Efraim Zuroff ermittelt gegen Täter und
Handlanger des Dritten Reiches:
Die Unerbittlichkeit des Nazi-Jägers
Er war dem KZ-Arzt
Mengele auf der Spur
- und stellte schließlich dessen Tod fest.
Von Susanne Balthasar / Die Welt
9.10.1999
Wie ein Menschenjäger sieht
Efraim Zuroff nicht aus, eher wie ein Versicherungsvertreter: Brauner Anzug,
korrekter Seitenscheitel, Brille im Kassengestellformat. Aber Zuroff ist
auch ein Schreibtischjäger, einer, der von seinem Jerusalemer Büro aus den
Verbrechen der Vergangenheit nachspürt. Präzise, unerbittlich und, wenn es
sein muss, jahrelang.
Als Direktor des
Simon-Wiesenthal-Zentrums koordiniert er Menschen auf aller Welt, die
Alt-Nazis und Kollaborateure verfolgen. Wenn er Sätze sagt wie: "Es gibt
keine Zukunft, wenn nicht die Vergangenheit aufgeklärt ist", und dazu auf
den Tisch trommelt, dann ahnt jeder im Raum: Wen dieser Mann hinter seiner
Brille anvisiert, den verfolgt er bis ans Ende der Welt. Studenten,
Detektive und Historiker sammeln in seinem Auftrag Aussagen, Dokumente und
Beweise, bevor die Zeit die Kriegsverbrecher in die Ewigkeit entlässt. Wer
heute nicht angeklagt wird, kann morgen schon tot sein.
Efraim Zuroff hat fast immer seine
Finger im Spiel, wenn Alt-Nazis und Kriegsverbrecher Schlagzeilen machen. Er
war derjenige, der herausfand, dass der Auschwitzer SS-Arzt Josef Mengele
entgegen allen Gerüchten in Brasilien gestorben ist. Er sorgte dafür, dass
der frühere UN-Generalsekretär und Ex-Präsident von Österreich, Kurt
Waldheim, wegen möglicher Verbindung zu Nazi-Verbrechen bis heute nicht in
die USA einreisen darf. Und sein Name taucht auch immer wieder im
Zusammenhang mit den jüngsten Prozessen gegen osteuropäische Kollaborateure
wie den Kroaten Dinko Sakic auf. Dabei schien gerade er nicht für diesen
Beruf geboren. "Eigentlich macht sich jemand wie ich in dem Job lächerlich."
Geboren 1946 und aufgewachsen in
Brooklyn, war der Holocaust in Zuroffs Jugend nie ein Thema. Israel war weit
weg und Deutschland noch viel weiter. Das änderte sich 1961. Seine Mutter
setzte den damals 15-Jährigen vor den Fernseher, als Adolf Eichmann in
Jerusalem der Prozess gemacht wurde. Das zweite einschneidende Erlebnis
hatte Zuroff 1967, als der Sechstagekrieg ausbrach. Eine Welle der
Solidarität brach über die amerikanischen Juden herein, und Zuroff wurde von
ihr erfasst: Er beschloss, ein Jahr in Israel zu studieren. Ein Lebensweg
nahm seinen Lauf, der wie selbstverständlich auf den Beruf des Nazi-Jägers
zuzulaufen schien: Studium der jüdischen Geschichte, Holocaust-Forschung,
Arbeit am OSI, das Nazi-Verbrechen aufspürt, und seit 13 Jahren Leiter des
Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem. Ein Traumjob? "Meistens ist es sehr
frustrierend", sagt der 53-Jährige, "aber manchmal habe ich den schönsten
Job der Welt. Wer hat schon Gelegenheit etwas gegen das größte Übel der Welt
zu tun?" Das sehen viele Leute anders. Nirgendwo auf der Welt lässt man
Zuroff gern im braunen Schmutz wühlen. Wenn er, was selten genug vorkommt,
einem der Prozesse beiwohnt, die auf seine Initiative hin angestrengt
wurden, wird er häufig als "Judensau" oder "Drecksjude" beschimpft - so viel
Deutsch hat er sich selbst auf dem Balkan und in Osteuropa erhalten, um das
zu verstehen.
Im Moment ist Zuroff hauptsächlich in
Osteuropa aktiv. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, beginnt dort die
langsame Aufarbeitung der Vergangenheit. Gerade in den ehemals
kommunistischen Ländern war die Unterstützung der Bevölkerung für die Nazis
groß. "Der Holocaust war ein europäisches Phänomen", sagt Zuroff. Seine
Arbeit soll dazu beitragen, dass ein Litauer, der 50 Menschen ermordete und
dann mit einem Akkordeon auf dem Leichenberg tanzte, nicht vergessen wird.
Mit seiner Aufgabe lastet das Schicksal
von sechs Millionen ermordeten Juden auf Zuroff - wie ein unsichtbares Paket
scheint er es in jeden Raum zu schleppen. Dabei wirkt er in seiner
aufgeräumt-amerikanischen Art ausgesprochen nüchtern, wenn er von der
Judenhatz der litauischen Bevölkerung oder von dem kroatischen
Faschistenführer erzählt, dem man zum Geburtstag einen Korb mit Augen
überreichte. Für solche Greueltaten sammelt er seit über 20 Jahren Beweise.
Wenn er die zusammen hat und darüber hinaus noch politisch Druck macht, dann
wird mit viel Glück ein Verfahren eingeleitet. Wie im Fall von Alexander
Lileikis, dem Chef der litauischen Geheimpolizei "Saugumas". Vor Gericht
durfte sich der mutmaßliche Mörder erst einmal wortreich für unschuldig
erklären, bevor er ein christliches Gebet sprach und herzanfallähnlich
zusammenbrach. Das Zuroff-Syndrom, sagt Zuroff. Als Misserfolg mag der
Nazi-Jäger den Prozess allerdings nicht ansehen: "Gerechtigkeit ist nicht
immer die konkrete Bestrafung, sondern auch die Verbreitung von Wahrheit."
Die will aber nicht jeder hören. Der Fall Lileikis ist ein Symptom für einen
Virus, der oft zeitgleich mit Zuroff auftritt: die Beschönigung der
Vergangenheit. Zuroff erklärt: "Kein Land mag es, wenn es die eigenen Leute
vor Gericht stellen muss." Schon gar nicht, wenn dadurch die eigenen
Verbrechen ans Licht kommen, die ein halbes Jahrhundert lang verdrängt
wurden.
Auch in Deutschland liegt noch einiges
im Argen. Mittlerweile hat sich Efraim Zuroff zwar daran gewöhnt, im Land
der Täter zu recherchieren, aber die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen stellt
ihn längst nicht zufrieden. Über die Änderung des Bundesversorgungsgesetzes
im Januar 1998 ist er heute noch enttäuscht. Dabei schien das Gesetz auf den
ersten Blick Richtiges zu bewirken: Denjenigen, die im Krieg Verbrechen
gegen die Menschlichkeit begangen hatten, sollte die Kriegsversehrtenrente
gestrichen werden. Rund eine Million Menschen erhalten diese Rente, 436 000
von ihnen haben den Nazis gedient.
Der damalige Bundesarbeitsminister
Norbert Blüm beauftragte Zuroff mit der Recherche nach den Schuldigen,
woraufhin er 12 000 Namen von Verdächtigen vorlegte. Ganze vier Rentenbezüge
wurden dann gestrichen. Der Grund: Dem Entzug der Rente muss ein
rechtskräftiges Urteil vorangehen. Ein Verbrechen nach über 50 Jahren
juristisch nachzuweisen, gelingt aber nur in den seltensten Fällen. "Ohne
Änderung ist das Gesetz eine Farce", so Zuroff.
Wegen solcher Enttäuschungen setzt er
sich für den Ansatz der USA ein. Dort endet seine Jagd derzeit besonders
häufig. Während deutsche Nazis sich hauptsächlich in Südamerika und im
Mittleren Osten niederließen, gingen viele osteuropäische Kollaborateure in
die angelsächsischen Länder. Die mutmaßlichen Kriegsverbrecher werden dort
wegen Verstoßes gegen das Einwanderungsgesetz des Landes verwiesen - keine
angemessene Strafe, aber eine wirksame. "Wenn die Frage lautet, eine kleine
Strafe oder keine, dann ist die Antwort doch offensichtlich", sagt Zuroff.
Die Unerbittlichkeit des Nazijägers ist
auch in seinem Glauben begründet. Nach jüdischer Auffassung zieht fehlende
Gerechtigkeit noch mehr Gewalt nach sich. Und dann hat Simon Wiesenthal für
Efraim Zuroff eine entscheidende Rolle gespielt. So entscheidend, dass er
auf die Frage nach dem "Warum" immer eine Geschichte erzählt, die Wiesenthal
ihm vor vielen Jahren selbst erzählt hat: "Im Jenseits werden wir Juden mit
den Opfern des Holocaust zusammentreffen. Die Opfer werden fragen: ,Was habt
ihr getan im Leben?' Der eine wird sagen: ,Ich war Anwalt.' Der nächste:
'Ich war Lehrer.' Und ich werden sagen: ,Ich habe euch nicht vergessen.'"