Die Welt des
Ostjudentums POLEN
von Chaim FRANK
Emanzipation
Grundlegende verbessernde Änderung trat
in den von Österreich besetzten Gebieten nach 1848 und 1859 ein, als
rechtliche Beschränkungen nach und nach aufgehoben wurden.
1867/8
erfolgte die endgültige Gleichstellung auch für Juden. Im preußisch
besetztem Gebiet kam es ähnlich: Juden waren hier 1850
schon annähernd rechtlich gleichgestellt.
Im Großherzogtum Warschau
hingegen war es für Juden noch lange nicht soweit denn die in der
Verfassung verankerte Gleichheit der Bürger bezog sich ausschließlich
auf Christen.
1821 kamen neue Vorschriften meist
anstelle der bisherigen Kahal-Verwaltungen. Auch der Novemberaufstand
1830/31 änderte nichts an der rechtlichen Lage der Juden.
Behörden widersetzten sich den
Unifizierungs-Bestrebungen und waren bedacht, die gesonderten
Juden-Gesetze beizubehalten. Erst am 5. Juni 1862 kam ein Dekret heraus,
das in vielen wesentlichen Lebensbereichen die Gleichberechtigung
einführte, sodaß der Weg zur allmählichen Emanzipation geebnet war.
Der Fortschritt, den die Juden nun
erreichen konnten, begünstigte die Entwicklung des kulturellen und
politischen Lebens und die Umgestaltung des Bewußtseins.
Der Einbruch der Moderne in das
Ostjuedische Leben begann spät, wobei man das Jahr 1870 dafür ansetzen
kann. Die Ideen des 19.Jahrhunderts setzte sich gewaltsam durch und
brach quasi in das Herz der jüdischen Ghettos und Shtetls ein.
Über Jahrhunderte hinweg war das
orthodoxe Judentum unpolitisch gewesen, denn seine Stellung zum Staat
machte ja eine politische Haltung unmöglich.
Nun kam die Moderne, wie ein Tauwetter, und schlug wie ein Paukenschlag
über das starre Land, das bis zu diesem Zeitpunkt eher in einer
mittelalterlicher Form dahinvegetierte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewannen
außerdem noch die Ideen der Arbeiterparteien
- so auch der 1897 geheim in Wilna gegründete 'Bund' -
erheblichen Einfluß auf das jüdische Proletariat.
Die Mitglieder des 'Bund' versuchten -
ähnlich wie ihre sozialistischen Genossen der anderen linken Parteien -,
die sozialen (und nationalen) Probleme der Juden in den osteuropaeischen
Ländern zu lösen.
Etwa um 1900 kam aus Russland eine neue
Arbeiterbewegung, die 'Poale Zion' der zionistischen
Sozialisten, auch nach Polen, die sich hier in einen rechten und linken
Flügel spaltete.
Im Gegensatz zu den 'Bundisten' vertraten
sie die Auffassung, daß Nationalitaetenkonflikte unvermeidbar sind und
daher die einzige Perspektive in der Gründung eines jüdischen Staates in
Palaestina zu sehen ist.
Für viele war es wie ein neues Aufatmen,
aber nicht nur das, die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts führten
gleichzeitig, gerade wegen der unzähligen Verfolgungen, auch einen
eigenen jüdischen Nationalismus mit sich. Es war dies der Beginn eines
nationalen Erwachens, mit dem 'uralten' Ziel: Dem Wunsch nach Heimkehr
ins gelobte Land der Väter.
Theodor Herzl, selbst dem Ostjudentum
angehörend, legte den Samen für das Projekt der 'Heimfuehrung'. 1897
fand in
Basel der erste
Zionistenkongress statt und 50 Jahre später, 1948, wurde sein
''Wenn-Ihr-Wollt-Ist-Es-Kein-Traum'', lebendige Wirklichkeit.
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