Diskussion nach der
Rückbenennung
Von Sascha Kindermann
Allgemeines
Stellungnahme der
Bürgeraktion vom 3.11.2002
Zwei Tage nach der
Rückbenennung, am 3.11.2002, verschickte Schmidt für die Bürgeraktion einen
Brief oder eine Presseerklärung. Die Gruppe bekennt sich hier rückblickend
dazu, es "für selbstverständlich [zu halten], dass der höchste
Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Herr Dr. Alexander Brenner,
eine Einweihungsrede zur »Jüdenstraße« ungehindert und ohne jede Störung
halten kann!"
Bannasch kommentiert die
zitierte Formulierung - "für selbstverständlich" - folgendermaßen: "Und
das müssen Sie sich jetzt mal im Umkehrschluss [an]sehen" - wer schon
auf die Idee komme, zu sagen, das Rederecht Brenners sei eine
Selbstverständlichkeit.
Märkische Allgemeine
Zeitung vom 5.11.2002
Über die Bürgeraktion
berichtete die
Märkische Allgemeine Zeitung am 5.11.2002, sie übe "[s]charfe Kritik".
Die Gruppe kritisiere an Bannasch, er habe sich "politisch profilieren"
wollen.
Weiter heißt es: "Zudem
habe er den »schlimmen antisemitischen Fall Möllemann heruntergespielt«.
Bannasch nannte diesen Vorwurf auf MAZ-Anfrage »ungeheuerlich, das ist der
Versuch, mich in die rechte Ecke zu stellen«. Er habe Möllmann unter anderem
in einem TV-Interview kritisiert." (Fehler i.O., Anm. d.A.)
Bannasch kritisiert, die
Bürgeraktion habe nicht recherchiert, was er zum damaligen Zeitpunkt im
Kontext der Möllemann-Debatte geäußert habe. Stattdessen erkläre man ihn
einfach zu einem Anhänger Möllemanns und damit zu einem Antisemiten.
Swen Schulz
Bannasch berichtet, der
SPD-Bundestagsabgeordnete Schulz habe Brenner und ihm öffentlich die Schuld
für die "Auswürfe" vom 1.11.2002 zugewiesen. Demzufolge war der Grund
für die Äußerungen, dass die beiden sich "öffentlich hingestellt"
hätten, so Bannasch. Schulz "musste nicht zurücktreten! Da passiert gar
nichts! [...] Das ist dann einfach so."
Schulz widersprach in einer
Presseerklärung vom 6.11.2002 dieser Darstellung. Er lasse sich nicht
anhängen, "mit antisemitischen Tendenzen Stimmung [zu] machen." Der
Politiker weist darauf hin, dass nicht er, sondern die FDP und die CDU den
Streit entfacht hätten, indem sie den Beschluss gegen die Rückbenennung in
Frage stellten. Doch habe er die anschließende Mehrheitsentscheidung für die
Namensänderung akzeptiert und kritisiere bloß die mangelnde Einbeziehung der
Anlieger.
Die "parteipolitische
Veranstaltung" der FDP am 1.11.2002, die in seiner Abwesenheit
stattgefunden habe, habe zur Emotionalisierung des Konflikts beigetragen.
Doch liege es ihm "vollkommen fern Vertretern der Jüdischen Gemeinde oder
der FDP Schuld an Antisemitismus zu geben oder aber antisemitische
Äußerungen in irgendeiner Form zu entschuldigen." (Zeichensetzung i.O.,
Anm. d.A.)
Bannasch und einem seiner
Parteikollegen wirft Schulz vor, durch falsche Behauptungen, Beleidigungen
und Verzerrungen "alte Rechnungen begleichen" und sich "mit der
Antisemitismus-Debatte [...] profilieren" zu wollen. Die FDP versuche, "ihr
Problem mit Möllemann auf dem Rücken anderer auszutragen."
Sender Freies Berlin
(SFB)
Der SFB wurde von der
Staatsanwaltschaft, die aufgrund der Hinweise auf antisemitische Äußerungen
ermittelte, aufgefordert, ihr sein gesamtes Filmmaterial auszuhändigen.
Der SFB teilte auf Nachfrage schriftlich mit, er habe die Herausgabe
aus prinzipiellen Gründen verweigert.
Strafrechtliche Relevanz
Im Hinblick auf die
Ermittlungen macht Bannasch auf einige Punkte aufmerksam. Es sei für ein
Strafverfahren entscheidend, einer Einzelperson eine verbotene Aussage
eindeutig zuweisen zu können. Außerdem werde nicht alles, was man "subjektiv"
als antisemitisch betrachte, als strafrechtlich relevant eingestuft. Etwa
der oben erwähnte Ausruf einer Geschäftsinhaberin - "Die Juden sind ja an
allem Schuld, was hier passiert" - stelle im strafrechtlichen Sinne
keine Beleidigung und keine Volksverhetzung dar. Im Gegensatz dazu stehe zum
Beispiel die Äußerung "Alle Juden sind Verbrecher" oder die Leugnung
von Auschwitz. Bannasch: "Die wissen auch sehr genau, was sie
zwischenbrüllen können und was nicht."
Im Fall des 1.11.2002 konnte
man rechtlich relevante antisemitische Äußerungen weder einer Person noch
mehreren Einzelpersonen zuordnen, so dass niemand angeklagt und verurteilt
wurde.
Keine Strafanzeige
Bannasch berichtet, die
Bürgeraktion habe ihm vorgeworfen, anlässlich der antisemitischen Rufe keine
Strafanzeige erstattet zu haben. Die Rückbenennungsgegner hätten aus dieser
Tatsache die Unterstellung abgeleitet, er decke dadurch die von ihm
behaupteten antisemitischen Äußerungen. Zur Erklärung seines Vorgehens gibt
Bannasch an, dass es nicht nötig sei, ein Offizialdelikt, das in Anwesenheit
der Polizei verübt werde, anzuzeigen. Noch am selben Tag - das sei ihm
bekannt gewesen - habe die Polizei ihre Ermittlungen aufgenommen. Außerdem
hätten sich sowohl der Polizeipräsident als auch der Innensenator zu dem
Fall geäußert. Drei Tage nach den Ereignissen habe sich der Innenausschuss
des Abgeordnetenhauses mit dem Thema beschäftigt. Zudem hätten er und Block
sich wenige Tage nach der Veranstaltung vom Staatsschutz "einen ganzen
Nachmittag" lang vernehmen lassen.
Die Märkische Allgemeine
Zeitung
berichtete am 6.11.2002 von der "Vorladung für FDP-Mann Bannasch" und
davon, der Staatsschutz habe eine Strafanzeige erstattet.
Auch Brenner informierte im jüdischen berlin vom Dezember 2002
darüber, dass "die Staatsanwaltschaft [...] eine Untersuchung eingeleitet"
habe.
Demonstration und Kundgebung
Am 14.12.2002 fand in der
Spandauer Altstadt eine Demonstration antifaschistischer Gruppen anlässlich
der Ereignisse vom 1.11.2002 statt.
Für den 1.2.2003 rief das
"Spandauer Bündnis gegen Rechts" zu einer Kundgebung "Gegen die
Verharmlosung des Antisemitismus in Spandau" auf, um es allen
Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, sich "unmissverständlich auf die
Seite der Opfer des alten sowie neuen Antisemitismus" zu stellen.
Zuschriften an Bannasch und Brenner
Am Folgetag der
Straßenrückbenennung, am 2.11.2002, schrieb Klaus W. aus Spandau - "[d]er
fällt hier öfter auf" (Bannasch) - eine Postkarte an Bannasch: "Angesichts
des jüdischen Verbrechens am palästinensischen Volke hat es weder Spandau
verdient, dass es mit einer Jüdenstraße verunziert wird."
Bannasch hebt hervor, dass
sich der Verfasser "namentlich genannt" und das Wort "verunziert"
mit Bezug auf die Juden benutzt habe.
Vier Tage darauf, am
6.11.2002, wurde eine anonyme Postkarte in Berlin ebenfalls an Bannasch
abgeschickt.
Eine weitere Postkarte an den
Politiker wurde am 14.11.2002 von einem fiktiven "Johannes Kinkel" aus der
"Kinkelstr. 22"aufgegeben.
Erst im Oktober 2003
erreichte Bannasch der Brief einer Frau, deren Ehemann er persönlich kenne.
Die Verfasserin schreibt, sie habe der Presse entnommen, dass er sich als
Bezirksverordneter für die Rückbenennung der Kinkelstraße eingesetzt habe.
Dies habe bei ihr und anderen "einiges Kopfschütteln" hervorgerufen.
Sie erlaube sich, einige Fragen zu stellen: "Haben wir keine anderen
Probleme? Wo liegt der Bedarf? Warum wird nur die Kinkelstraße rückbenannt?"
Außerdem zitiert Bannasch,
die Schreiberin frage ironisch, ob es nicht vernünftig wäre, allen
Altstadtstraßen ihren alten Namen zurückzugeben. In Bezug auf den Termin der
Rückbenennung der Kinkelstraße merke sie an: "Nicht der 1.11. wäre das
richtige Datum gewesen, sondern der 11.11."
Wenn Bannasch schon in
Spandau eine solche Meinung vertrete, "welche Formen nähme dieser Umgang
da im Bundestag an."
Brenner schrieb im
jüdischen berlin
vom Dezember 2002, er mochte "es nicht versäumen zu berichten, dass ich
kurz nach diesem Zwischenfall zahlreiche Briefe, sowohl von Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, als auch von ganz einfachen Bürgern aus ganz
Deutschland erhielt, in denen Betroffenheit, Abscheu, Anteilnahme und
Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde ausgedrückt wird."
Resümee
Verwendete Quellen
Anmerkungen:
Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 /
9.6.2004.
Zit. n. Kuschel, Stefan: Festakt mit Folgen. In: Märkische
Allgemeine Zeitung v. 5.11.2002.
Er habe sich in der Abendschau und in Zeitungen "klar
und deutlich von Möllemann distanziert". Doch habe er Möllemann nicht
als Antisemiten bezeichnet - "stehe ich heute noch zu: ist er nicht"
-, sondern sein Verhalten für "unverschämt" befunden. Vgl. eigenes
Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
Vgl. ebd.
Vgl. Schulz, Swen: FDP missbraucht Antisemitismus-Debatte.
Presseerklärung v. 6.11.2002,
http://www.swen-schulz.de/polit_arbeit/mitteilungen/mit_0611.html.
Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 /
9.6.2004.
Vgl. ebd.
Vgl. ebd.
Vgl. Kersten, Christian: Jüdenstraße: Ermittlungen von Amts wegen.
Staatsschutz erstattet Strafanzeige. In: Märkische Allgemeine Zeitung v.
6.11.2002d.
Brenner, A. 2002.
Vgl. o.V.: 14.12.2002: Berlin: Demonstration Rathaus Spandau.
http://www.dki.antifa.net/antisemitismusstreit/chronologie07.html
, 5.4.2003.
Vgl. pjay: KUNDGEBUNG anlässlich der Vorfälle bei der
Rückbenennung der Jüdenstraße in Spandau am 1.11.02.
http://www.xpedient.org/content/modules.php?name=News&file=article&sid=259,
9.1.2003. Vgl. auch Siegmund-Schultze, Andreas: Linke lernen von Christo.
In: die tageszeitung v. 1.2.2003.
Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 /
9.6.2004.
Zit. n. ebd.
Brenner 2002.
hagalil.com / 08-02-2004 |