'Der Staat ist eine
Tatsache'
Ex-Ministerpräsident Schim'on Peres zur
Verschiebung
der Ausrufung eines eigenen palästinensischen Staates
taz: Sie haben als einer der ersten israelischen Politiker die
Gründung des Staates Palästina offen eine unvermeidbare Tatsache genannt.
Halten Sie die Entscheidung des PLO-Zentralrats, auf die Ausrufung am 4. Mai
zu verzichten, für überflüssig?
Schimon Peres: Wenn ein Kind geboren wird, muß man ihm einen
Namen geben. Die Staatsausrufung ist der Name für das Kind, das wächst, ob
mit oder ohne Namen. Der Staat ist Tatsache. Trotzdem wäre es ein Fehler
gewesen, ihn jetzt auszurufen. Es wäre eine Einmischung in den israelischen
Wahlkampf gewesen und hätte die Fortsetzung der Verhandlungen in Gefahr
gebracht. Die Palästinenser hätten Netanjahu einen Gefallen getan und
Gebiete eingebüßt.
Angenommen die Arbeitspartei gewinnt die Wahlen, und die
Palästinenser rufen ihren Staat unmittelbar nach der zweiten Wahlrunde aus.
Würde das dann auch noch Schaden anrichten?
Eine unilaterale Erklärung, wird immer nur eine Erklärung bleiben.
Wenn man einen Staat mit allem, was zu einem richtigen Staat gehört, haben
will, dann muß er das Ergebnis von Verhandlungen sein und nicht nur einer
Proklamation. Wir blasen nicht auf Trompeten, sondern wir müssen eine neue
Situation schaffen. Politik ist kein Orchester."
Trotzdem sagen Sie, daß der Staat bereits Tatsache ist?
Und ich bin dafür. Ich sehe die Realität, wie sie ist: Es ist
entweder Oslo oder Kosovo. Das ist die Wahl vor der wir stehen. Ich
persönlich ziehe Oslo vor. Wir sind fünf Millionen Juden und vier Millionen
Araber. Wir können uns vermischen wie Rührei und uns gegenseitig auffressen
wie Schlangen. Oder wir können zusammen leben. Ich rede nicht nur von einem
palästinensischen Staat, sondern wir sollten tun, was in unserer Macht
liegt, damit Israel ein moderner und demokratischer
Wohlfahrtsstaat sein wird, der die klare Philosophie verinnerlicht hat, daß,
je besser es den Palästinensern gehen wird, umso besser wird die
Nachbarschaft funktionieren. Wenn ich es zynisch sagen will: Es ist
billiger, eine Ansicht zu ändern, als Menschen zu töten.
Sobald die Verhandlungen über den Endstatus der
palästinensischen Gebiete beginnen, wird die Frage nach der Hauptstadt
aufkommen ...
Es wird nicht Jerusalem sein. Die Palästinenser haben in dieser
Angelegenheit ein bißchen übertrieben. Die Demographie Jerusalems zeigt
400.000 Juden und 200.000 Araber. Dazu kommt, daß Jerusalem historisch
gesehen niemals eine arabische Hauptstadt war, während das jüdische Volk
niemals eine andere Haupstadt hatte als Jerusalem. Wir werden Jerusalem
nicht zu einem zweiten Berlin machen. Es gibt Alternativen, die vielleicht
fünf oder zwei Kilometer, vielleicht nur 500 Meter von Jerusalem entfernt
liegen. Ich war einmal auf einer Pressekonferenz zusammen mit Jassir Arafat.
Einer der Reporter fragte ihn: "Sie sind hier mit Herrn Peres und sprechen
über Jerusalem als palästinensische Hauptstadt?"Arafat antwortete: "Warum
nicht? Habe ich vielleicht nicht das Recht zu träumen?" Ich habe dann
hinzugefügt: "Für einen Traum genügt eine Partei, aber für ein Abkommen
braucht man zwei." Ich werde ihm seinen Traum nicht nehmen. Aber das
Abkommen wird anders aussehen.
Wann rechnen Sie mit dem neuen Staat?
Nach den Wahlen werden wir, wenn wir eine Regierung unter der
Arbeitspartei haben, die Verhandlungen wieder aufnehmen. Daten werden dann
ihre Wichtigkeit verlieren. Aber alles hängt an den Wahlergebnissen.
Interview: Susanne Knaul / taz