Christine Dössel /
SZ im Gespräch mit Amos Oz:
Staat und Religion in Israel
Yoram Kaniuk schrieb nach den Wahlen: Jetzt sei die Chance da,
einen neuen jüdischen Staat zu schaffen, ihm eine Verfassung zu geben und
Staat und Synagoge zu trennen. Sehen Sie das genauso?
Sehr gute Idee: Staat und Synagoge trennen; Israel eine
Verfassung geben; es zu einer säkularen, westlichen Demokratie machen –
aber ich glaube nicht, daß Barak das alles gleichzeitig machen kann.
Staat und Religion trennen? Nichts leichter als das! Ein Anruf bei den
Ultra-Rechten genügt. Man muß ihnen nur sagen: Also gut, laßt die
Siedlungen stehen; wir werden keinen palästinensischen Staat anerkennen
– und sie werden die Trennung von Religion und Staat akzeptieren, auch
eine Verfassung. Ich empfehle das nicht.
Wir sollten jetzt erst einmal den Friedensprozeß im Auge behalten
und das Thema 'Kirche und Staat' hintanstellen. Vergessen Sie nicht, daß
im christlichen Europa Staat und Kirche Hunderte von Jahren brauchten
und sehr viel Blut geflossen ist, bis sie sich voneinander lösten. Es
wird hier nicht so lange dauern, aber es sollte Schritt für Schritt, auf
einem evolutionären Weg geschehen.
Auch innerhalb der jüdischen Gesellschaft gibt es Konflikte.
Trotz des Geschreis, das es da immer gibt, glaube ich, daß von
all den Divergenzen in der israelischen Gesellschaft die
Aschkenasim-Sephardim-Problematik diejenige ist, die sich von selbst
regeln wird - vor allem durch Mischehen. Es gibt keine offiziellen
Zahlen. Aber inoffizielle Statistiken deuten darauf hin, daß ungefähr
25% der israelischen Juden weder aschkenasisch noch sephardisch sind.
Das passiert direkt vor unseren Augen. In zwei Generationen wird es
zwischen Aschkenasim und Sephardim keine Trennlinie mehr geben.
Es gibt zwei viel größere Probleme: Die Regierung muß sich der
Armut und der Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsstädten annehmen. Und
zwar nicht, weil diese Leute sephardisch sind, sondern weil sie arm
sind. Das zweite ist der Multikulturalismus: die Fähigkeit,
sephardisches Erbe auf eine Weise zu akzeptieren, wie das in der
Schmelztiegel-Philosophie der fünfziger und sechziger Jahre nicht der
Fall war. Aber auch das vollzieht sich sehr schnell. Soweit ich das
beurteilen kann, wird das orientalische Erbe in der Kultur immer
populärer. Worum ich mich am meisten sorge, sind die sozialen und
ökonomischen Bedingungen in Israel.
Während des Golfkrieges war Amos Oz einer der schärfsten
Kritiker der europäischen Pazifisten. Der israelische Schriftsteller gilt
als das Gewissen seiner Nation. Als ihm 1998 der "Israel Preis“ für
Literatur zugesprochen wurde, protestierten rechtsgerichtete Siedler und
fundamental-religiöse Nationalisten.
haGalil onLine -
08-99 |