hagalil.com - bet-debora.de


http://www.hagalil.com
Rabbinerin im Abseits

Rabbinerin Daniela Thau

Es war für mich nicht einfach, mich hinzusetzen und die Gründe aufzuschreiben, warum ich mich entschied, Rabbinerin zu werden, jedoch nicht mehr in diesem Beruf arbeite. 1976 lernte ich in Israel Sybil Sheridan kennen, die zu diesem Zeitpunkt ihr Rabbinasstudium am Leo Baeck College aufnahm. Sie, Pnina Navè Levinson s.A. und ihr Mann, Rabbiner Nathan Peter Levinson, wie auch Rabbiner Albert Friedlander halfen mir auf den "Weg nach Damaskus", falls ich mich dieses Bildes aus einer anderen Religion bedienen darf.

Durch die Unterstützung dieser Frauen und Männer kam in mir die klare Vorstellung von einem Rabbinatsstudium auf. Ich hatte immer davon geträumt, vor allem nachdem ich durch andere und durch Pnina Navé Levinson von Regina Jonas gehört hatte. Aber ich hätte nie geglaubt, daß es möglich sein würde, diesen Traum zu verwirklichen, weil meine jüdische Sozialisation deutsch geprägt war, und in Deutschland war so etwas für eine Frau nicht nur unmöglich, sondern es war auch absolut unerhört nur daran zu denken.

Ich hatte nicht das Gefühl, daß ich als Frau irgendwelche Probleme am College hatte. Ich hatte auch nicht das Gefühl, daß wir gegenüber den männlichen Studenten bei den Jobs benachteiligt wurden. Nein, ich empfand wirklich keinerlei Diskriminierung. Das Problem entstand auf einem anderen Gebiet. Es war meine Sozialisation. Die Tatsache, daß ich nicht als Engländerin geboren und aufgezogen war. Die Sprache war nicht das Problem. Ich sprach gut genug Englisch, grammatikalisch sogar besser als manche Engländer. Das Problem war, daß ich die englische Art nicht kannte und es niemanden gab, der sie mir beibringen würde. Wieder war ich die Außenseiterin. Wieder war ich im Abseits. Das Problem war nicht so sehr die nicht-jüdische englische Gesellschaft, in der ich jüdisch war. Es war vielmehr die jüdische Gesellschaft, in der ich nicht englisch war - keine englische Jüdin. Aber eine deutsche Jüdin...? Was nicht sein kann, nicht sein darf!

Im Juli 1983 erhielt ich die Smicha und im Oktober 1983 heiratete ich. Mein Mann und ich zogen nach Bedford, etwa 80 Kilometer nördlich von London. In einer Stadt wie Bedford, gibt es offiziell nur ein halbes Dutzend jüdische Familien. Das sind Familien, die Mitglieder einer Synagoge irgendwo in Großbritannien sind. Ich aber habe in den vergangenen 16 Jahren dort mindestens ein weiteres Dutzend jüdischer Familien kennengelernt, die aus den verschiedensten Gründen den Kontakt zu allem, was jüdisch ist, verloren haben. In der kleinen Straße mit ihren 18 Häusern, in der mein Mann und ich wohnen, fand ich bereits zwei Familien, die dem Judentum absolut entfremdet sind, obwohl sie ganz jüdisch sind. Dies sind alles Juden, die abseits des Judentums leben und die aus dem ein oder anderen Grund sich von organisierter Religion bedroht fühlen. Ich, als eine ins Abseits gedrängte, professionelle Jüdin konnte sehr gut eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Mir wurde dabei bewußt, daß ich in Wirklichkeit ebenso im Konflikt mit organisierter Religion liege, daß ich eine freie Querdenkerin bin, die sich nicht an die vorgegebene Linie hält und immer direkt auf dem Rand des Judentums lebt. Ich sympathisiere sehr stark mit solchen "marginalen" Juden im Abseits, und wann immer es möglich ist, helfe ich ihnen, auf welche Weise auch immer ins Judentum zurückzukehren.

Im meinem Hinterkopf trage ich nun den schwer auszudrückenden Gedanken, daß ich nicht aus Absicht oder Entscheidung heraus, sondern durch die Umstände die Rabbinerin für Juden im Abseits bin. Ich bin keine bezahlte Rabbinerin für "outreach"-Programme, aber ich teile mit solchen Menschen, denen ich auf meiner Lebensreise begegne, mein persönliches, privates Judentum. Ich lade sie ein zu Schabbatot, Sedarim, wir sitzen in der Sukka oder zünden die Chanukka-Kerzen an.

Ich muß zugeben, daß es mich traurig macht, Woche um Woche Briefe von jüdischen Bildungseinrichtungen zu erhalten, in denen ich um einen finanziellen Spendenbeitrag für die Ausbildung von mehr Rabbinern und Lehrern gebeten werde, weil es nicht genügend jüdische Professionelle gebe - während ich, die ich ausgebildet bin, ignoriert werde und keine Gelegenheit bekomme, meine Fähigkeiten in der nicht-orthodoxen jüdischen Welt einzusetzen. Ich weiß, daß ich nicht die einzige in dieser Situation bin. Aber das letzte, was ich tun möchte, ist anderen etwas vorzuwerfen oder sie dafür verantwortlich zu machen oder sie auf irgendeine Art zu kritisieren. Gleichwohl, wenn mich jemand fragen würde, ob ich verletzt bin oder ob ich empfinde, daß ich meine Talente vergeude, müßte ich Ja sagen. Ich bin verletzt worden, aber niemals hat dies meinen Glauben in G'tt und das Judentum erschüttert. Ich liebe G'tt und das Judentum mit jeder Faser meines Daseins. Ich weiß, daß ich nicht grundlos als Jüdin geboren wurde und ich weiß auch, daß ich etwas weiterzugeben habe. Aber wie soll ich das tun? Still und leise in der Abgeschiedenheit meines Zuhauses mit ein paar Verirrten hie und daß? Oder laut und klar von der Bima wie ein Schofarschall? Da der Zwang der Umstände mich zur Rabbinerin des Abseits gemacht hat, frage ich mich: Sollte ich meine Integrität und Identität kompromittieren, nur um einer größeren und somit etablierteren Gemeinschaft zu dienen? Auf diese Frage suche ich immer eine Antwort.

Gekürzter Vortrag von Daniela Thau, übersetzt aus dem Englischen von Elisa Klapheck

Daniela Thau wurde 1952 in Johannesburg, Südafrika als Kind jüdischer Emigranten aus Berlin geboren. In den späten 50er Jahren zog ihre Familie nach Deutschland zurück. 1978 nahm sie ihr Rabbinatsstudium auf und wurde 1983 am Leo Baeck College ordiniert. Seitdem lebte sie in Großbritannien, Schweiz und Indien.

Als Folge der Tagung wurde Daniela Thau von der Progressiven Gemeinde Or Chadasch nach Wien und dem Gleichberechtigten Gottesdienst nach Berlin eingeladen. In Berlin amtierten mit ihr und der Kantorin Mimi Sheffer erstmals seit der Schoa zwei Frauen an den Hohen Feiertagen. (Siehe auch "Reaktionen")

[INHALTSVERZEICHNIS BET-DEBORA JOURNAL]

[photo-exhibition] - [program] - [reactions]
[history of women in the rabbinate] - [women on the bima]
[start in german] - [start in english]

every comment or feedback is appreciated
iris@hagalil.com

http://www.hagalil.com





content: 1996 - 1999