hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
Zalman Shoval
Musik und Politik im Heiligen Land


Der kurze Beitrag zu einem Buch, das Niels Hansen gewidmet ist, vermag nicht alle Themen einzubeziehen, die sich mit seiner Person verbinden. Da ist Hansen der versierte Diplomat, da ist der Musiker, der umfassend gebildete Kulturmittler, der warme persönliche Freund. Und für uns Israelis und auch für viele Deutsche ist er der Vertreter seines Landes, der einen beträchtlichen Beitrag zum Wiederaufbau der Beziehungen zwischen Deutschen und Juden geleistet hat -nicht durch Verdrängen und Beschönigen der Vergangenheit, sondern durch sein Wirken für eine bessere Zukunft, auf die wir hoffen. Ich will über die Musik in Israel schreiben, obwohl ich nicht mit der gleichen Autorität wie Hansen sprechen kann, denn während er ein ausgezeichneter Flötist ist, bin ich nur ein enthusiastischer Hörer von CDs... Über die Musik hinaus möchte ich aber auch auf bestimmte Fragen eingehen, die diese sowohl wie Diplomatie und Politik berühren - gehören doch Musik und Diplomatie zu Hansens und zu meinen großen Lieben (wobei noch auszumachen wäre, ob die Diplomatie unsere Hauptberufung ist und die Musik nur ein Hobby, oder vielmehr umgekehrt...).
Ich bin, glaube ich, ein mehr oder weniger regelmäßiger Konzertgänger, seit meiner Schulzeit, als ich die von der Philharmonie besonders veranstalteten Jugendkonzerte besuchte. Übrigens hieß es damals noch Palästina-Orchester -noch bevor die Araber sich plötzlich dazu entschlossen, im nachhinein zu „Palästinensern" zu werden. Man vergißt heute manchmal, daß in jener Zeit allein die Juden als Palästinenser galten, und so gab es die Jewish Agency for Pales-tine, den United Palestine Appeal und eben auch das Palestine Symphony Or-chestra. Später habe ich mir als Soldat, selbst wenn ich mitunter halbtot vor Müdigkeit war, Mühe gegeben, die vom Orchester für die Armee ausgerichteten Sonderkonzerte nie zu versäumen. Als ich einmal dem unlängst verstorbenen Leonard Bernstein im Washingtoner Kennedy Center begegnete, sagte ich zu ihm: „Wissen Sie, Mr. Bernstein, Ihretwegen habe ich mir vor Jahren den Arm gebrochen." Und dann habe ich ihm von meinem doch etwas mißlichen Erlebnis anläßlich seines ersten Auftritts in Israel 1946 erzählt. Da ich mir eine Eintrittskarte damals nicht leisten konnte, stieg ich durch ein Fenster der oberen Etage in das Auditorium ein, wobei ich prompt stürzte und es passierte. Die starken Schmerzen hielten mich jedoch nicht davon ab, das Konzert bis zum Schluß zu hören.
Ich glaube, das Israelische Philharmonische Orchester ist heute eines der am meisten beschäftigten Orchester überhaupt, mit 150 Abonnementskonzerten jährlich in Israel, wozu noch wer weiß wie viele Tourneen durch die ganze Welt kommen. Nicht zu unrecht hat man es des Landes ersten Kulturbotschafter genannt.
Aber nicht nur Botschafter, sondern, wie der israelische Geiger Jitzchak Perl-man einmal bemerkte, auch Kulturanker. So waren in den vergangenen zehn Jahren fast 30% der Musiker dieses Orchesters Neueinwanderer aus der früheren Sowjetunion und aus Amerika. Bekanntlich sind unter den Hunderttausenden von Immigranten aus Osteuropa zahlreiche Musiker, viele von hohem Niveau. So kam es, daß sich nicht nur etliche von ihnen der Philharmonie und sonstigen bereits bestehenden Ensembles angeschlossen haben, sondern daß in den letzten Jahren im ganzen Land auch eine beträchtliche Anzahl von neuen, örtlichen Orchestern aus dem Boden geschossen sind, die zum Teil hervorragende Qualität aufweisen.
Wie man sich vorstellen kann, hatte ich während meiner Dienstjahre in Washington als Botschafter von Israel Gelegenheit, mit den Vertretern von Hunderten, wenn nicht Tausenden von jüdischen und nicht jüdischen Gruppen zusammenzutreffen, die Israel einmal oder sogar mehrfach besucht hatten. Die meisten kamen begeistert von der Reise zurück und waren von dem, was sie gesehen hatten, oft emotional angerührt. Und doch habe ich mich öfter gefragt: Was haben sie denn nun eigentlich zu sehen bekommen? Die meisten hatten das übliche Programm absolviert: Jerusalem, die Golanhöhen, Massada, zuweilen auch Galiläa oder den Negev usw. Doch wie viele hatten tatsächlich Gelegenheit, dem alltäglichen Israel zu begegnen, zu erfahren, wie die Israelis wirklich leben, in den Straßen Tel Avivs zu bummeln, am Nachtleben dort teilzuhaben - und die unerschöpflichen kulturellen Aktivitäten des Landes, besonders Tel Avivs zu genießen? Denn eines der „bestgehüteten Geheimnisse" Israels ist, daß es heute auf der Welt kaum eine andere Stadt vergleichbarer Größenordnung gibt, in der im Lauf des Jahres so viele kulturelle Ereignisse stattfinden wie in Tel Aviv - symphonische Musik, Kammermusik, Neue Israelische Oper, Repertoiretheater, avantgardistische Theater (die man, in Anlehnung an den amerikanischen Begriff der „Off Broadway"-Theater „Off Dizengoff" nennen könnte) und vieles mehr. Doch erhalten, wie erwähnt, nicht viele Israelreisende Gelegenheit, dies alles mitzuerleben. Und wenn man bedenkt, daß die zahlreichen Journalisten, die über Israel berichten, in erster Linie an politischen „News" - vor allem dann, wenn Gewalttätigkeiten im Spiel sind - Interesse haben, dann wird deutlich, daß das Bild Israels im Ausland häufig verzerrt ist. Oft wird behauptet, daß Musik eine universelle Sprache sei. Man fragt sich aber, ob das wirklich zutrifft, wenn man sich darauf besinnt, daß manche Opfer des Holocaust zu den Klängen von Beethoven und Wagner in die Gaskammern geführt wurden. So sollten wir vielleicht bescheidener und realistischer sein und in der Musik einfach eine Sprache all derer sehen, die sie um ihrer selbst willen lieben. Ganz allgemein nicht unbedingt nur als Medium brüderlicher Liebe, sondern auch von Mord und Krieg. Wie dem auch sei: wenn von verschiedenen Kulturen die Rede ist, dann kann auch die Sprache der Musik oft genug anstatt zu einen in ein Babel unterschiedlicher disharmonischer Sprachen entarten. Und jetzt doch zur Politik. Heutzutage kann man natürlich bei keinem mit Israel verbundenen Ereignis, und sei es einem bloß kulturellen, die politischen Ent-
wicklungen des „Friedensprozesses" usw. außer acht lassen. Die öffentliche Meinung in Israel zum Abkommen mit der PLO ist bekanntlich gespalten, nicht nur nach außen, sondern im Inneren jedes einzelnen: Hoffnung und Furcht, Erwartungen und Sorgen halten sich die Waage. Es liegt mir nun daran, einen besonderen Aspekt anzusprechen, der über den Rahmen reiner Politik hinausreicht. Er betrifft das kulturelle Profil des jüdischen Volkes und seines Staats, dessen Charakter und Zukunft. Anders ausgedrückt: Selbst wenn das Abkommen mit Arafat funktionieren sollte, ja möglicherweise gerade dann, falls es unter politischen Gesichtspunkten gut funktioniert, wird Israel um seine Identität kämpfen müssen. Nun liegt Israel geographisch natürlich im Nahen Osten, doch stellt sich die Frage, inwieweit wir ein Teil des Nahen Ostens sind und sein sollten.
Der bekannte liberale jüdische Philosoph und Schriftsteller Dr. Max Nordau (1849-1923), der zusammen mit Herzl die zionistische Bewegung begründete, entgegnete einmal jenen ironisch, die auch damals schon der Assimilierung der Juden Palästinas an die Völker des Ottomanischen Reiches das Wort redeten: „Das haben wir näher, billiger und besser." Und bei anderer Gelegenheit: „Wir gehen nach Palästina, um die Grenzen Europas zum Euphrat zu verschieben." Hierbei übernahm sich Nordau in der Tat etwas, und insoweit sollte Israel keine unrealistischen Erwartungen hegen. Das gilt jedoch nicht für die Aspekte, die den Charakter und die Zukunft des eigenen Volkes angehen. Wir können nicht hoffen, das Wesen und die kulturellen Normen der anderen Völker dieser Region zu ändern, weniger noch als gutmeinende Amerikaner ihre Art von Demokratie und ihre menschenrechtlichen Anliegen den Nationen aufzudrängen vermögen, mit denen sie zu tun haben. Wie auch immer, Israel muß sich zwar bemühen, mit der es umgebenden Welt in Frieden zu leben und zusammenzuarbeiten, doch sollte es nicht danach trachten, Teil von ihr zu werden.
In diesem Zusammenhang wäre natürlich Israels wissenschaftliches Potential hervorzuheben, ebenso wie seine wirtschaftlichen Perspektiven, die politische Kultur des Landes und, nicht minder wichtig, gewiß sein kulturelles Niveau. Man spricht oft vom kulturell mehr oder weniger homogenen Nahen Osten. Das ist in unserer Epoche nicht richtig, wenn Israel auch in der Antike integraler Teil der großen vielfältigen Wiege der Zivilisation gewesen ist, die im östlichen Teil des Mittelmeerraums, in Griechenland, Ägypten, Mesopotamien und Persien entstand. Indessen hat sich das Wesen des nahöstlichen Raums durch die Entstehung und Verbreitung des Islam erheblich gewandelt, vor allem mit der Entartung der ursprünglichen islamischen Werte, die im Verlauf der letzten Jahrhunderte zugenommen hat. Würde die Integrierung in die uns benachbarte kulturelle Umwelt wirklich den Interessen und der Zukunft des jüdischen Staates dienlich sein? Oder sollten wir nicht vielmehr noch stärkere Anstrengungen unternehmen, um als „Licht unter den Völkern" zu wirken, wie es in der Bibel heißt und wie es der Gründer des Staates Israel, David Ben-Gurion, wiederholt hat?
Es gilt, mit anderen Worten, unser Bildungsniveau kontinuierlich zu steigern, nach Höchstleistungen in allen Bereichen zu streben und uns mit Nachdruck darum zu bemühen, ein Leuchtfeuer der Kultur - der westlichen sowohl wie der östlichen - in einer Region zu bleiben, in der der Begriff Wüste nicht nur für die geographische oder geologische Wirklichkeit zutrifft.
Ich bin überzeugt, daß Israel, sollten wir diesen Weg nicht gehen, nicht nur im rein militärischen Sinn nicht überlebensfähig bleiben würde, da es seinen qualitativen Vorsprung dann gegenüber den quantitativ weit überlegenen Nachbarn verlöre. Dieser Weg ist aber nicht nur aus militärischen und wirtschaftlichen Erwägungen geboten, sondern auch deshalb, weil Israel ein Land ist, das die westliche Welt als sich zugehörig betrachtet und das, noch weitaus wichtiger, die Verwirklichung eines zweitausendjährigen Traums aller Juden dieser Welt symbolisiert.
Und was hat die Musik mit alledem zu tun? Sehr viel. Denn mehr als andere Formen der Kunst hat Musik im Leben der Juden und der Israelis stets eine zentrale Rolle gespielt. Dieses Gut muß gewahrt und gefördert werden, genau so wie es Niels Hansen als Botschafter Deutschlands im jüdischen Staat verstand, durch die Musik fast „einer von uns" zu werden.

Niels Hansen:
Zum 80. Geburtstag

Am 7. November wird der frühere deutsche Botschafter in Israel, Niels Hansen, 80 Jahre alt. Der Jubilar gehörte von 1952 bis 1989 dem auswärtigen Dienst an...

Deutsch-israelische Beziehungen:
Aus dem Schatten der Katastrophe

Niels Hansen beschreibt die langsame Annäherung zwischen Israel und Deutschland in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit einem Geleitwort von Shimon Peres...

Ein sprachkünstlerisches Feuerwerk:
Christian Morgenstern sechssprachig

Dreißig Gedichte mit Übertragungen ins Englische, Französische, Hebräische, Italienische und Spanische, illustriert von Jigael Tumarkin...

Quelle: "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 von Shmuel Bahagon, zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 20-03-2008


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
Theodor Herzls Altneuland 18.80Euro!

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2010 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved
Ehem. IDPS - Kirjath haJowel, Jerusalem.