Wer wird die arabische Welt umgestalten – die Völker der Region oder die USA?

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Tariq Ali ist ein britischer Autor, Filmemacher und Historiker. Er ist außerdem Langzeitmitglied der Redaktion der New Left Review und wirkt regelmäßig in The Guardian, CounterPunch (USA) und der London Review of Books mit. Er lebt in London. Dieser Artikel beschreibt eine von vielen Einschätzungen zur derzeitigen Entwicklung im Nahen Osten…

Die Rebellionen gehen weiter

Der Artikel erschien zuerst im „Guardian“ und bei „ZCommunications“ (Who Will Reshape the Arab World: Its People, or the US?) und wurde von Andrea Noll übersetzt.

Die politische Landkarte der arabischen Welt ist ein Flickenteppich, bestehend aus degenerierten nationalistischen Diktaturen, Klienten-Monarchien und Tankstellen des Imperiums, (Golfstaaten‘ genannt). Sie sind das Resultat des britischen und französischen Kolonialismus, der eine intensive Erfahrung war. Nach dem ‚Zweiten Weltkrieg‘ änderte sich das Szenario. Nach diesem Krieg setzte ein komplexer Prozess ein, in dessen Verlauf die imperiale Macht an Amerika überging. Eine der Folgen war ein radikaler, antikolonialistischer arabischer Nationalismus, eine andere die Expansion des Zionismus. Dies alles ereignete sich – im weitesten Sinne – im Rahmen des ‚Kalten Krieges‘ .

Als der ‚Kalte Krieg‘ zu Ende war, übernahm Washington die Kontrolle über die Region – zunächst mittels regionaler Potentaten, später durch direkte Besatzungen und die Installation von US-Militärbasen. Raum für Demokratie war in diesem Rahmen nie. Die Israelis protzten, sie seien eine Oase des Lichts im Herzen der arabischen Dunkelheit. Wie haben diese Faktoren die arabische Intifada (1) beeinflusst, die vor vier Monaten begann?

Im Januar vibrierten die Straßen Arabiens. Der Slogan, der die Massen verband – unabhängig von Religion und Klassenzugehörigkeit – lautete: „Al-Sha’b yurid isquat al-nizam!“ (Das Volk will, dass das Regime stürzt!). Die Szenen in Tunis wiederholten sich in Kairo, in Saana und Bahrain. Jetzt machte die arabische Bevölkerung auch in diesen Ländern mobil. Am 14. Januar (2) war die Menge skandierend vor das tunesische Innenministerium gezogen. Daraufhin entschloss sich Präsident Ben Ali, mit seiner Familie nach Saudi-Arabien zu fliehen. Am 11. Februar stürzte eine nationale Erhebung die Mubarak-Diktatur in Äypten. Auch in Libyen und im Jemen rebellierten mittlerweile die Massen.

Im besetzten Irak (3) protestierten die Demonstranten gegen die Korruption des Maliki-Regimes und später gegen die Präsenz der amerikanischen Truppen beziehungsweise gegen deren Basen. In Jordanien kam es zu landesweiten Streiks und zu Aufständen mehrerer Stämme. In Bahrain steigerten sich die Proteste spiralförmig – bis der Ruf nach dem Sturz der Monarchie ertönte. Diese Entwicklung versetzte die benachbarten saudischen Kleptokraten und deren Herren im Westen (die sich ein Arabien ohne Sultanate nicht vorstellen können) in Angst und Schrecken. Während ich dies hier schreibe, kämpft der korrupte und brutale Bathisten-Klüngel in Syrien ums Überleben. Das eigene Volk hat über diese Leute den Belagerungszustand verhängt.

Zwei Faktoren waren ausschlaggebend für die Rebellionen. Erstens ökonomische Gründe (Massenarbeitslosigkeit, steigende Preise, Mangel an wichtigen Gütern), zweitens politische Gründe, wie Vetternwirtschaft, Korruption, Unterdrückung und Folter. Ägypten und Saudi-Arabien sind zwei unentbehrliche Eckpfeiler der US-Strategie in der Region. Das bestätigte vor kurzem auch der amerikanische Vizepräsident Joe Biden, als er sagte, er mache sich mehr Sorgen um Ägypten als um Libyen.Doch die größte Sorge betrifft Israel. Man fürchtet, eine nicht kontrollierbare, demokratische Regierung könnte den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen. Bislang ist es Washington gelungen, die politischen Prozesse (in Ägypten) zu steuern. Mit äußerster Vorsicht orchestriert Amerika den Übergang. An der Spitze stehen Mubaraks ehemaliger Verteidigungsminister sowie der Generalstabschef. Letzterer steht den Amerikanern besonders nahe.

Das alte ägyptische Regime ist überwiegend intakt geblieben. Die wichtigste Botschaft lautet: Wir brauchen Stabilität. Geht wieder an eure Arbeit und beendet die Streikwelle. Hinter den Kulissen gehen die hektischen Verhandlungen zwischen Washington und der Moslembrüderschaft weiter (4). Die alte Verfassung bleibt – mit wenigen kleinen Änderungen -inkraft. Die arabische Welt ist weit davon entfernt, das südamerikanische Modell zu leben. In Südamerika bewegen Sozialbewegungen die Massen. Aus den Sozialbewegungen sind neue politische Organisationen hervorgegangen. Sie triumphieren an den Wahlurnen und setzen Sozialreformen durch. Die arabische Welt ist noch weit davon entfernt. Aus diesem Grund ist auch der ökonomische Status quo in der Region nicht gefährdet.

Sowohl in Tunesien als auch in Ägypten sind die Massenbewegungen noch immer hellwach, doch mangelt es ihnen an den nötigen politischen Instrumenten, die den Volkswillen widerspiegeln. Die erste Phase ist vorbei. Dies hier ist Phase Zwei: der Rückgang der Bewegungen.

Die Nato-Bomben auf Libyen (5) waren ein Versuch des Westens, in Sachen „Demokratie“ wieder die Initiative zu ergreifen (nachdem „seine“ Diktatoren andernorts gestürzt wurden). Die Bombardements haben die Situation jedoch weiter verschlimmert. Der so genannte Versuch, „einem Massaker“ präemptiv zuvorzukommen, hat hunderten libyischen Soldaten das Leben gekostet, von denen viele gezwungenermaßen gekämpft haben. Auf diese Weise gelang es dem abscheulichen Muammar Gaddafi (6), in der Maskerade eines Antiimperialisten aufzutreten.

Im Falle Libyens ist leider zu konstatieren, dass das libysche Volk in jedem Fall der Verlierer sein wird – unabhängig vom Ausgang des Ganzen. Das Land wird geteilt werden (in einen Gaddafi-Staat und ein mieses westliches Protektorat, an dessen Spitze ausgewählte Geschäftsleute stehen werden). Vielleicht gelingt es dem Westen aber auch, Libyen und dessen reiche Ölvorkommen insgesamt unter seine Kontrolle zu bringen. Soviel zur Schau gestellte „Demokratie“-Liebe (wie bei der Libyen-Intervention) wird anderen Schauplätzen der Region nicht zuteil.

Bahrain: Die USA gaben den Saudis ‚grünes Licht‘, einzumarschieren und die Demokraten zu zerschmettern. Sie gaben ‚grünes Licht, um die religiöse Spaltung voranzutreiben, um Geheimprozesse zu organisieren und Demonstranten zum Tode zu verurteilen. Bahrain ist heute zu einem Gefangenenlager geworden – zu einer toxischen Mischung aus Guantanamo und Saudi-Arabien.

In Syrien tötet der Sicherheitsapparat unter Führung der Assad-Sippe nach Gutdünken. Dennoch gelingt es ihm nicht, die Demokratiebewegung zu stoppen. In Syrien wird die Opposition nicht von Islamisten kontrolliert. Sie besteht aus einem breiten Bündnis, in dem sämtliche soziale Schichten vertreten sind (außer der Kapitalistenkaste, die weiterhin treu zum Regime hält).

Im Unterschied zu vielen anderen arabischen Staaten sind die syrischen Intellektuellen im Land geblieben. Sie sitzen in Haft beziehungsweise werden gefoltert. Säkulare Sozialisten, wie Riad Turk (7) und viele andere, sind in einer Untergrundbewegung – in Damaskus und Aleppo – weiter aktiv.
Niemand will eine Militärintervention des Westens. Sie wollen keinen zweiten Irak und kein zweites Libyen. Den Israelis und den Amerikanern wäre es lieber, wenn Assad an der Macht bliebe. So hielten sie es ja auch im Falle Mubaraks. Doch die Würfel sind noch nicht gefallen.

Im Jemen hat der herrschende Despot (Ali Abdullah Saleh) Hunderte von Zivilisten ermorden lassen. Doch die Armee ist gespalten. Die Amerikaner und Saudis versuchen im Jemen verzweifelt, eine neue Koalition zusammenzubasteln (siehe Ägypten). Doch die Massenbewegung widersetzt sich allen Deals mit dem Herrscher.

Die USA müssen mit den neuen politischen Verhältnissen in der arabischen Welt zurechtkommen. Wie wird das Ende aussehen? Für eine Prognose ist es zu früh. Wir wissen nur: Es ist noch nicht vorbei.

Anmerkungen:

  • (1) http://www.guardian.co.uk/world/arab-and-middle-east-protests
  • (2) http://www.guardian.co.uk/global/blog/2011/jan/14/tunisia-wikileaks
  • (3) http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2011/apr/25/united-states-troop-presence-iraq-long-term
  • (4) http://en.wikipedia.org/wiki/Muslim_Brotherhood
  • (5) http://www.guardian.co.uk/world/libya
  • 6) http://www.guardian.co.uk/world/muammar-gaddafi
  • 7) http://en.wikipedia.org/wiki/Riyad_al_Turk

1 Kommentar

  1. Tariq Ali behauptet ohne jeglichen Beweis „Den Israelis und den Amerikanern wäre es lieber,wenn Assad an der Macht bliebe.“ Kein Wunder gehört er doch auch zu den Hamas-Unterstützern. Kein Wunder gehört doch dieser Pakistanische Marxist zu der Riege der Antiimperialisten, die keine Gelegenheit auslassen, um den Staat Israel zu verleumden.
    Wer sich seine Ergüsse gegen Israel ansehen will, kann das auf youtube tun:
    http://www.youtube.com/watch?v=kvyccXBFa-A
     
     

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