Verlauf der
Rückbenennungsdiskussion
Von Sascha Kindermann
Die Diskussion über die
Rückbenennung der Kinkelstraße in "Jüdenstraße" setzte 1985 durch einen
Vorschlag der Spandauer FDP ein.
An den Straßenschildern gab es damals keinen Verweis auf den früheren Namen,
sondern nur eine Information über Kinkel. Nach Karl-Heinz Bannasch (FDP) war
der Vorschlag zur Rückbenennung in Spandau gleichzeitig der erste zum
Gedenken allgemein. Weitere Vorschläge, etwa zur Errichtung eines Mahnmals
und zur Anbringung einer Gedenktafel am alten Postgebäude, seien -
insbesondere von der SPD - eingebracht worden, um das FDP-Vorhaben zu
verhindern ("Jüdenstraßen-Verhinderungsanträge").
Im September 1986 veranstaltete
die FDP ein Gespräch auf der Zitadelle, zu dem sie den Vorsitzenden der
Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinsky, den Spandauer Bürgermeister, Werner
Salomon, und Parteivertreter einlud. Als die Geladenen schon erschienen
waren, sagte der Bürgermeister nach Bannaschs Aussage ohne Angabe von
Gründen ab.
Am 17.9.1988, am 50. Jahrestag
der Umbenennung der Jüdenstraße, überklebte die FDP im Rahmen einer Aktion
eines der Straßenschilder mit einem Schild "Jüdenstraße".
Im Frühjahr 1994 forderte die
Partei erneut, "der von den Nationalsozialisten im September 1938
umbenannten Straße nun unverzüglich ihren historischen Namen zurückzugeben"
(Berliner Zeitung).
Für den 23.8.1994 lud sie den
Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, nach
Spandau ein,
um Stätten jüdischer Vergangenheit zu besuchen und auf dem Marktplatz mit
Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen.
Am 14.9.1994 wurde die
Rückbenennung von einer Mehrheit aus SPD und CDU beschlossen. Die FDP war zu
diesem Zeitpunkt nicht in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vertreten.
Im selben Jahr äußerte
Siegfried Schmidt, ein Mitglied der "Bürgeraktion", zu der sich die
Gegnerinnen und Gegner der Straßenrückbenennung zusammengeschlossen hatten:
"SPD-Bürgermeister Sigurd Hauff begründet das Einverständnis seiner
Partei für die Rückbenennung damit, dass es einen steigenden Antisemitismus
in Deutschland gibt." Schmidt weiter: "Ohne Beteiligung der
Betroffenen erregt die Sache aber eher antisemitische Gefühle."
"Die Juden" bekommen also den Frust derjenigen Bürger ab, die sich von
Politikern übergangen fühlen.
Am 7.3.1996 fragte ein
Leserbriefschreiber im
Spandauer Volksblatt: "Wann hört Herr Bannasch endlich auf, die
Rückbenennung der Kinkelstraße in Jüdenstraße zu fordern?" Mit der
Kinkelstraße müsse man - wegen der Verbindung der beiden Personen - auch die
benachbarte Carl-Schurz-Straße rückbenennen, meint der Schreiber. Durch die
Gleichsetzung der beiden Straßen wird der Antisemitismus der Nazis
ausgeblendet, der zur Auslöschung der "Jüdenstraße" führte. Ein anderer Satz
impliziert die Vorstellung einer Übermacht "der Juden": "Wenn in Berlin
für jeden Wirkungsort der Juden eine Straße benannt werden sollte, hätten
wir bestimmt mehr Jüdenstraßen als zum Beispiel Berliner Straßen."
Es wird das Bild einer überwältigenden Vielzahl von "Wirkungsorten der
Juden" gezeichnet und wiederum ignoriert, dass es darum geht, eine konkrete
Beseitigung eines jüdischen Namens durch die Nationalsozialisten zu
revidieren.
Nach dem Beschluss vom Herbst
1994 wurde der Name "Jüdenstraße" nicht wiedereingeführt, sondern am
21.8.1996
entschieden sich CDU und SPD, das Rückbenennungsverfahren einzustellen.
"Damit hatten Proteste von Anwohnern Erfolg." (Berliner Zeitung)
Diese hatten Kosten für neue Briefbögen und Werbeplakate vermeiden wollen
und befürchtet, der Name "Jüdenstraße" könne Neonazis anziehen.
Die BVV beabsichtigte zudem, mit dem bestehenden Namen den Lyriker,
Revolutionär und einstigen Spandauer Häftling Kinkel zu ehren.
Als einzige Fraktion
übte die GAL Kritik: "Damit wird die von den Nazis vorgenommene
Umbenennung gutgeheißen".
Auch Bannasch kritisierte die Einstellung des Verfahrens: Es "wäre [...]
angebracht gewesen, in Spandau ein sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus
zu setzen".
"Keine Sternstunde" sei die Debatte um die Kinkelstraße gewesen,
kommentierte zwei Tage nach der Entscheidung sarkastisch die Berliner
Zeitung: "Die Beiträge [...] bewegen sich auf erstaunlichem Niveau.
Tenor: Die großen Parteien dürften sich nicht zu fein sein, einmal
getroffene Beschlüsse wieder zu kippen."
Die Gründung eines "Forum
Jüdische Geschichte Spandaus" wurde in einem Zug mit der Aufhebung des
Rückbenennungsverfahrens beschlossen,
damit "das schwarze Kapitel der nationalsozialistischen Umbenennung nicht
vergessen wird." (Berliner Zeitung)
Die offenbar auch "Forum Kinkelstraße" genannte Plattform nahm im Januar
1997 ihre Arbeit auf, wobei die Jüdische Gemeinde aus Protest gegen die
gestoppte Rückbenennung der ersten Sitzung fernblieb.
Das Forum setzte sich aus Repräsentanten der in der BVV vertretenen
Parteien, der Kirchen und Kinkelstraßen-Anwohnern - "einige von ihnen
erklärte Befürworter des Namens Jüdenstraße" (Berliner Zeitung)
- sowie Vertretern des Bezirksamtes zusammen. Bannasch gibt an, auch in der
BVV nicht vertretene Parteien seien zur Teilnahme eingeladen worden. Nur die
FDP habe - mangels Bedeutung in der politischen Landschaft - außen vor
bleiben sollen. Dennoch nahm Bannasch am Forum teil, noch bevor er der BVV
angehörte. Auch Siegfried Schmidt gehörte dem Gremium an, "kam aber so
gut wie nie" (Bannasch) und habe doch stets auf seine Mitwirkung
verwiesen.
Das Forum widmete sich u.a. der
NS-Vergangenheit und sollte dazu dienen, dass "das Andenken an jüdische
Bürger nicht in Vergessenheit gerät." (Berliner Zeitung)
Es initiierte Projekttage an Schulen, Gesprächsrunden, Stadtführungen,
Besuche von Gedenkstätten und Städten in Osteuropa usf.
Auf Vorwürfe, nur eine Alibifunktion zu erfüllen, entgegnete das Forum, es
sei kein "Ersatz für die Nicht-Rückbenennung." (Berliner Zeitung)
Man beschäftigte sich auch mit der Kinkelstraße und kritisierte 1997 den
vorhandenen Straßenschildzusatz als unzureichend, da er lediglich auf die
"Umbenennung" von 1938 verweise. Ein zusätzliches Schild solle darüber
hinaus den "nationalsozialistischen und antisemitisch motivierten
Unrechtsakt" herausstellen und ein Denkmal die Maßnahme der Nazis als "Bruch
der Geschichte" (Forum Jüdische Geschichte) charakterisieren.
Vier Jahre später, 2001, wurden die Erläuterungstäfelchen an den
Straßenschildern offenbar angebracht.
Noch im selben Jahr wurde das Forum wieder aufgelöst, was Bannasch
kritisiert: "Als ob der Antisemitismus sich an Legislaturperioden hält".
Im September 1996 forderte die
Arbeitsgruppe "Christen und Juden" der Synode des Evangelischen
Kirchenkreises Spandau weiterhin die Rückbenennung. Es "bekomme diesem
moralisch wichtigen Thema nicht, wenn es zum Spielball der Parteipolitik"
(Berliner Zeitung) werde. In puncto Gedenken brauche man häufig zu lange, um
zu angemessenen Entscheidungen zu gelangen.
Ende September 1996 schrieb der
Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Jerzy Kanal, an Bezirksbürgermeister
Konrad Birkholz (CDU): "Die Umbenennung von Straßen war eine
Naziverfolgungsmaßnahme gegen Juden, die letztendlich zu Deportation und
Vernichtung geführt hat."
Auf der Gedenkveranstaltung am
9. November 1996 kam der Bürgermeister nicht auf den Streit um die
Kinkelstraße zu sprechen und äußerte nach der Veranstaltung, er habe den
Anlass für "nicht ganz passend", um eine solche Diskussion zu führen,
befunden. Andreas Nachama von der Jüdischen Gemeinde dagegen ging "mit
Spandaus Kommunalpolitikern hart ins Gericht" (Berliner Zeitung), denn
seine Gemeindemitglieder könnten und wollten die Entscheidung gegen eine
Rückbenennung nicht verstehen: "Was in den letzten Jahren in Deutschland
passiert ist und passiert, vom großen Inferno in Mölln und dem Brand der
Synagoge in Lübeck bis zur verunglückten Rückbenennung der Jüdenstraße in
Berlin-Spandau, wirft die Frage auf, was für ein Deutschland dies ist, in
dem wir uns hier bewegen." Entscheidungen wie die gegen die
"Jüdenstraße" und die jüngsten Brandanschläge ließen ihn an der Perspektive
für eine jüdische Gemeinschaft in Deutschland zweifeln.
Ende 2001 konnte die FDP in die
BVV einziehen
und die Rückbenennung in der Koalitionsvereinbarung mit der CDU durchsetzen.
Laut der Potsdamer Märkischen Allgemeinen Zeitung hatte die FDP in
den Koalitionsverhandlungen die Rückbenennung "zu einer zentralen
Forderung" gemacht.
Swen Schulz (SPD) sah die Akzeptanz des Rückbenennungsvorhabens als den
Preis, den die CDU für die Wahl ihres Bürgermeisterkandidaten habe zahlen
müssen;
sie habe sich an die FDP "verkauft".
Am 9.11.2001 sprach Alexander
Brenner, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, am Spandauer Mahnmal am
Lindenufer und "mischte [...] einen Wermutstropfen in seine Rede"
(Märkische Allgemeine Zeitung), indem er auf die Kinkelstraße zu sprechen
kam, die man "noch immer nicht umbenannt" habe. Man sollte, so
Brenner, an die vierhundert Jahre jüdischer Geschichte in Spandau anknüpfen.
Nachdem laut der Märkischen
Allgemeinen Zeitung am 23.1.2002 CDU und FDP die Rückbenennung hatten
eigentlich wieder beschließen wollen,
nutzten sie dann jedoch, so die Berliner Morgenpost, die von einem "brisanten
Thema" spricht, ihre parlamentarische Mehrheit nicht. Laut Bannasch
geschah dies in Ermangelung einer ausreichend "breite[n] demokratische[n]
Basis", insofern als man von der SPD eine ablehnende Haltung erwartete.
Ein Artikel der Märkischen Allgemeinen Zeitung hebt Schulz’ Aussage
hervor, trotz 16-jähriger Debatte sei die Haltung der SPD noch "vollkommen
offen".
"Bauchschmerzen" plagten die Partei nach eigenen Angaben, und ein
Sprecher meinte, die Rückbenennung sei als symbolischer Akt ungeeignet.
Brenner kommentierte, wieder einmal sei "eine historisch wichtige, längst
überfällige Entscheidung" nicht getroffen worden.
Letztendlich wurde die
Wiedereinführung des Namens "Jüdenstraße" im April 2002 vom Bezirksparlament
beschlossen; dafür votierten die CDU, die FDP und vier SPD-Verordnete.
Bannasch äußerte aus diesem Anlass gegenüber der Märkischen Allgemeinen
Zeitung, in einer Zeit, "in der Mitbürger jüdischen Glaubens wegen
ihrer Religionszugehörigkeit auf der Straße angegriffen werden, kann dieser
Beschluss auch als Solidarität für die Jüdische Gemeinschaft gewertet
werden."
In der Märkischen
Allgemeinen Zeitung
vom 6.6.2002 geht es vor allem darum, wie die FDP die Rückbenennung
durchgesetzt habe. Der Weg zum Namenswechsel erscheint als ein Parforceritt
der schreienden Ungerechtigkeit. Nachdem die FDP die CDU dazu gebracht habe,
sich an die kleine Partei zu verkaufen (s.o.), hätten sich beide Parteien
gemeinsam gegen ein "Mehrheitsvotum der Anwohner" durchgesetzt. Die
organisierten Anlieger würden dieses Verhalten als "beschämend und
skandalös" bezeichnen. Die Veröffentlichung des Rückbenennungsvorhabens
im Amtsblatt stehe bevor, "nur noch der wenig aussichtsreiche Rechtsweg"
bleibe ihnen, schließt der Artikel.
Die Zeitung formuliert
außerdem, mit Gedenktafeln wollten die Anlieger "auf die wechselvolle
Geschichte der Straße aufmerksam machen" (Hervorhebung d.A.). Im
Hinblick auf die Epoche der NS-Herrschaft und deren antisemitische
Entfernung des Namens "Jüdenstraße" wirkt die Rede von einer "wechselvollen
Geschichte" durchaus verharmlosend. "In der Geschichte geht es eben hin und
her, das darf man nicht allzu ernst nehmen", könnte man als Subtext der
Formulierung lesen. Als zartes Geschehen erscheint der Akt der Umbenennung
an anderer Stelle im selben Artikel, wenn von der "während der Nazi-Zeit
umgetauften Kinkelstraße" (Hervorhebung d.A.) gesprochen wird.
Man kann sich leicht die Jüdenstraße als kleines Kind im Taufkleidchen
vorstellen, dem recht freundliche Nazis mehr oder minder behutsam einen
Namen verleihen.
Im August 2002 informierte das
Bezirksamt im Amtsblatt über die bevorstehende Rückbenennung.
Am 30.8.2002 wurde über die Kritik der SPD am Umbenennungsverfahren
berichtet.
Am 19.9.2002 schrieb der
Betreiber von "Robby’s Bistro" in der Kinkelstraße einen offenen Brief. Der
Gastronom zeigt sich empört über die bevorstehende Rückbenennung,
deren negative Auswirkungen in erster Linie die Spandauer Geschäftsleute zu
erwarten hätten; die angeblich drohende Schädigung der lokalen Wirtschaft
ist Tenor seines Briefes. Wenn es heißt, die Namensänderung werde "in
keinem Falle dazu beitragen, die bereits stak ramponierte Situation der
spandauer Geschäftswelt neu zu beleben!" (Schreibweise i.O., Anm. d.A.),
könnte man noch zustimmen, aber einwenden, nicht jede Maßnahme der Politik
müsse doch primär der Wirtschaft nützen.
Der Verfasser bezieht sich
positiv auf Bannaschs Ansatz, den Mittelstand und die Schaffung von
Arbeitsplätzen zu fördern: "Das wäre eine lohnende Aufgabe für den
FDP-Vorsitzenden und nicht die abstruse Strassenumbenennung in der heutigen
Zeit!" (Schreibweise i.O., Anm. d.A.) "Abstrus" sei es also heutzutage,
antisemitische Entscheidungen aus der NS-Zeit zu revidieren. Es stellt sich
die Frage nach dem Warum. Weil in der heutigen krisenhaften Situation das
unbedingte Primat der Ökonomie zu gelten habe? Oder weil endlich Schluss
sein müsse mit dem Gedenken an den Holocaust? Die vermeintlich abstruse
Qualität scheint eher mit dem Inhalt der geplanten Maßnahme
zusammenzuhängen. Denn gleich darauf heißt es: "Selbst meine Gäste
greifen sich verständnislos an den Kopf und kündigen nach Umbenennung in
Jüdenstraße den Boykott meines Bistros an." Warum sollten sie das
Geschäft boykottieren, ginge es ihnen um das wirtschaftliche Wohl Spandaus?
Der Autor hat offenbar Verständnis für die Boykottidee, distanziert sich
nicht.
Der Brief schließt mit dem
Resümee: "Wenn also Herr Bannasch seine Politik ernst nehmen will, mehr
Steuerkraft nach Spandau zu bringen und Firmenansiedlungen zu unterstützen,
soll er schleunigst von dem unsinnigen Vorhaben ‚Jüdenstraße’ Abstand
nehmen!" Diese Aufforderung impliziert eindeutig die Annahme, der
Wechsel von "Kinkelstraße" zu "Jüdenstraße" wäre der Anziehung von
Steuergeldern nach Spandau und der weiteren Ansiedlung von Unternehmen
abträglich.
Kurz: Das Jüdische, hier in Form des Straßennamens, schade der
wirtschaftlichen Entwicklung.
Im Gegensatz zum Leben im
Zeichen der "beeindruckende[n] Biographie" Kinkels sieht der Autor
den Namen "Jüdenstraße" als ein Zurück in die tiefste Vergangenheit. Denn "vor
siebenhundert Jahren herrschte in Spandau tiefstes Mittelalter!" Doch
sogar noch weitreichender wäre der Rückschritt des Bezirks: "Bannasch
versetzt mit der Umbenennung der Kinkelstraße Spandau zurück in die
Steinzeit!"
Der Text ist ein Musterbeispiel
für latenten Antisemitismus: Von Juden ist überhaupt nicht die Rede, die
Wirkung entfaltet sich ausschließlich durch die Implikationen der Worte.
Offener Brief vom 19.9.2002
Am 20.9.2002 wurde berichtet,
die Bürgeraktion wolle "in letzter Sekunde" noch die Rückbenennung
verhindern.
Im September 2002 formulierte
die SPD-Fraktion einen BVV-Antrag zur stärkeren Einbeziehung der Bürger bei
künftigen Straßenumbenennungen. Denn die Änderung eines Straßennamens werde
von den Anliegern "in der Regel als unmittelbarer Eingriff in ihre
Privatsphäre empfunden und ist deshalb stark emotional belastet". Die
anstehende Rückbenennung ausschließlich im Amtsblatt zu veröffentlichen und
nur die Grundstückseigentümer zu unterrichten, sei "ein Relikt aus Zeiten
obrigkeitsstaatlichen Denkens".
Die "Bürgeraktion für den
Erhalt der Kinkelstraße" brachte ein Flugblatt zum Tag der Rückbenennung,
zum 1.11.2002, heraus. In diesem steht: "Nutzen Sie doch [...] diese
Gelegenheit, zu erfahren, was dort von Herrn Bannasch und anderen
»Offiziellen« zur Umbenennung und zum einhelligen Anwohnerprotest gesagt
wird."
Aufrufflugblatt der Bürgeraktion zum 1.11.2002
Wie auch Bannasch hervorhebt,
wird der als Gastredner geladene Alexander Brenner von der Jüdischen
Gemeinde zwar zunächst unter "die Vertreter der Jüdischen Gemeinde zu
Berlin" gefasst, schließlich aber als "anderer »Offizieller«" bezeichnet.
Bannaschs Kommentar: "Deutlicher geht es schon gar nicht mehr. Ich finde,
dies ist [...] eine Unverschämtheit" - "da kommt der latente
Antisemitismus raus".
Die Bürgeraktion formuliert weiter: "Es wird aber wohl kaum verboten sein,
zu dieser Veranstaltung, die im öffentlichen Straßenraum
stattfindet, als interessierte(r) Anwohner hin zu gehen!"
(Hervorhebungen i.O., Anm. d.A.) Bannasch interpretiert dies als indirekten
Aufruf, die Veranstaltung zu stören.
Für den 28.10.2002 luden die
Rückbenennungsgegner zusammen mit der evangelischen St. Nikolai-Gemeinde zu
einer Bürgerversammlung in deren Gemeindesaal. Ein Kollege von Bannasch gibt
an, "aus dem Kreise der Zuschauer [kamen] wirklich antisemitische
Äußerungen: wozu man das denn brauche, und das ist doch alles genug."
Offenbar geht es hier um den Wunsch, einen Schlussstrich unter die
Vergangenheit zu ziehen, Verantwortung abzulehnen und Erinnerung abzuwehren.
Außerdem sagt Bannasch, er habe "drauf aufmerksam gemacht, dass vor mir
Vertreter der NPD gesprochen haben. Und habe die gezeigt."
Zur Versammlung schrieb
Bannasch dem
Tagesspiegel: "Als ich nach Aufforderung [...] das Wort ergriff,
wurde ich mehrmals durch anwesende Vertreter der NPD unterbrochen.
Antisemitische und undemokratische Zwischenrufe waren in der Folge mehrfach
zu vernehmen. Die NPD-Vertreter wurden von mir als solche in meinem
Redebeitrag für alle vernehmlich geoutet. Die Neonazis wurden weder des
Raumes verwiesen noch an den unsäglichen Zwischenrufen gehindert. Weder der
anwesende [...] Pfarrer [...] noch der Sprecher der sog. Bürgeraktion haben
von ihren Rechten [...] Gebrauch gemacht. Auch hierzu findet sich keine
Bemerkung in der entsprechenden Berichterstattung des Tagesspiegels. [...]
Andere Zeitungen haben sehr wohl darüber berichtet." Bannasch behauptet
außerdem, es habe auf der Veranstaltung geheißen, er werde noch sehen, was
er davon habe, er solle aufpassen. Diese Drohungen hätten keinen Protest
ausgelöst.
Merkmale der Rückbenennungsdiskussion
Tag der Rückbenennung: 1. November 2002
Diskussion nach der Rückbenennung
Resümee
Verwendete Quellen
Anmerkungen:
Da es eindeutig die Spandauer FDP war, die die Rückbenennung initiierte
und stets vorantrieb, wurde deren Vorsitzender Karl-Heinz Bannasch
interviewt, so dass im Folgenden dessen Perspektive und die Aktivitäten
seiner Partei eine besondere Stellung einnehmen.
Vgl. Schubert, Peter: Staatsschutz ermittelt nach Spandau-Vorfall. In:
Berliner Morgenpost v. 5.11.2002.
Zit. n. Münner, Lothar: FDP fordert Rückbenennung der Kinkelstraße. In:
Berliner Zeitung v. 12.4.1994.
Vgl. o.V.: Bubis in Spandau. In: Spandauer Volksblatt v. 18.8.1994.
Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
Zit. n. ebd.
Thiele, Günter: Kinkelstraße soll Name behalten [Schreibweise i.O., Anm.
d.A.]. In: Spandauer Volksblatt v. 7.3.1996.
Vgl. elm: Christen fordern weiter Jüdenstraße. In: Berliner Zeitung v.
14.9.1996.
Vgl. Kortmann, Kathryn: Arbeitsgruppe fordert die Präzisierung eines
Schildes. In: Berliner Zeitung v. 11.6.1997.
Paul 1996.
Vgl. Münner, Lothar: Rückbenennung ist endgültig vom Tisch. In: Berliner
Zeitung v. 15.5.1998.
Vgl. Kunert, Matthias: Erläuterungstafeln an der Kinkelstraße. In:
Berliner Zeitung v. 13.9.2001.
Die FDP war nicht im Parlament vertreten.
Zit. n. bux / elm: BVV-SPLITTER. In: Berliner Zeitung v. 23.8.1996.
Zit. n. Münner 1998.
bux / elm 1996.
Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
Paul 1996.
Vgl. Paul, Lennart: "Forum Kinkelstraße" will Nazi-Unrecht aufarbeiten.
Jüdische Gemeinde bleibt aus Protest der Sitzung fern. In: Berliner Zeitung
v. 11.1.1997.
Ebd.
Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
Münner 1998.
Vgl. Kunert, Matthias: Den einzelnen Menschen suchen. In: Berliner Zeitung
v. 6.5.1997.
Kortmann 1997.
Zit. n. ebd.
Vgl. Kunert 2001.
Eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
Vgl. elm: Christen fordern weiter Jüdenstraße. In: Berliner Zeitung v.
14.9.1996.
Zit. n. Paul 1996.
Vgl. ebd.
Vgl. Gäding, Marcel: Ein Fall für den Richter. Anwohner wollen gegen
Rückbenennung der Kinkelstraße klagen. In: Berliner Zeitung v. 20.9.2002b.
Vgl. Schulz, Stefan: Brenner spürt Pogromstimmung. In: Berliner Morgenpost
v. 5.11.2002.
Vgl. Kersten, Christian: Kinkelstraße: Streit um Umbenennung. In:
Märkische Allgemeine Zeitung v. 30.8.2002b.
Vgl. ebd.
Zit. n. Kersten, Christian: Kritik an Rückbenennung wächst. In: Märkische
Allgemeine Zeitung v. 6.6.2002c.
Vgl. Heinrich, Grit: Am Mahnmal Lindenufer wurde der Pogrome vom 9.
November gedacht. In: Märkische Allgemeine Zeitung v. 10.11.2001.
Vgl. Wobig, Grit: CDU und FDP wollen Rückbenennung. In: Märkische
Allgemeine Zeitung v. 23.1.2002.
Vgl. Ud: Jüdenstraße weiter in der Warteschleife. In: Berliner Morgenpost
v. 25.1.2002.
Zit. n. Wobig 2002.
Vgl. Ud 2002.
Vgl. kusch: Bezirksverordnete für "Jüdenstraße". In: Märkische Allgemeine
Zeitung v. 26.4.2002.
Zit. n. ebd.
Vgl. Kersten 2002c.
Vgl. Gäding 2002b.
Vgl. Kersten 2002b.
Auch der spezielle Aspekt der Verursachung von Kosten für neue Briefköpfe
etc. wird angeführt, spielt aber gegenüber der Thematisierung der gesamten
ökonomischen Situation Spandaus in dem Brief nur eine periphere Rolle.
Vgl. Kühl, K.-J.: Umbenennung Kinkelstrasse in Jüdenstrasse [Schreibweise
i.O., Anm. d.A.]. Offener Brief v. 19.9.2002.
Vgl. Gäding 2002b.
Vgl. SPD-Fraktion Spandau: Bürgerfreundliches Verfahren für
Straßenumbenennungen. September 2002,
http://www.spd-fraktion-spandau.de/bvv/bvv_0209.htm.
Eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
Vgl. ebd.
hagalil.com / 08-02-2004 |