Was Bubis
versucht
Er will dem Gedenken die Gegenwart erhalten
Von Herbert Kremp
Es ist eine elitäre, scholastische Debatte,
die in Verdächtigungen und Entfremdungen ausufert. Was ist das
Antisemitische an Walser, Dohnanyi, was das (unbotmäßige) Nationale bei
Botho Strauß und Enzensberger? Ignatz Bubis weiß darauf die Antwort.
Dieses stecke, erklärte er dem «Spiegel» im ,,Es» zwischen den Zeilen
(des Gesagten, Geschriebenen), wahrscheinlich im Unbewußten. Nicht das
«Ich» der bezeichneten Personen denke antisemitisch, das «Es» tue es.
Das ist höhere Tiefenpsychologie, Kunde von
einer Seelenprovinz, in der das Antisemitische lebt oder west, eine
gewissermaßen verpuppte Existenz führt. Nach der Lehre Sigmund Freuds
verbirgt sich das «Es» vor den Augen, auch den eigenen. Seine Inhalte
werden auf Distanz gehalten, das «Ich» verbietet ihnen den Auftritt. Der
Psychoanalytiker muß sie ins Bewußtsein heben, um sie unschädlich zu
machen.
Warum begibt sich Bubis auf das weite Feld
der Freudschen Analyse? Zwei Deutungen mögen den Rückgriff erklären:
Nach der Theorie kann das «Ich» Bewußtseins-Inhalte in die personalen
Kasematten verweisen: Taten, Schuld, Widriges - etwas, das, wie
Schopenhauer sagt, der «Beleuchtung des Intellekts» entzogen werden
soll.
Diesem Bild entspricht Bubis´ Vorwurf, Walser
wolle die Verbrechen des Nationalsozialismus «vergessen und verdrängen».
Doch kann es sich bei Themen des «Es» auch um etwas handeln, das als
Trieb oder Strebung dort wurzelt, nicht «eingemacht», sondern eingeboren
ist: im angenommenen Fall ein konstitutiver Antisemitismus.
Das hat Goldhagen behauptet, Bubis bisher
nie. Wie immer Bubis die «Es»-Beschaffenheit des Antisemitismus
analysiert, er ist «entdeckt» und beeinflußt nun als schwerster
denkbarer Vorwurf die Walser-Debatte.
Auch diese Tatsache, die Vertiefung des
Vorwurfs, will auf Gründe abgeklopft sein. Dem leidenschaftslosen
Diskurs bieten sich zwei Erklärungen an: Die Massenmorde, die keine der
involvierten Personen leugnet, werden mit gewachsener zeitlicher Distanz
anders wahrgenommen. Man versieht sie nicht mit Abstrichen, sondern
betrachtet sie aus der Warte des individuellen Gewissens, das eine
autonome Schuld-Abwägung vornimmt. Gewissen aber ist von Natur aus
empfindlich, reagiert protestantisch auf pädagogisch geharnischte
Medien-Interpretationen, in denen ja oft so verfahren wird, als gehe es
immer noch darum, dem Publikum die Bilder des Entsetzens als Tatsachen
einzubläuen, die entweder nicht bekannt sind oder geleugnet werden. Auf
die Eigenart dieser Sozial-Pädagogik spielte Walser an: auf den
lehrerhaften Duktus der Stoffvermittlung. In die sechziger oder
siebziger Jahre mag er gepaßt haben, heute erscheint er über die Maßen
gewollt. Walser spricht von «Moralpistole».
Die Frage, warum sie gezückt wird, erlaubt
kein Ausweichen: In jeder Individualisierung der Wahrnehmung steckt die
Neigung zum «eigenen» Bild. Damit geht die Herrschaft über das Bild von
den bisherigen Institutionen und Verbänden auf die kritische Instanz des
persönlichen Urteils über. Sie geht aber nicht nur über, sie geht den
Erst-Besitzern verloren. An der Wahrnehmung der Tatsache, daß
Massenmorde begangen wurden, ändert das nichts. Wir registrieren
lediglich einen anderen Blickwinkel, unvermeidliche Begleiterscheinung
des Generationenwechsels (was nicht ausschließt, daß Ältere auf die
individualisierte Optik verweisen).
Damit einher schreitet ebenfalls als Folge
der Zeit-Distanz die Historisierung der Taten und Täter. Sie bricht das
Darstellungs-Monopol, verniedlicht nichts, verwandelt das Geschehene
jedoch in etwas Stoffliches, an dessen glatter Fläche die Betroffenheit
keinen festen Halt mehr findet. Historisierung bewirkt emotionale
Neutralisierung.
Für alle, die mittels ihres Amtes, aber auch
aus sittlichem Antrieb die Erinnerung «lebendig», mithin emotional
gebunden halten wollen, sind die Prozesse der Individualisierung und
Historisierung eine schwere Prüfung. Man muß Bubis verstehen. Er
fürchtet eine Versandung des großen Themas, wenn nicht seine
«Verwüstung». Der Rückgriff auf das «Es», das Antisemitismus denke, ohne
ein Antisemitismus des ,,Ich» zu sein, ist nichts anders als der
Versuch, dem Gedenken die Gegenwart und den bewährten
Instituts-Charakter zu erhalten, die es gerade verliert. Er mag dabei zu
weit gehen - seinem Thema indes ist er ganz nah. |
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