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Jüdische Weisheit
 
 




die tageszeitung

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Marketing mit Davidstern

Die Gegend um die Oranienburger Straße wird als "jüdisches Viertel"
gehandelt. Die Verkitschung beschäftigt jetzt Sozialwissenschaftler. 
Eine Stadtführung weist auf Klischees und Plagiate hin

KIRSTEN KÜPPERS

Manarah

Die Gegend rund um die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße ist Jewish Disney World. Die Legendenbildung "um das jüdische Viertel" gedeiht, und so wird Schweinefleisch schon mal koscher. Das Etikett "jüdisch" sorgt für Publikum: Immer mehr Touristen und Berliner kommen, um "jüdische Orte" zu erleben. Der Vermarktung und Verkitschung des "Jüdischen" beschäftigt jetzt Sozialwissenschaftler.

Die Bildungsreferentin Iris Weiss bietet einen Stadtrundgang zum Thema "Jewish Disneyland" an. Denn der Mythos vom jüdischen Viertel ist längst auch Produkt. Am Leben gehalten wird er von einem Angebot an plakativen Insignien jüdischer Kultur. Zum Beispiel hebräische Schriftzüge an Ladentüren, Bagelshops, Klezmerkapellen und koschere Speisekarten. Drei jüdische Restaurants gibt es in der Spandauer Vorstadt - aber noch mehr Lokale, die den Eindruck erwecken, jüdisch zu sein. Zum Beispiel das "Mendelssohn". Die Küche serviert Schnitzel mit Rahmgemüse, ein Gericht, das kein koscherer Speiseplan erlaubt.

"In Berlin sind die meisten Veranstaltungen, die als ,jüdisch' firmieren von Nichtjuden für Nichtjuden", hat Iris Weiss festgestellt. Diese Tatsache sei zunächst nicht kritikwürdig, meint Weiss. Sie, die selbst aus einer deutsch-jüdischen Familie stammt, stört jedoch die Reproduktion von Klischees dabei. "Mit der Realität von Juden in Berlin heute hat diese Folklorisierung und Romantisierung nichts zu tun", meint sie.

Das "Hackesche Hof Theater" zum Beispiel, vor dem ihr Rundgang beginnt, bietet zweimal die Woche "jiddische Klezmer"-Konzerte an. Klezmer ist traditionell die Musik der Ostjuden. Andere zeitgenossische jüdische Musikformen sind nicht im Programm. Für Weiss ein Zeichen, dass jüdische Kultur auf das Stereotyp des "Ostjuden mit Kippa und Schläfenlocken" reduziert wird. So würden auch heute wieder "Juden zu Exoten gemacht".

Weitere Stationen ihrer Führung sind ein Spielzeugwarenladen, der inzwischen auch siebenarmige Leuchter und andere Judaika in Schaufenster stehen hat, oder das Haus der "Jerusalem Gemeinde". Diese wirbt mit jüdischen Symbolen und dem Feiern des jüdischen Laubhüttenfestes neue Mitglieder für ihre - allerdings christliche - Freikirche.

Doch der Mythos des "jüdischen Viertels" wird auch von ihren Stadtführerkollegen vorangetrieben, sagt Weiss. Jede Woche werden etwa zehn Rundgänge zu den "jüdischen Orten" in der Spandauer Vorstadt angeboten. Bei den meisten werde indes nur über die Vergangenheit gesprochen, kritisiert sie. Die Tatsache, dass heute 12.000 Juden in der Stadt leben, würde kaum erwähnt, ebensowenig wie die rege Arbeit des jüdischen Kulturvereins oder die immer wieder zu beklagenden Schändungen des Moses-Mendelssohn-Gedenksteins am ehemaligen Jüdischen Friedhof an der Großen Hamburger Straße. Stattdessen rutsche den Kollegen eher noch eine antisemitische Äußerung aus dem Mund, hat Weiss erlebt.

Wer "jüdisches Leben" in der Spandauer Vorstadt sucht, geht vor allem dorthin, "um zu verstehen, warum der Holocaust passieren konnte", hat Weiss in ihrer jahrelangen Arbeit als Stadtführerin erfahren. "Damit macht man indes wieder die Juden verantwortlich", findet sie. "Man muss die Täterseite untersuchen, um den Holocaust zu begreifen."

Die Vermarktung von jüdischen Bräuchen und Kultur, wie Weiss sie mit "Jewish Disneyland" anprangert, wird indes nicht nur in Berlin betrieben. Das Phänomen findet sich in ganz Europa. Es ist im polnischen Krakau genauso zu beobachten wie im italienischen Städtchen Pitigliano. Die in Paris lebende Sozialwissenschaftlerin Diana Pinto stellt deswegen nicht von ungefähr in ihrem Essay "zu einer neuen europäisch jüdischen Identität" die Frage: "Wie sollen Juden an die entstehenden ,jüdischen Räume' herangehen und intervenieren, die in steigendem Maße von Nichtjuden initiiert, bevölkert und sogar verwaltet werden?" Iris Weiss macht jetzt Stadtführungen zum Thema. Das ist schon mal eine Antwort.

"Jewish Disneyland" am 3. und 10. Dezember um 13. 30 Uhr. Start S-Bahnhof Hackescher Markt 

taz, 20.11.2000, KIRSTEN KÜPPERS

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haGalil onLine 22-11-2000

 


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