Wir verwandeln uns in Italien

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Das ist keine Saure-Gurken-Zeit. Das ist ein wichtiger, nicht nur heißer Sommer. Die Orthodxoen in Jerusalem setzen die Straßen in Brand. Daniel Barenboim und „La Scala“ heizten den Tel Avivern ein. Die Polizei empfiehlt einen Strafantrag gegen Ehud Olmert. Ein Sieg im Davis Cup. Wilde Gesetzgebung in der Knesset. Barack Obama setzt seinen höflichen jedoch entschlossenen Kampf mit Bibi Netanjahu fort. Und über all diesem Lärm fällt die hartnäckige Gleichgültigkeit der israelischen Straße gegenüber seiner nationalen Zukunft ganz besonders auf…

Von Gideon Samet, Maariv v. 22.07.2009

Wer sich um diese Zukunft sorgt, ist der amerikanische Präsident. Er protestiert sehr energisch gegen die lokale Sorglosigkeit. Sollte die Aktion der Outpost-Räumung, wie sie gestern in Haaretz veröffentlicht wurde, tatsächlich anlaufen, dann wäre dies das Ergebnis seiner Bemühungen.

Aber wir – wir verwandeln uns in Italien. Als ich das Land besuchte, demonstrierte keiner meiner Gesprächspartner besonderes Interesse an dem Zusammenbruch des politischen Apparats, dessen Führung neue Rekorde in Korruption und Unzucht schlägt. Auch wenn Silvio Berlusconi ein Gesetz verabschieden will, das Strafverfahren gegen den Präsidenten, den Ministerpräsidenten und den Parlamentspräsidenten verhindert, regt das niemanden auf. Für die meisten Italiener ist Politik eine Farce, ein amüsantes Reality-Programm. Darüber braucht man sich nicht aufzuregen. Ganz so weit sind wir noch nicht, aber wir befinden uns schon auf dem Weg dorthin. Wie die Italiener, haut auch die Israelis das politische Fiasko, das sich ihnen bietet, nicht vom Stuhl. Die frei gewordenen Energien widmet man „Brot und Spielen“.

Das ist für Netanjahu natürlich ein fruchtbarer Boden. Er hat keine Opposition, und ein Teil von dem, was von ihr übrig geblieben ist, will sich seiner riesigen Koalition anschließen. Aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Vor allem, wenn er das Räumungsprogramm starten sollte. Dann wird die Unterstützung für ihn sogar noch zunehmen. Er wird dann in den Umfragen feststellen, dass irgendwo in dem ganzen Verdrängungsmechanismus die Bereitschaft der Öffentlichkeit existiert, denjenigen zu unterstützen, der die Israelis aus ihrer Ohnmacht reißt, in die sie freiwillig gefallen sind. Ein großer Konflikt um die Siedlungen ist unvermeidlich. Und sie wird die Israelis aus dem italienischen Streik retten, den sie ihrer nationalen Zukunft erklärt haben.

Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv