Mea Culpa der Kirche als Tafel in Wien:
'Christenheit bereut ihre
Mitschuld'
Kardinal Franz König enthüllte
zusammen mit Rabbiner Eisenberg am Donnerstag eine Gedenktafel, mit der die
Kirche ihre Mitschuld an der Judenverfolgung eingesteht. Eine sehr
nachdenlich machende "Stunde der Besinnung" fand am Wiener Judenplatz statt.
Auf der Tafel, die am Donnerstag enthüllt wurde, wird an die Mitschuld von
Christen an einem mittelalterlichen Judenpogrom gedacht, bei dem Hunderte
Menschen verbrannt worden waren und die Synagoge zerstört wurde. Die durch
das trübe Wetter unterstrichene Zeremonie am Judenplatz, dem Schauplatz
einer der schlimmsten Judenverfolgungen im Mittelalter, ist trotz
zahlreicher elektronischer und anderer Medienvertreter in zarten Moll
gehalten. Es werden gar die Bauarbeiten am Holocaust-Mahnmal für die Dauer
der Feier eingestellt.
"Heute
bereut die Christenheit ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen und erkennt
ihr Versagen. ,Heilung Gottes' kann heute für die Christen nur heißen: Bitte
um Vergebung und Hoffnung auf Gottes Heil." So heisst es. Kidusch Hashem
wird genannt. Der Judaist Professor Schubert versucht eine historische
Übersicht. Eine Geschichte der Verfolgung und der Plagen im Mittelalter, die
in unserem Jahrhundert mit der Shoah noch bei Weitem übertroffen wird.
"Dieser Text war Anlaß zu Diskussionen." Kardinal Franz König, der in
Vertretung des schwer erkrankten und immer wieder als "Papabile"
(Papstkandidat) im Gespräch genannte Christoph Schönborn die Enthüllung
vornimmt, erinnert an die Präsentation des nicht unumstrittenen Textes im
vergangenen Jahr. Die klaren Worte zu Mitschuld der Kirche an den
Judenverfolgungen seien nötig gewesen, erklärt König am Judenplatz: "Mit der
Gedenktafel an diesem Ort der Erinnerung wollen wir einen Blick in die
Zukunft tun - es ist ein Blick des Glaubens auf besseres Verständnis
zwischen Juden und Christen." König nennt Kidusch Hashem-"Die Heiligung des
Namens" als verbindendes Element für Juden und Christen.
Am
Text der Tafel war im Ende letzten Jahres einiges an Bedenken laut
geworden: Die Rolle der Kirche bei der mittelalterlichen Judenverfolgung
werde schöngeschrieben, meinten Kritiker. Die Erzdiözese hat daraufhin
den Text geändert: In der nunmehr enthüllten Tafel ist auch von
"christlichen Predigern" die Rede, die "gegen Juden und ihren Glauben
hetzten". Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg sieht das Schuldbekenntnis
der Kirche als einen wichtigen Schritt, um "der Geschichte Rechnung zu
tragen und eine Wende in den Beziehungen von Christen und Juden in
dieser Stadt zu dokumentieren."
Die Bewohner und Besitzer von Geschäften und
Restaurants am Judenplatz hätten durch die laufenden Bauarbeiten sicher
einige Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität in Form von Lärm und
Schutt zu ertragen, meint Rabbiner Eisenberg. Er erinnert aber daran,
daß "die Leiden der Juden an diesem Ort weitaus größer gewesen sind."
Der Wunsch des Oberrabbiners an die Zukunft: "Brüderlichkeit und daß
keiner mehr leiden muß." Einige Stimmen von Jugendlichen geben der
Veranstaltung einen zarten Geschmack des Versprechens, den die
Auseinandersetzung mit den Hintergründen dieses bemerkenswertes
Schrittes der Amtskirche am Ende des 20.Jahrhunderts einlösen könnte.
Die äußerst schwierige Lesbarkeit der Tafel sollte dies nicht
verhindern.
Abb.:
Kardinal Franz König
und Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg
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