Lettland und die SS-Veteranen:
Staatliche Geschichtsrelativierung schlecht für
EU-Beitritt
Der lettische Präsident verlor kurz die Fassung. "Es
sind keine SS-Veteranen" sagte Guntis Ulmanis beschwörend, als ihn der Autor
zum geplanten Treffen lettischer SS-Veteranen am 16. März befragte.
"Verschiedene Gruppen bei uns haben verschiedene Traditionen" fügte das
lettische Staatsoberhaupt noch hinzu.
Tatsächlich kämpften gegen Ende des 2.Weltkrieges Letten gegen
Letten. Auf der einen Seite die SS-Einheit, die erst im Jahre 1943 auf
Hitlers persönlichen Befel hin gebildet wurde und am 16. März desselben
Jahres ihren ersten Kampf focht, auf der anderen Seite Stalins
Vorzeigetruppe, die "Lettischen Schützen". Letten, die Juden mordeten,
bevor die Deutschen Besatzer im Juni 1941 Lettland besetzten, und danach
mit deutscher Hilfe ihre bestialischen Taten fortsetzten, wurden gern in
die SS-Einheit integriert. Der 1975 von einem deutschen Gericht
verurteilte Viktor Arajs, einer der berüchtigsten Schlächter, war mit
seiner Gruppierung auch dabei.
Bis zum Jahre 1991 waren die Lettischen Schützen verdiente
Kämpfer zum Ehre und Ruhme der Sowjetunion, seit 8 Jahren scheint die
lettische Gesellschaft den SS-Veteranen ihre Ehre zu erweisen . Zu gern
wird im seit 1991 unhabhängigen Lettland Hitler mit Stalin verglichen.
Sekundiert werden sie durch unklare Töne in der Politik
der häufig wechselnden Regierungen der jungen unhabhängigen Republik.
So gab ein Mitglied der LNNK (Partei für Vaterland und Freiheit) , die
bis zur Parlamentswahl im November 1998 mit Guntars Krasts den Premier
stellte, in Lettland ein Buch Joseph Goebbels heraus.
Titel: "Das schreckliche Jahr". Es
behandelt die Ereignisse des Jahres 1940, die sowjetische Besetzung
Lettlands, mit Betonung der Rolle von Juden, die nach Angaben des Autors
hauptverantwortlich für die Verfolgung von Letten waren. Solche
Argumente werden gerne angeführt, wenn es darum geht die Rolle von
Letten als Täter zu vertuschen.
Ein Ausschlussverfahren der LNNK in der letzten Woche sollte
zeigen, daß die Gesinnung von Hitlers Propagandaminister nicht
Gegenstand der Politik einer führenden politischen Kraft im heutigen
Lettland sein kann. Im Verfahren wurde auch die Tatsache bekannt, daß
der nunmehr ausgeschlossene LNNK-Mann sich vehement für das "Recht auf
Freie Meinungsäußerung" des vor kurzem in
Dänemark verhafteten und nach Deutschland überstellten,
berüchtigten US-Neo-Nazis Gerry Lauck, eingesetzt hatte.
In Lettland ist den führenden Politikern klar, daß Aufmärsche
wie der vom 16.März eher nachteilig für EU-Integration und Nato-Beitritt
sein könnten. Der Beschluss vom Juni 1998, den 16.März zum offiziellen
Soldatentag zu erklären, tat ein Übriges. Guntis Ulmanis würde heute so
ein Gesetz nicht mehr unterschreiben, sagte er vor zwei Wochen im
lettischen Radio.
Die europäische Union täte gut daran höflich nachzufragen. Dies
geschah auch beim Wiener EU-Gipfel im Dezember 1998. Lettlands
Langzeitaussenminister Valdis Birkavs rechtfertigte sich mit der
Begründung, der Beschluss über den Soldatentag und die Aufforderung, die
Rechte von Lettlands SS-Veteranen vor "ungerechtfertigten Angriffen" zu
schützen, wäre von einem bereits abgewählten Parlament verabschiedet
worden.
Eine sichtliche Unruhe der lettischen Diplomatie
sorgte für einen zarten Umdenkprozess kurz vor den Iden des März 1999
Ein Gesandter aus dem Stab des österreichischen Vizekanzlers
Schüssel schilderte in Beantwortung einer entsprechenden Frage für
Lettland die Bildung einer Historikerkommission, die es bis dato nicht
gibt. Die baltischen Republiken sind nur eine Fussnote in der
europäischen Politik, kommen nur in Zusammenhag mit und um Rußland vor.
Eigentlich schade.
Die Tragödie in Deutschland ist, daß sich bisher fast nur
unverbesserliche Betonköpfe, wie der als dem kroatischen Präsidenten
nahestehende Schreiber der Welt und bewährter kalter Krieger Carl Gustav
Ströhm, für die Baltischen Republiken interessierten. Dies sollte aber
zu ändern sein.
Auf daß sich Europa nicht in ein riesiges Ulrichsberg verwandle
(im Kärtner SS-Veteranentreffpunkt in der Nähe von Klagenfurt), in
welchem Jörg Haider stets bereisteht, die "Anständigkeit" der Taten der
SS zu betonen. Wie würde sich wohl der österreichische "Rechtspopulist"
im Parteiengefüge Lettlands plazieren?
Lettland täte gut daran, sich vom blutigen Erbe der Täter der
Shoah zu distanzieren, meint der Leiter des Wiesenthal Centers in
Jerusalem, Efraim Zuroff. Ein für den 15.3 geplantes Treffen Zuroffs mit
dem lettischen Präsidenten Guntis Ulmanis wurde kurzfristig verschoben.
Solche Unzuverlässigkeit hat System. Ob der Paradigmenwechsel zur
eigenen Vergangenheit in Lettland stattfindet, wie ihn der
aussenpolitische Berater des lettischen Präsidenten, Dr. Armands
Gutmanis beschwört, wird sich weisen.
SLW
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Donnerstag 18-03-99 |