1987, deutsch bei
Morascha). Er weist auf die Stelle im Talmud Sanhedrin 82b hin,
welche Pinhas als "Eiferer, Sohn des Eiferers" bezeichnet. Raschi
erklärt hierzu: "Er war aus Levi und eiferte schon im Falle seiner
Schwester Dinah, deren Ehre er mit Blut rächte (Bereschith 34/31).
Hier findet sich auch eine Weiterführung der bereits erwähnten
Identifikation mit Elijahu haNawi...
Auch Targum
Jonathan identifiziert Pinhas mehrfach mit Elijahu, z.B. in der
Übersetzung des Verses: "Ich gebe ihm meinen Bund des Friedens"
(Kap. 25, 12). Die aramäische Wiedergabe des Verses ist zugleich
eine Interpretation: "Ich schliesse mit ihm einen Friedensbund und
mache ihn zu einem beständigen Boten, der ewig leben wird, um die
Erlösung am Ende der Tage anzukündigen."
Die Tatsache,
dass dem Eifer, der im Totschlag seinen Ausdruck
findet, grade der Segen des Friedens gegeben wird, ist
äusserst erstaunlich, und einige Kommentatoren haben sich mit diesem
Thema beschäftigt.
Rabbi N.Z.J.
Berlin (als der Naziv bekannt) schreibt in seinem Werk "Haamek
Dawar" über den psychologischen Hintergrund des Eifers: Sogar
derjenige, der in seinem Eifer nach den erhabensten Idealen strebt,
wird letzten Endes von unvermeidlichen Handlungen wie Totschlag so
weitgehend beeinflusst, dass er im Aufruhr seines Gemütes sein
seelisches Gleichgewicht verliert. Nicht das allein, dass der
grenzenlose, ungezügelte Eifer die Gesellschaft gefährdet, sondern
der Eiferer selbst ist der Gefahr ausgesetzt, von der Glut seines
Fanatismus angesteckt zu werden und selber zu Schaden zu kommen.
Der Naziv führt
aus: "Als Belohnung dafür, dass Pinechas den Zorn des Ewigen und
Seinen Grimm beschwichtigt hatte, segnete ihn der Herr mit
dem Segen des Friedens, dass er in Zukunft nicht zu streng
und überempfindlich sein möge, weil es in der Natur seiner Tat — des
Totschlags mit eigener Hand — lag, im Herzen auch später einen
Restbestand von Grausamkeit wirksam zu lassen. Weil aber Pinechas
alles zu Ehren G"ttes getan hatte, bekam er den Segen des Friedens,
dass er stets seine Gemütsruhe und seine seelische Ausgeglichenheit
bewahren möge, und dass der Fanatismus ihm keinen Schaden zufügen
solle."
Aufgrund dieser
psychologischen Erkenntnis, dass Frieden und Fanatismus eigentlich
Gegensätze sind, und dass nur ein besonderer Mensch, dessen Herz
vollständig rein ist, dazu fähig ist, einen Ausgleich zu finden,
gelang es dem Verfasser, auch ein anderes schwieriges Kapitel in der
Tora zu erklären.
Es handelt sich
um das Gebot, die "verderbte (oder verstossene) Stadt" zu vernichten
(Deut. 13, 13-19), und in diesem Fall um das Verhältnis zwischen
Fanatismus und Barmherzigkeit. Der Befehl lautet, die Bewohner der
Stadt zu töten und die Beute in Feuer zu verbrennen. Aber am Ende
des Absatzes wird Israel, wenn es das schwere Gebot erfüllt hat,
wieder gesegnet: Auf dass der Herr "dir Erbarmen gönne und
sich dein erbarme und dich mehre, wie Er deinen Vätern geschworen
hat" (13,18).
In "Haamek
Dawar" wird folgendes ausgeführt: "Die Bestrafung der "verderbten
Stadt" kann böse Folgen für Israel haben, denn wer einen Menschen
absichtlich erschlägt, wird grausam; umsomehr besteht die Gefahr,
dass das ganze Volk grausam bleibt, wenn es die Bewohner einer
ganzen Stadt hinrichten muss. Deshalb verspricht die Schrift: Wenn
du die Bestrafung der Stadt in allen Einzelheiten ausführst, ohne
etwas von der Beute zu geniessen, wird "der Herr von Seiner Zornglut
zurückkehren und dir Erbarmen gönnen", d.h. das Volk wird trotz der
Vernichtung einer Stadt die Eigenschaften des Mitleids und der
Barmherzigkeit nicht verlieren."
*
Amoraim: Sprecher, Interpreten — Lehrer, deren Diskussionen die
beiden Talmude füllen. Quelle:
Bina baMikra von Rabb. Bernhard Salomon Jacobson (Israel 1987, deutsch bei
Morascha).
Toralernen anhand der 52 Sidrot.
Anhand von zentralen Themen des Judentums wird ein Querschnitt durch
jüdisches Lernen vom Talmud über Raschi und Maimonides bis zu Buber und
Leibowitz gegeben, 400 Seiten.
Siehe auch:
Toleranz nicht Dogmatismus

haGalil onLine
27-08-2000 |