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Das jüdische Kulturfestival in Prag
[InternetChat / Jüdische Schulen / Wien - Berlin - Praha]

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus:
Für Juden Teil ihres Selbstverständnisses 
– und was ist es für Nichtjuden?

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Peter Finkelgruen

Betr.: Chatroom für Schüler Jüdischer Schulen
Text für den 9.11.2000 Tag der Schoah

[Protokoll des Chats vom 09-11-2000]

Jüdische Buchhandlung Morascha - Zürich - Bücher zum Judentum, Ritualia...
Unterwegs
Radio Praha!
Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, einen Vortrag zum Thema "Kultur – Über-Ich und die Gedenkreligion des Holocaust" zu hören. Der Titel verrät sofort ,dass der Vortragende ein Psychoanalytiker war.

Beim Zuhören gewann ich den Eindruck, dass der Festvortrag eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem von Martin Walser hatte, in dem er bekannte nicht mehr von Auschwitz hören zu können.

Der Psychoanalytiker behauptete zum Beispiel, dass es in Israel bislang verboten gewesen sei, über andere Fälle von Völkermord zu unterrichten. Ich habe selber, während meiner Schulzeit in Israel, erstmals von dem Völkermord an den Armeniern erfahren. Also weiß ich, daß die Behauptung falsch ist. Warum aber wurde sie aufgestellt? Setzt man den psychoanalytischen Begriff des Über-Ich mit der Moralkeule Martin Walsers gleich, dann eröffnet sich ein Sinn für die Behauptung. Die Erinnerung an die Shoah wird sozusagen "geheiligt". Es soll keine andere Erinnerung neben ihr geben. Dadurch wird sie Teil eines gesellschaftlichen Über – Ichs und damit zur Moralkeule, über die Martin Walser und andere so lamentieren.

Das Erinnern an "das, was geschah" ( mit dieser vorsichtigen Redewendung pflegte der Dichter Paul Celan die Ereignisse des "Dritten Reichs", vor allem des Mordes an Juden, auszudrücken) hat tatsächlich etwas Religiöses an sich, jedenfalls was Intensität und Emotionalität der Erinnerung angeht. Der Begriff des Gedenkens legt ja eine religiöse Haltung nahe. Auch die Tatsache der Festlegung eines bestimmten, jährlich wiederkehrenden Tages, an dem dieses gemeinsames Gedenken stattfindet, ist eine Ritualisierung die religiöse Elemente, wie zum Beispiel Gebete, enthält.

Soweit dürfte Einigkeit herzustellen sein. Aber schon bei der Gestaltung und der daraus abzuleitenden Bedeutung dieser ritualisierten Erinnerung kann man Unterschiede feststellen.

In religiösen und theologischen jüdischen Kreisen ist über den Zusammenhang zwischen "dem, was geschah" und Fragen des Glaubens schon lange nachgedacht worden. Sowohl in orthodoxen als auch in reformierten Kreisen. Dazu braucht man nicht nur an die jüngsten Äußerungen des sephardischen Oberrabbiners in Jerusalem, Ovadia Josef, zu erinnern. Der soll gesagt haben, dass die Opfer gestorben seien für Sünden, die sie in einem früheren Leben begangen hätten. Meines Wissens ist die These erstmals in einer Yeshiva des Shanghaier Gettos formuliert worden wonach die Verfolgung der Juden eine göttliche Strafe für den Prozess der Assimilation in Deutschland gewesen sei. Ich erinnere mich auch, in den sechziger Jahren gelesen zu haben, dass in Kreisen des Reformjudentums in den Vereinigten Staaten der Gedanke formuliert wurde, dass die Judenverfolgung im Dritten Reich in der Identitätsgeschichte des jüdischen Volkes eines Tages einen Platz einnehmen würde wie der Auszug aus Ägypten.

Pessach, Purim, und Chanuka sind religiöse Feiertage, anlässlich derer an die Verfolgung von Juden in unterschiedlichen Epochen ihrer Geschichte gedacht wird. An jedem dieser Anlässe wird aber nicht nur an die Verfolgung und die Gefahr der Ausrottung erinnert, sondern gleichzeitig wird an den Triumph der Errettung, und an die Würde des Widerstands erinnert. Das ist im Falle des Jom Hashoah in Israel – und in der Diaspora - nicht anders. In Israel ist der Tag des Gedenkens eingebettet zwischen andere Gedenktage, zum Beispiel den an die Toten und Gefallenen der Kriege Israels, und ist in unmittelbarer Nähe zum staatlichen Unabhängigkeitstag. Aus diesem Gedenken speist sich, ein Teil der Identität von Juden.

So gesehen ist es verständlich, wenn Nichtjuden durch diese "Sakralisierung" irritiert sind. Bedeutet doch die Erinnerung an die Opfer der Verfolgung auch zwangsläufig die Erinnerung an die Täter. Die kann man weder betrauern noch positiv in die Erinnerung hereinnehmen. Und wenn die Nichtjuden dann auch noch die Nachkommen der Täter sind – mit ererbter Verantwortung, aber ohne jede Kollektivschuld - empfinden sie zwar, die Erinnerung an die Opfer, für richtig und notwendig, können sie aber nicht mit den Nachkommen der Opfer teilen. 

Viele unter ihnen scheinen einen Weg aus diesem Dilemma zu suchen. Peinlichkeiten, die wir in den vergangenen Jahren oft genug erleben konnten – von der Rede des damaligen Bundestagpräsidenten Jenninger, der anschließend seinen Posten räumen musste, weil man seinen Versuch, zu erklären, was gewesen ist, verstehen konnte als ein Buhlen um Verständnis für die Machtergreifung der Nazis- sind dafür ein Beispiel. Genauso wie die jahrelange Debatte um das Berliner Mahnmal, von dem noch immer gezweifelt wird, ob es am Ende tatsächlich entstehen wird. Manche aber reagieren auf dieses Dilemma mit Aggressionen. Wie Martin Walser, wie jener Psychoanalytiker, den ich eingangs erwähnte. Und wie die zahlreichen anonymen Neonazis.

Peter Finkelgruen / haGalil onLine 25-10-2000


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