Untersuchungsbericht über die Ausplünderung französischer Juden
veröffentlicht:
Die vergessenen Konten der deportierten Juden
Während in Europa der Zweite Weltkrieg
tobte, wurden unzählige Juden aus Frankreich nach Auschwitz deportiert.
Damals wurde ihnen auch ihr Geld abgenommen, das noch heute auf Konten der
staatlichen Depositenkasse liegt.
Von Hans-Hagen Bremer, Paris
Sie waren zumeist kleine Händler und Handwerker. Erst
mußten sie ihre Geschäfte aufgeben. Dann wurden den Juden in Frankreich
Anfang der 40er Jahre ihre Konten gesperrt und ihre Geräte, Vorräte und
Waren beschlagnahmt. Und als die Menschen schließlich ins Lager Drancy bei
Paris, der Durchgangsstation für das Vernichtungslager Auschwitz,
eingeliefert wurden, nahmen ihnen ihre Bewacher auch noch das letzte Geld
ab, das sie in der Tasche hatten. Die Beträge wurden von den Machthabern
schließlich ordnungsgemäß quittiert und bei der Caisse des dépôts et
consignations (CDC) eingezahlt.
Mehr als zehn Millionen Francs - nach heutigem Wert etwa sechs
Millionen Mark - kamen auf diese Weise zusammen. Und das Geld liegt noch
immer - entgegen den französischen Gesetzen - auf den Konten der
staatlichen Depositenkasse. Dies steht jedenfalls in einem
Zwischenbericht einer Kommission, die dem Verbleib des während des
Krieges konfiszierten jüdischen Eigentums nachgehen soll. Eingesetzt
wurde die Kommission bereits im Jahre 1997 von der Regierung Alain
Juppé. Nur ein verschwindend geringer Teil des Geldes konnte nach dem
Zweiten Weltkrieg an die Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben
werden. Von den 75000 von 1941 bis 1944 aus Frankreich deportierten
Juden passierten 67000 Drancy. Nur 2500 kamen zurück.
Die Ausplünderung der Deportierten ist nur ein kleines, wenn
auch tragisches Detail in der Geschichte der etwa 330000 damals in
Frankreich lebenden Juden. Auf 3,5 Milliarden Francs - nach dem heutigen
Wert über eine Milliarde Mark - beziffert die Kommission das
Geldvermögen, das den Juden in Frankreich durch die Sperrung von Konten,
die Beschlagnahme von Sparguthaben, den Zwangsverkauf von Wertpapieren
oder die Auferlegung von Strafgeldern genommen wurde. Die Werte landeten
bei der Depositenkasse oder wurden von staatlich beauftragten Notaren
verwaltet. Ein Teil wurde dem sogenannten Judenkommissariat zur
Verfügung gestellt. Nicht enthalten sind in dem Betrag die
Vermögenswerte aus der sogenannten Arisierung von Unternehmen,
enteignetem Immobilienbesitz sowie dem Raub von Kunstgegenständen.
In ihrem Bericht weist die von dem früheren Résistance-Kämpfer
und langjährigen Präsidenten des Wirtschafts- und Sozialausschusses Jean
Matteoli geleitete Kommission auf den Eifer hin, mit dem damals Banken
und Behörden des herrschenden Vichy-Regimes den Anordnungen der
deutschen Besatzer zur wirtschaftlichen Entrechtung der Juden
vorauseilten. Zur ihrer Enttäuschung mußten die Häscher feststellen, daß
es mit dem in der antisemitischen Propaganda behaupteten Einfluß der
Juden auf die französische Wirtschaft nicht weit her war. Nur knapp zehn
Prozent der blockierten jüdischen Konten enthielten Guthaben von über
10000 Francs (heute etwa 6000 Mark). Über den Umfang der nach dem
Zweiten Weltkrieg zurückgegebenen Werte enthält der Bericht keine
präzisen Angaben. Die entsprechenden Dokumente seien in den
verschiedensten Archiven verstreut. Oft fehlten klare Hinweise, daß es
sich um die Rückgabe jüdischen Eigentums handelte.
Ungewiß sind vor allem die Ansprüche auf die in etwa 2000
Banktresoren gelagerten Werte. Dagegen konnten geraubte Bankguthaben und
Aktiendepots unmittelbar nach dem Krieg in großer Zahl zurückgegeben
werden - ebenso blockierte, enteignete oder in Treuhänderschaft
genommene Konten. Deren Eigentümer ging es besser als den Deportierten
Juden von Drancy, wie die Matteoli-Kommission schreibt: Sie hatten die
Möglichkeit, sich nach dem Krieg um ihr Recht zu kümmern.
Rita Thalmann: Gleichschaltung in Frankreich 1940-1944,
Europäische Verlagsanstalt - 58DM
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Montag 08-03-99 |