Das geschah vor 13 Jahren. Ich war der erste,
der in Jordanien als Israeli registriert wurde. Der Hintergrund: Ein
europaeischer Diplomat berichtete mir, dass der Kopf des Koeniglichen
Hofes, mich nach Amman eingeladen habe. Premierminister Shimon Peres
garantierte mir eine offizielle Sondergenehmingung, die in meinen Pass
gedruckt wurde. Ich kam ueber Kairo nach Amman, und auf dem Flug hatte ich
die Gelegenheit mit Abu-Jihad zu sprechen, der im selben Flugzeug war. Die
naechste Woche verbrachte ich in der Lobby eines zentralen Hotels in
Amman, traf verschiedene Regierungsangehoerige und gab mehrere Interviews
mit lokalen und internationalen Zeitungen, waehrend ich auf eine Einladung
fuer ein Treffen mit dem Koenig oder seinem Bruder, dem Kronprinzen,
wartete.
Die Einladung kam nicht, und der höchste
Regierungsbeamte lud mich zum Essen ein, offensichtlich als Trostpreis.
(In der Zwischenzeit waren Geruechte aufgekommen, dass ich als
unoffizieller Gesandter des israelischen Premierministers gekommen war,
und so beschloss der Koenig, dass meine Anwesenheit in Amman zu
Schwierigkeiten führen koennte und daher wurde ich nach einer Woche
hoeflich aufgefordert, das Koenigreich zum ehest moeglichen Zeitpunkt zu
verlassen - also SOFORT.)
Um auf das Gespraech zurueckzukommen: Wir
sassen in einem eleganten franzoesischen Restaurant im Zentrum Ammans.
Mein Begleiter- ein Beduine, wie alle Fuehrungsbeamten in der jordanischen
Regierung- nahm eine Papierserviette und zeichnete eine Karte von
Jordanien darauf.
"Sehen Sie sich unsere Grenzen an", erklaerte
er und strich den Finger ueber die Serviette. "Im Norden haben wir eine
Grenze mit Syrien, ein saekularer, nationalistischer und panarabischer
Staat. Im Sueden ist es Saudiarabien, ein konservatives und religioeses
Koenigreich wie aus dem Mittelalter. Dem gegenueber die Golfemirate, von
rueckstaendigen Scheichs gefuehrt. Im Osten ist Irak, eine aggressive,
nationalistische Diktatur. Im Westen grenzen wir an Aegypten, ein grosses,
aber armes Land mit einer westlichen Orientierung und dem Ziel, die
arabische Welt anzufuehren. Wir haben eine lange Grenze mit Israel, das,
wenn Sie mir verzeihen, ein fremder Koerper in dieser Region ist, ein
moderner, westlicher Staat mit expansorischen Absichten. In der Westbank
ist das palaestinensische Volk, das mit radikalen Elementen fuer die
Unabhaengigkeit kaempft. Im Nordwesten, nicht weit von unserer Grenze, ist
der konfliktzerrissene, unstabile Libanon mit vielen gefaehrlichen
Elementen."
Und zusammengefaßt: "Einfluesse von allen
diesen Nachbarn – Ideologien, Fluechtlinge, Agenten dringen in unser
winziges Land ein. Alle laufen in unserem Land zusammen. Wir versuchen sie
abzumildern und zu absorbieren. Tatsaechlich besteht unsere Existenz auf
der Balance dieser Nachbarn. Alle stellen fuer uns Gefahr dar. Wir koennen
uns keine feindlichen Beziehungen zu ihnen leisten."
Er blickte auf das Portrait des Koenigs, das
an der Wand hing. "Hussein ist ein Meister in diesem Spiel." Wenn er heute
den Irak, der mit Iran Krieg fuehrt, unterstuetzt, weiss er, dass er
morgen dessen Feind Syrien beschwichtigen muss. Wenn er Beziehungen zu
Syrien aufbaut, muss er daran eine Geste gegenueber Israel folgen lassen.
Diese Geste gegenueber Israel muss mit einer Erklaerung fuer die
Palaestinenser ausgeglichen werden. Vergessen Sie nicht, dass die Haelfte
unserer Bevoelkerung Palaestinenser sind. Als naechstes muss er saudische
Befuerchtungen vor dem Irak und den Palaestinensern beschwichtigen. Und
alles das, ohne den Zorn von Saddam zu erwecken."
Und das, mein Freund, ist die ganze Analyse,
die auf einem Bein steht. Napoleon sagte einmal: "Wenn Du die Politik
eines Staates verstehen willst, dann schau auf seine Karte." Er dachte
dabei sicherlich nicht an eine Karte, auf einer Papierserviette einem
franzoesischen Restaurant. Und doch: Koenig Hussein lebte in dieser Karte.
Er mochte Israel niemals wirklich, genauso wenig wie er den Irak oder
Syrien mochte. Er war immer ein vollendeter Überlebenskünstler, ein
geopolitischer Taenzer.
Wenn er Rabin kuesste, dachte er an Arafat
und wenn er Saddam umarmte, schielte er mit einem Auge zu Assad und mit
dem anderen zu Fahd von Saudiarabien. Darum schloss der Koenig erst mit
uns Frieden, nachdem Arafat das Olso-Abkommen unterzeichnet hatte und
damit diesen Schritt ermoeglichte. Sadat und Arafat wagten es und trugen
das Risiko, Hussein folgte ihnen behutsam.
Jetzt versuchen wir abzuschaetzen: Wird der
naechste Koenig ein "Liebhaber Israels" sein, wie sein Vater? Wird er
Netanjahu umarmen? Wird er die herzlichen Beziehungen fortfuehren?
Geheimdienstberichte werden erstellt, Persoenlichkeiten, die ihn an
verschiedenen Gelegenheiten trafen, werden interviewed, wissenschaftliche
Untersuchungen werden erstellt. Mit allem gehörigen Respekt – was fuer ein
Bloedsinn.
Der naechste Koenig wird genau das tun, was
alle seine Vorgaenger auch taten, wie sein Urgrossvater Abdallah, sein
Vater Hussein, nicht mehr und nicht weniger. Seine eigentlichen Gefuehle
haben absolut keinen Einfluss auf sein Verhalten. Wenn er auch heimlich
Ariel Sharon, den Mann hinter den Massakern von Kibyeh und Shatilla,
verachtet, wird er ihn dessen ungeachtet herzlich auf beide Wangen kuessen
und an seine palaestinensische Frau denken. Wenn er auch Saddam verachtet,
wird er innige Erklaerungen zum Leiden des irakischen Volkes abgeben. So
laueft das Spiel, das Jordanien heisst.
Koenige kommen und gehen. Aber die Karte
bleibt.