David Goldberg aus Israel - der erste Rabbiner in Hof:
Verständnis für die jüdische Religion wecken
Seit einigen Monaten hat die
jüdische Gemeinde in Hof einen Rabbiner: David Goldberg. Er betreut
ungefähr 250 Gemeindemitglieder, von denen die meisten in den
vergangenen Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Hof zugewandert
sind.
Von Elfriede Schneider -
http://www.frankenpost.de/
HOF. - Im Leben einer jüdischen Gemeinde hat der Rabbiner
viel weitreichendere Aufgaben als ein Pfarrer in evangelischen oder
katholischen Gemeinden. Er ist vor allem Lehrer, weil im jüdischen Glauben
Lernen, Bildung und Erziehung einen sehr hohen Stellenwert haben. Die
Gelehrsamkeit mancher Rabbiner ist legendär. ,,Als Rabbiner'', sagt David
Goldberg, ,,kommt man aus einer frommen Familie und beginnt mit der Geburt
das Lernen.''
Der 50jährige stammt aus Jerusalem, seine Familie kam
ursprünglich aus Osteuropa und lebt in vierter Generation in Israel.
Sein Vater war Rabbiner, alle seine Brüder sind ebenfalls Rabbiner oder
Kantoren. Er wurde an einer Talmudschule ausgebildet und erwarb parallel
dazu ein staatliches Lehrerdiplom. Was macht das Besondere eines
Rabbiners aus? ,,In Israel sind Rabbiner ganz alltägliche Menschen'',
antwortet David Goldberg lächelnd, ,,weil es dort so viele gibt.''
Ins Ausland
Weil es also in Israel so viele Rabbiner gibt, entschloß er sich
vor drei Jahren, ins Ausland zu gehen, und er wählte Deutschland. Viele
israelitische Rabbiner, so berichtet er, wollten in die USA, nach
England oder in die Schweiz, aber nicht nach Deutschland: wegen der
Vergangenheit und weil die Nazis nicht nur die Juden, sondern auch die
einst so reiche deutsch-jüdische Kultur vernichtet haben. ,,Deutschland
ist weit von der jüdischen Religion entfernt'', sagt Goldberg. Von den
Juden, die hier lebten, seien vielleicht nur fünf Prozent als fromm zu
bezeichnen, ,,das ist, wie wenn man in eine Wüste geht. Es ist sehr
schwer, zur Religion zurückzukehren.''
In Deutschland könne er viel mehr für seine Religion tun als in
Jerusalem, findet der Rabbiner, und verschmitzt lächelnd setzt er hinzu:
,,In Israel fällt es nicht auf, daß ich weggegangen bin, aber hier habe
ich ein weites Feld vor mir.'' In ganz Deutschland gibt es zur Zeit 17
Rabbiner, in Bayern vier - außer in Hof noch in München, Augsburg und
Fürth. Zudem ist David Goldberg einer von drei Rabbinern in Deutschland,
die auch Beschneidungen vornehmen.
250 Mitglieder
David Goldbergs erste Station in Deutschland war Berlin. In Hof
betreut er die im August 1997 eröffnete neue Synagoge und die jüdische
Gemeinde mit etwa 250 Mitgliedern, von denen zwischen 60 und 80
regelmäßig zu den Gottesdiensten kommen. Anders als christliche
Theologen, die vor allem nach ihren Predigten und Veröffentlichungen
beurteilt werden, hängt der Ruf eines jüdischen Rabbiners von der
Qualität des Gemeindelebens ab.
Vor der Grenzöffnung zählte die jüdische Gemeinde in Hof nur
wenige Mitglieder. Nach 1990 kamen viele Kontingentflüchtlinge aus der
ehemaligen Sowjetunion, die meisten dem jüdischen Glauben und der
hebräischen Sprache entfremdet. Also muß Rabbiner David Goldberg erst
einmal Grundlagenarbeit für jüdisches Leben leisten. Freitagabend, am
Samstag (dem Sabbat) und an allen Feiertagen hält er das Gebet in der
Synagoge, das traditionell in Hebräisch gesprochen wird. Weil die
meisten der zugewanderten Juden diese Sprache ihrer Vorväter nicht mehr
beherrschen, hat der Rabbiner die Texte in russisches Alphabet
umgesetzt. So können alle mitbeten. Wer mag, darf die Gebete aber auch
in russischer Sprache sprechen. Höhepunkte des Gemeindelebens sind die
Feste: das Purimfest im Frühling, das dem Fasching ähnlich ist; das
Laubhüttenfest im Herbst; Chanukka, das achttägige Lichterfest zur
Wintersonnenwende mit Geschenken für die Kinder.
Im Gespräch
Weil jüdisches Leben viel mehr ist als regelmäßige Gebete und
Gottesdienste, ist David Goldberg auch Ansprechpartner und Organisator
in privaten Angelegenheiten. ,,Ich versuche, den Gemeindesaal zum
zweiten Wohnzimmer zu machen'', sagt er. Er unterrichtet die Kinder -
zur Zeit sind es 13 - in religiösen Dingen, vermittelt Deutschkurse,
weil gerade die Älteren unter den Kontingentflüchtlingen sich häufig
scheuen, öffentlichen Deutschunterricht zu besuchen, bietet
Freizeitgestaltung an oder hört einfach nur zu, wenn sich einer einsam
fühlt oder Verlangen nach einem Gespräch hat.
Diese nach innen, in die Gemeinde gerichtete Arbeit wird ergänzt
von der Kontaktpflege nach außen. David Goldberg hält enge Kontakte zu
Schulen, mit evangelischen und katholischen Geistlichen und macht
Führungen in der Synagoge. Mit Leon Gonczarowski, Vorsitzender der
jüdischen Gemeinde in Hof, legt er großen Wert darauf, Verständnis für
die jüdische Religion zu wecken. Gonczarowski, der als
Holocaust-Überlebender 1945 nach Hof gekommen ist, sagt: ,,Man soll
nicht denken, wir machen irgendwas Geheimnisvolles. Unser Glaube ist
genauso wie jeder andere Glaube, wir haben nur andere Rituale und
Gebräuche. Wir streben ein offenes Haus an und wollen uns nicht
verstecken. So, wie wir die anderen Religionen achten, bitten wir um
Respekt für unsere Gebräuche und unsere Religion.''
Der Rabbiner freut sich, daß es in Hof vor allem in den Schulen
und einigen christli chen Gemeinden großes Interesse gibt, mehr über die
jüdische Religion zu erfahren. Der Gedanke an die Kraft der Aufklärung
tröstet ihn, wenn er von den Anschlägen gegen jüdische Einrichtungen
hört.
Wenn David Goldberg dazu aufruft, an einer besseren Zukunft zu
bauen, dann klingt dies nicht nach einer Phrase, sondern nach gelebter
Versöhnung, bei der man das Vergangene kennt und es nicht verdrängt. Zur
Diskussion um die Walser-Rede sagt der Rabbiner: ,,Wie kann man
vergessen, was geschehen ist? Ein Volk, das die Vergangenheit vergißt,
hat keine Zukunft.'' Als frommer Jude sehe man ohnehin viele Dinge
anders. ,,Alles, was passiert, kommt von Gott. Das menschliche Wissen
ist zu kurz, um zu erkennen, warum etwas geschieht.''
In Jahrhunderten
Als Gottes Offenbarung gilt die Tora, die fünf Bücher Moses, die
auch Bestandteil der christlichen Bibel sind. Auf ihr baut der Talmud
auf, der in Jahrhunderten entstanden und in 30 umfangreichen Büchern
aufgezeichnet ist. ,,Man kann es nicht schaffen, alles zu lernen, was im
Talmud steht, auch wenn man 200 Jahre alt würde'', berichtet David
Goldberg. Der Talmud ist nicht nur Religion, sondern auch Psychologie,
Physik, Mathematik, Philosophie - er ist alles, was im Leben wichtig
ist. ,,Auch wenn ein Mensch außer dem Talmud nichts wüßte, wäre er sehr
gescheit'', sagt der Rabbiner. Die jüdische Religion sei eine Religion
der Gesundheit und des Lebens und pflege die Heiterkeit und den Witz -
gerade wegen der Verfolgungen und der schweren Zeiten, denen Juden immer
wieder ausgesetzt waren: ,,Gott will, daß die Menschen sich freuen. Es
ist allein schon eine gute Tat, wenn jemand froh ist, denn wenn jemand
traurig ist, leidet die ganze Umgebung.''
Unverkrampft
David Goldberg vertritt diese Regel mit Überzeugung. Immer
wieder blitzen seine Augen verschmitzt, und seine Erzählungen leben
durch ihre wärmende Herzlichkeit. Für die jüdische Gemeinde in der
Oberkotzauer Straße 66 in Hof strebt er ein Erscheinungsbild an, das
offen und unverkrampft zum Bild der Stadt gehört. Für Gruppen und
Schulklassen bietet er Führungen an. Interessenten können sich
schriftlich anmelden.
Es ist ein schönes Omen, daß Goldbergs jüngster Sohn Shimon
bereits in Hof geboren ist. Der Rabbiner, der aus erster Ehe in Israel
fünf Kinder und auch schon Enkel hat, erzählt strahlend von der
Beschneidungsfeier für den Jungen, der ersten seit 23 Jahren in Hof, und
daß seine Frau, eine gebürtige Holländerin, sich in Oberfranken sehr
wohl fühlt: ,,Sie sagt, die Leute hier sind offen und gehen unverkrampft
auf sie zu und sprechen mit ihr.'' Und dann setzt er nachdenklich hinzu:
,,Mit Reden kann man viel bewirken.''
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Sonntag 10-01-99 |