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Ignatz Bubis 1927 - 1999

Dr. Friedrich Schreiber
Ein Kämpfer für Demokratie hat uns verlassen

Ich habe Herrn Bubis noch am 2. August - nach den unsäglichen Bemerkungen von Michael Wolffsohn in der "Rheinischen Post" - einen Brief geschrieben, in dem ich ihm wünschte, "daß Ihre Genesung rasch voranschreitet, damit Sie auch nach Ihrer Wiederwahl mit gewohnter Kraft Ihre Ämter und zahlreichen Engagements ausfüllen können."

Es macht mich doppelt traurig, daß ich diese Worte an einen Sterbenden richtete - an ihn, der kurz vor seinem Tod äußerte, er habe als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland "nichts oder nur wenig" bewirkt. Diese bitteren Worte des Todgeweihten, der sich wie nur wenige Deutsche als Kämpfer für unsere Demokratie, unsere Freiheit, unser nationales Gewissen und unsere Würde verdient machte, teile ich nicht.

Ignatz Bubis hat mit unermüdlichem Willen und unerschöpflich scheinender Kraft an den Fundamenten der Brücke gebaut, die noch nicht von allen nichtjüdischen Deutschen beschritten wird, um sich unseren jüdischen Bürgern von Mensch zu Mensch zu nähern. Deshalb sagte ich Ignatz Bubis in meinem letzten Brief an ihn: "Wenn es nicht ein schräges Pathos beinhaltete, würde ich sagen: 'Deutschland braucht Sie' - mehr denn je: als unerschrockenen Interessenvertreter und besorgten Integrator der Juden in Deutschland, deren Zahl durch die starke Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion erfreulicherweise kräftig angewachsen ist, und als Staatsmann, Mahner und Kritiker der gesamten Nation, der unerschrocken immer wieder verdeutlicht, aus welcher Vergangenheit sie kommt und wie sie Gegenwart und Zukunft gestalten muß." Ich wünsche mir, daß er diese Zeilen noch lesen konnte. Er sagte mir einmal, daß er so viele unflätige und haßerfüllte Briefe von Antisemiten erhalte. Deshalb lag mir daran, daß er auch ehrlich und gut gemeinte Worte eines ihm freundschaftlich verbundenen "Goi" zu lesen bekommt.

Am meisten beindruckte mich als Journalist, Zeitgenosse und einfacher Mensch das Interview, das ich als ARD-Korrespondent am 22. Februar 1993 in der israelischen Holokaust-Gedenkstätte Jad Waschem mit ihm führte. Kurz nach den fremdenfeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland kam er mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland nach Jerusalem - sozusagen zu seinem Antrittsbesuch bei der israelischen Regierung.

Damals herrschte in Israel bis in höchste politische Kreise tiefempfundene Empörung. Ein Importboykott gegenüber Deutschland und sogar ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen wurde gefordert. Den deutschen Juden wurde nahegelegt, das "Land der Mörder" zu verlassen.

In dieser politischen und psychologischen Situation begleitete ich Ignatz Bubis ins "Tal der zestörten Gemeinden", in dem - nach Ländern und Landesteilen geordnet - die Namen aller vernichteten jüdischen Gemeinden Europas in den Jerusalem-Fels gemeißelt sind. Ich fragte Ignatz Bubis: "Sollen wir das Interview vor der Inschrift 'Breslau', Ihrer Geburtsstadt, machen, vor der Inschrift 'Frankfurt', wo Sie heute leben, oder vor der Inschrift 'Deblin', wo Sie im Ghetto und im Zwangsarbeitslager waren und wo Sie Ihren Vater bei seiner Deportation ins Vernichtungslager Treblinka zum letzten Mal sahen."

Bubis antwortete "Frankfurt" , so als wolle er sich gerade in diesen schweren Tagen trutzig zu seiner neuen, seiner bundesrepublikaniuschen Heimatstadt bekennen. Als ich ihn fragte, ob auch er jetzt daran denke, das Deutschland des Fremdenhasses zu verlassen, antwortete er mit klarer Stimme: "Nein, denn die Neonazis verkörpern nicht die Demokratie des Grundgesetzes, die trotz allem fest im deutschen Volk verankert ist. Dann - nach einer Denkpause - fügte er hinzu, während Tränen aus seinen Augen traten: "Aber wenn ich sterbe, will ich in Israel begraben werden; denn ich kann die Vorstellung nicht ertragen, daß ein Neonazi mein Grab schändet."

An diese Worte von Ignatz Bubis denke ich an diesem Sonntag Nachmittag, an dem dieser wunderbare jüdische Mensch und großartige Staatmann unserer Republik im Friedhof Kirjat Schaul bei Tel Aviv zu Grabe getragen wird. Bei uns regnet es in diesen Stunden, der Himmel weint, während im Heiligen Land, dem Land seiner Vorväter, über seiner letzten Ruhestätte helles Licht strahlt. Es bedrückt mich sehr, daß dieser Kämpfer für die Demokratie in Deutschland im Tode aus seinem alten Vaterland ein zweites Mal fliehen mußte, weil ihm unsere demokratische Gesellschaft, für die er bis zu seiner letzten Stunde gekämpft hat, den Schutz vor den Schändern seines Andenkens nicht garantieren konnte.

08-99

 


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