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meinung Mittwoch, 2. Dezember 1998
 

Was Bubis versucht

Er will dem Gedenken die Gegenwart erhalten

Von Herbert Kremp

Es ist eine elitäre, scholastische Debatte, die in Verdächtigungen und Entfremdungen ausufert. Was ist das Antisemitische an Walser, Dohnanyi, was das (unbotmäßige) Nationale bei Botho Strauß und Enzensberger? Ignatz Bubis weiß darauf die Antwort. Dieses stecke, erklärte er dem «Spiegel» im ,,Es» zwischen den Zeilen (des Gesagten, Geschriebenen), wahrscheinlich im Unbewußten. Nicht das «Ich» der bezeichneten Personen denke antisemitisch, das «Es» tue es.

Das ist höhere Tiefenpsychologie, Kunde von einer Seelenprovinz, in der das Antisemitische lebt oder west, eine gewissermaßen verpuppte Existenz führt. Nach der Lehre Sigmund Freuds verbirgt sich das «Es» vor den Augen, auch den eigenen. Seine Inhalte werden auf Distanz gehalten, das «Ich» verbietet ihnen den Auftritt. Der Psychoanalytiker muß sie ins Bewußtsein heben, um sie unschädlich zu machen.

Warum begibt sich Bubis auf das weite Feld der Freudschen Analyse? Zwei Deutungen mögen den Rückgriff erklären: Nach der Theorie kann das «Ich» Bewußtseins-Inhalte in die personalen Kasematten verweisen: Taten, Schuld, Widriges - etwas, das, wie Schopenhauer sagt, der «Beleuchtung des Intellekts» entzogen werden soll.

Diesem Bild entspricht Bubis´ Vorwurf, Walser wolle die Verbrechen des Nationalsozialismus «vergessen und verdrängen». Doch kann es sich bei Themen des «Es» auch um etwas handeln, das als Trieb oder Strebung dort wurzelt, nicht «eingemacht», sondern eingeboren ist: im angenommenen Fall ein konstitutiver Antisemitismus.

Das hat Goldhagen behauptet, Bubis bisher nie. Wie immer Bubis die «Es»-Beschaffenheit des Antisemitismus analysiert, er ist «entdeckt» und beeinflußt nun als schwerster denkbarer Vorwurf die Walser-Debatte.

Auch diese Tatsache, die Vertiefung des Vorwurfs, will auf Gründe abgeklopft sein. Dem leidenschaftslosen Diskurs bieten sich zwei Erklärungen an: Die Massenmorde, die keine der involvierten Personen leugnet, werden mit gewachsener zeitlicher Distanz anders wahrgenommen. Man versieht sie nicht mit Abstrichen, sondern betrachtet sie aus der Warte des individuellen Gewissens, das eine autonome Schuld-Abwägung vornimmt. Gewissen aber ist von Natur aus empfindlich, reagiert protestantisch auf pädagogisch geharnischte Medien-Interpretationen, in denen ja oft so verfahren wird, als gehe es immer noch darum, dem Publikum die Bilder des Entsetzens als Tatsachen einzubläuen, die entweder nicht bekannt sind oder geleugnet werden. Auf die Eigenart dieser Sozial-Pädagogik spielte Walser an: auf den lehrerhaften Duktus der Stoffvermittlung. In die sechziger oder siebziger Jahre mag er gepaßt haben, heute erscheint er über die Maßen gewollt. Walser spricht von «Moralpistole».

Die Frage, warum sie gezückt wird, erlaubt kein Ausweichen: In jeder Individualisierung der Wahrnehmung steckt die Neigung zum «eigenen» Bild. Damit geht die Herrschaft über das Bild von den bisherigen Institutionen und Verbänden auf die kritische Instanz des persönlichen Urteils über. Sie geht aber nicht nur über, sie geht den Erst-Besitzern verloren. An der Wahrnehmung der Tatsache, daß Massenmorde begangen wurden, ändert das nichts. Wir registrieren lediglich einen anderen Blickwinkel, unvermeidliche Begleiterscheinung des Generationenwechsels (was nicht ausschließt, daß Ältere auf die individualisierte Optik verweisen).

Damit einher schreitet ebenfalls als Folge der Zeit-Distanz die Historisierung der Taten und Täter. Sie bricht das Darstellungs-Monopol, verniedlicht nichts, verwandelt das Geschehene jedoch in etwas Stoffliches, an dessen glatter Fläche die Betroffenheit keinen festen Halt mehr findet. Historisierung bewirkt emotionale Neutralisierung.

Für alle, die mittels ihres Amtes, aber auch aus sittlichem Antrieb die Erinnerung «lebendig», mithin emotional gebunden halten wollen, sind die Prozesse der Individualisierung und Historisierung eine schwere Prüfung. Man muß Bubis verstehen. Er fürchtet eine Versandung des großen Themas, wenn nicht seine «Verwüstung». Der Rückgriff auf das «Es», das Antisemitismus denke, ohne ein Antisemitismus des ,,Ich» zu sein, ist nichts anders als der Versuch, dem Gedenken die Gegenwart und den bewährten Instituts-Charakter zu erhalten, die es gerade verliert. Er mag dabei zu weit gehen - seinem Thema indes ist er ganz nah.

 

 

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