Zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
In Deutschland leben 7,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer - ungefähr
die Hälfte seit mehr als 10 Jahren. Viele noch länger. Jährlich werden ca.
100.000 ausländische Kinder geboren, die hier aufwachsen, zur Schule gehen
und arbeiten werden. Dennoch sind sie rechtlich Ausländer. Die neue
Bundesregierung will eine Reform des Staatsbürgerschaftsrecht von 1913, um
die Integration der auf Dauer bei uns lebenden ZuwandererInnen zu
erleichtern. Die Unionsparteien, die es in sechzehn Regierungsjahren
fertiggebracht haben jeden Fortschritt zu einer für alle Bewohner dieses
Landes akzeptablen und demokratischen Regelung abzublocken, machen nun mobil
gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts.
Eine Zusammenfasung soll zeigen, worum es der
Regierungskoalition bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
vorrangig geht:
- Kinder ausländischer Eltern erhalten mit der Geburt in
Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil hier
geboren wurde oder bis zum 14. Lebensjahr nach Deutschland eingereist
ist. Voraussetzung: eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Mutter
bzw. des Vaters. Die Eltern können ihren Kindern nicht verwehren,
Deutsche zu werden: Sie haben also kein "Ausschlagungsrecht".
- Einen Einbürgerungsanspruch erhalten - Unterhaltsfähigkeit
und Straflosigkeit vorausgesetzt:
- AusländerInnen mit acht Jahren rechtmäßigen
Inlandsaufenthalt,
- minderjährige AusländerInnen, wenn ein Elternteil über
eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, und sie seit fünf
Jahren mit diesem Elternteil in familiärer Gemeinschaft in
Deutschland leben;
- ausländische Ehegatten Deutscher nach dreijährigem
rechtmäßigen Aufenthalt, wenn die Ehe mindestens zwei Jahre
besteht.
In beiden Fällen ist der Erwerb der
deutschen Staatsangehörigkeit nicht von der Aufgabe einer anderen
Staatsangehörigkeit abhängig. Mit diesen Regelungen macht die neue
Regierung der dauerhaft in Deutschland lebenden ausländischen
Bevölkerung ein klares Integrations-Angebot.
Doppelte Staatsbürgerschaft
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein
unverzichtbarer
Teil des Reformpakets - aber nicht das Ziel. Vielmehr soll für den
Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft eine anderer Staatsbürgerschaft
kein Hinderungsgrund
sein. Es geht bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts darum, die
dauerhaft in Deutschland lebende Bevölkerung zu Staatsangehörigen mit
gleichen Rechten und Pflichten zu machen. Um dieses Ziel zu
erreichen wird Mehrstaatigkeit akzeptiert.
Bislang galt: Mehrstaatigkeit ist zu vermeiden. Das führt zu
einer großen bürokratischen Belastung der Behörden. So schiebt Berlin
einen Berg von über 40.000 Einbürgerungsanträgen vor sich her. Die
Einbürgerungs-BewerberInnen müssen sich im Einzelfall über Jahre hinweg
alle drei bis sechs Monate um die Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit
in ihrem Heimatstaat bemühen; die Einbürgerungsbehörde muß diese
Bemühungen überprüfen und die rechtlich schwierige Entscheidung treffen,
ob Mehrstaatigkeit ausnahmsweise hingenommen werden kann.
Nach Aussage des nordrhein-westfälischen Innenministers könnte
etwa die Hälfte der Einbürgerungsanträge dort bereits entschieden sein,
müßte nicht umständlich Mehrstaatigkeit vermieden werden. Hinzu kommt:
Länder wie der Iran verzögern willkürlich die Entlassung ihrer
BürgerInnen aus der alten Staatsbürgerschaft. Die Folge: Diese Menschen
müssen in Deutschland unendliche Prozeduren durchlaufen, bis sie die
deutsche Staatsangehörigkeit bekommen.
Mehrstaatigkeit privilegiert nicht. Sie benachteiligt nicht
und führt nicht zu mangelnder Loyalität. Die Zahl der
Mehrfachstaatsangehörigen wird bereits heute auf weit über 2 Millionen
geschätzt. So hat ein großer Teil der AussiedlerInnen die "alte" (z.B.
russische) Staatsangehörigkeit behalten. Es ist eine Beleidigung dieser
Doppelstaater, wenn ihnen jetzt die Union Illoyalität zum deutschen
Staat vorwirft und sie als Sicherheitsrisiko einstuft, weil sie ihre
zweite Staatsangehörigkeit behalten haben. Schließlich entsteht
Mehrstaatigkeit z.B. auch dadurch, daß eine deutsche Familie für einige
Jahre in die USA zieht, dort Kinder geboren werden und dann diese
Familie nach Deutschland zurückkehrt. Nach deutschen Recht haben die in
den USA geborenen Kinder dann die deutsche Staatsangehörigkeit, nach
amerikanischem Recht erhalten sie durch Geburt in den USA die
amerikanische.
In Deutschland haben Menschen mit doppelter
Staatsangehörigkeit die gleichen Rechte und Pflichten wie andere
Deutsche. Sie werden nicht privilegiert. Ob sie in einem anderen Land
wählen dürfen, ist Entscheidung des betreffenden Landes und berührt die
Rechtslage hier nicht. Da auch in anderen Ländern zumeist das
Wohnsitzprinzip für den Erhalt staatlicher Leistungen gilt, kann niemand
in zwei Staaten gleichzeitig eine Rente oder Leistungen der
Sozialversicherung beziehen. Und es gibt Abkommen, die eine Verdoppelung
von Rechten und Pflichten (z.B. Wehrpflicht) unterbinden.
Ein Blick über die Grenzen
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts gleicht die
Rechtlage in der BRD an die Entwicklung in Europa an.
In Großbritannien geborene Kinder erhalten die
britische Staatsangehörigkeit, wenn die Eltern über eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis verfügen. Das Problem einer zweiten oder dritten
Generation von "Inländern mit ausländischem Paß" gibt es daher dort
nicht. Bei der Einbürgerung spielt die Aufgabe der bisherigen
Staatsangehörigkeit keine Rolle.
Ein in Frankreich geborenes Kind erhält spätestens mit der
Volljährigkeit automatisch die französische Staatsangehörigkeit. Die
Frage der Mehrstaatigkeit ist beim Erwerb der französischen
Staatsangehörigkeit unerheblich.
In Belgien und in den Niederlanden geborene Kinder
erhalten mit der Geburt die belgische bzw. niederländische
Staatsangehörigkeit, wenn seine Eltern im Inland geboren wurden. In
Belgien ist Mehrstaatigkeit kein Problem. Die Niederlande sind 1993 vom
Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit abgewichen und haben auch bei
der Einbürgerung Mehrstaatigkeit hingenommen - mit Erfolg: Allein 1995
wurden 18% aller TürkenInnen eingebürgert. In Deutschland betrug die
Einbürgerungsquote nicht einmal zwei Prozent.
haGalil onLine - Freitag 29-01-99 |