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I.Teil:
INTERVIEW
MIT
RABBINER YITZHAK
EHRENBERG
(Orthodoxer Gemeinde-
rabbiner, Berlin) |
Ein Gespräch mit Khwod haRaw
Ehrenberg:
Die goldene Mitte und das
Zentrum des Lebens
Wie kam es dazu, daß Sie
das Judentum zum
zentralen Bezugspunkt Ihres Lebens gemacht haben?
Das Judentum steht im Mittelpunkt
meines Lebens. Diesen Weg hat mir mein Lehrer und begabter Rabbi, der
Rabbiner Zwi Kahana selig, gewiesen, und ihm verdanke ich die Einsicht,
daß die Thora meinen Lebensweg bestimmen soll. Der Unterricht des von
mir geschätzten und verehrten Lehrers, in dessen Jeschiwe ich etwa sechs
Jahre verbrachte war sowohl theorie- wie praxisbezogen: Er selbst
verkörperte die Werte, die er vermittelte. Er war ein Überlebender, der
die herrlichen Jeschiwes Europas noch erlebt hatte.
Wie sind Sie selber
aufgewachsen und welcher Richtung des Judentums ordnen Sie sich zu? Welche
Bedeutung haben die anderen Richtungen des Judentums für Sie persönlich
und das Judentum als Ganzes?
Ich gehöre der orthodoxen
Richtung an. Meine Familie hält die Gebote ein, und meine Eltern ließen
mich in frommen Einrichtungen lernen. Ich wurde so erzogen, daß die
Einhaltung der Gebote zu einem Teil meiner Persönlichkeit wurde.
Als Hauptrabbiner der Orthodoxen in der jüdischen Gemeinde in Berlin bin
ich mir bewußt, daß es in der Gemeinde liberale und konservative Juden
gibt. Ich achte jeden Menschen als solchen, auch wenn mein Weg nicht
sein Weg ist.
Als orthodoxer Rabbiner kann ich die von liberalen Rabbinern
vorgenommenen Konversionen nicht anerkennen, obwohl ich zu jedermann
geduldig und tolerant bin; ich bin nun mal der Halacha unterworfen. Da
heißt es immer die goldene Mitte wählen zwischen der Würde des Anderen
und der Halacha
(Anm: Halacha ist das
jüdische Religionsgesetz).
Welche Grundsätze sehen Sie
als zentral für das Judentum an?
Das Judentum ruht auf drei
Grundsätzen:
1. dem Glauben an die Existenz Gottes
2. dem Glauben an die himmlische Herkunft der Torah
3. dem Glauben an Lohn und Strafe
Den ersten Grundsatz, nämlich den
Glauben an die Existenz des Ewigen, überbrachte der Vater des Volkes,
unser Vater Abraham. Er war ein Hebräer (Iwri), was soviel bedeutet, wie
„von drüben, vom anderen Flußufer". So steht geschrieben: „Die ganze
Welt kam von der einen Seite und Abraham von der anderen". Abraham zog
gegen die Welt der Götter, und es gelang ihm, die Wirklichkeit des einen
Gottes glaubhaft zu bekunden.
Hunderte Jahre später, so berichtet das biblische Buch „Exodus", zogen
die Kinder Israels aus Ägypten und sangen dabei das Lied am Meer: „Da
erschraken die Fürsten Edoms, es packte das Zittern die Großen Moabs, es
schmolzen dahin die Bewohner Kanaans".
Die Offenbarung geschah am Wochenfest, am Fest der Thora-Übergabe am
Berge Sinai, da erließ der Ewige die Zehn Gebote. Er selber, kein
Übermittler, ergreift das Wort zum ersten und zum letzten Mal in der
Menschheitsgeschichte. Er spricht aus dem Feuer heraus, und 600.000
Menschen hören ihm zu: „Ich bin der Herr, dein Gott ..." Die damaligen
Zeugen überlieferten dieses Erlebnis ihren Kindern und Kindeskindern;
bei Mazze und Bitterkraut erzählten die Nachkommen vom Auszug aus
Ägypten in der Pessach-Nacht, und diese Geschichte ging von Generation
zu Generation bis in unsere Zeit.
Das ist der zweite Grundsatz, der Glaube an die himmlische Herkunft der
Thora. Dieser Grundsatz besagt, daß der Ewige, der Schöpfer der Welt,
die Welt weiterhin erschafft und bewacht, daß er Erwartungen an uns hat
und uns die Throa gegeben hat, damit wir seine Erwartungen erfüllen.
Diesen Bund schloß der Ewige mit dem Volk Israel, und von ihm erwartet
er, um dieses Bundes willen, mehr als von den übrigen Völkern der Erde.
Andere Völker haben nur sieben Gebote zu erfüllen, das Volk Israel 613
Gebote. Doch ist jeder Mensch fähig und berechtigt, durch Konversion den
Rest der Gebote auf sich zu nehmen und damit dem Volk Israel
anzugehören. Das Judentum ist keine missionarische Religion, steht aber
den Fremden offen, und die Thora schätzt die Fremden sehr. In der
Geschichte Israels nehmen zahlreiche Proselyten einen ehrenhaften Platz
ein, und sogar der König David, aus dessen Samen der Messias kommen
wird, war der Nachkomme einer Konvertitin, der hingebungsvollen Ruth aus
Moab.
II.Teil
Herausforderungen an
das Judentum heute
Fragen:
Iris Noah; August 2000
Rabbis in Berlin
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