Einige Fragen konnten gestellt
werden
Der des jüdischen Genozids
beschuldigte 92-jährige Aleksandras Lileikis wurde in einem Rollstuhl
zur gerichtlichen Verhandlung gebracht. Eine halbe Stunde später jedoch,
mit Beginn eines stenokardischen Anfalls [Herzschmerzen aufgrund von
Gefäßverengungen] wurde er ins Krankenhaus gebracht.
Die Richter schafften es nur,
ihm einige formelle Fragen zur Person zu stellen. Das Gericht legte eine
Frist fest, um Angaben über den Gesundheitszustand des Angeklagten
zusammenzustellen, und wird am Montag über den weiteren Verlauf des
Prozesses entscheiden.
Unheilbare Krankheiten
Anfang Oktober hatte eine
medizinische Kommission, die den Zustand des Angeklagten untersucht
hatte, seine Teilnahme an den Verhandlungen für zulässig erklärt. Andere
Gutachter hatten 1997 konstatiert, der Patient leide an unheilbaren
Krankheiten, und jede Stressituation könne zu einem lebensgefährlichen
Zustand führen. Zeitweise hatten die Ärzte sogar die Befragung von
Lileikis untersagt.
Der ehemalige Chef der
Sicherheitspolizei im Kreis Vilnius wird der Unterzeichnung von
Dokumenten angeklagt, mit denen 75 Juden der physischen Vernichtung
anhehimgegeben wurden. Nur einer von ihnen überlebte.
Internationales Interesse
Der Prozeß gegen Lileikis sorgt
inzwischen für einigen Aufruhr. Schon vor dem Beginn der Sitzung hatten
sich Dutzende von litauischen und ausländischen Journalisten
eingefunden. Unter den Gästen im Gerichtssaal waren der Zweite Sekretär
der israelischen Botschaft in Riga, Joel Lion, und die Konsulin der
US-Botschaft in Vilnius Debra Heien. Einen großen Teil des Saales nahmen
Anhänger der Litauischen Union Nationalsozialistischer Einheit und
Geschädigte des Sowjetsystems ein, die zur Unterstützung von Lileikis
gekommen waren.
Vor dem Gerichtsgebäude
angekommen, wurde Lileikis von Angehörigen aus dem Auto gehoben und in
einen Rollstuhl gesetzt, der die vier Treppenabsätze in den ersten Stock
hinaufgetragen werden mußte. Da Lileikis das Halten seines Kopfes
schwerfällt, trug er eine spezielle Halskrause.
Auch die Tochter des
Angeklagten. Aldona, war aus Chicago zu dem Prozeß angereist. Schon eine
Zeitlang vor der Verhandlung war ein Notarztwagen vor dem Gericht
vorgefahren; im Gerichtssaal waren die ganze Zeit Ärzte in weißen
Kitteln zugegen.
Die Tochter als Hörhilfe
Vor der Verhandlung stellte sich
die Tochter schützend vor ihren Vater, der mehrere Minuten lang
unaufhörlich von Journalisten fotografiert wurde. Der im Rollstuhl
sitzende Lileikis reagierte nicht auf die Foto- und Fernsehkameras, die
auf ihn gerichtet waren. Mit Einverständnis der beteiligten Seiten
beschloß das Gericht, die Verhandlung auch ohne die erkrankte Zeugin
Danuta Konas und andere geladene Zeugen aufzunehmen. Einer von ihnen,
der ehemalige Sicherheitspolizist Jonas Bukauskas, ist verstorben; der
andere, Kazys Gimzauskas, der ehemalige Stellvertreter von Lileikis,
konnte wegen seines Alters und seiner schweren Krankheiten nicht
teilnehmen.
Als die kranke Frau Konas
[dennoch] zur Verhandlung erschien, fühlte sich Lileikis bereits
schlecht. Die Geschädigte hatte gebeten, sie zu informieren, ob der
Angeklagte zur Verhandlung erscheinen würde.
Bei der Verständigung mit dem
Richterkollegium wurde Lileikis unterstützt von seiner Tochter Aldona
und einem Verwandten, die die Worte des Richters jeweils laut
wiederholten. Die im Saal anwesenden Anhänger des Angeklagten empörten
sich über die Vernehmung eines Menschen, der nicht hören könne.
Neues Leugnen der Schuld
Henrikas Ulevicius,
stellvertretender Direktor der Vilniusser Universitätsklinik und
Vorsitzender der medizinischen Kommission, die Lileikis auf seinen
Gesundheitszustand hin untersucht hatte, wiederholte die
Schlußfolgerungen dieser Kommission, nach denen Lileikis‘
Gesundheitszustand seine Teilnahme an der Gerichtsverhandlung erlaubte.
Der Angeklagte war jedoch durch die Belagerung der Kameras und seine
eigene Rede einer Stressituation ausgesetzt.
Der Vorsitzende des
Richterkollegiums Viktoras Kazys und der Anwalt des Angeklagten Algirdas
Matuiza wollten wissen, warum die Schlußfolgerungen des neuen Gutachtens
von denen des früheren abwichen.
Nicht weniger als zwanzig
Krankheiten
Ulevicius machte geltend, die
Schlußfolgerungen seien im Prinzip die gleichen. Die Krankheiten des
Angeklagten seien auf Alterssklerose zurückzuführen und damit ein
unheilbares Leiden. Nach Angaben des Arztes ist sein Zustand dynamisch
und schwer vorhersagbar.
Das medizinische Gutachten nennt
etwa zwanzig Krankheiten, an denen Lileikis leidet. In etwa zehn Tagen,
nach der Durchführung medizinischer Untersuchungen, werden die Ärzte
sagen können, ob der Herzanfall im Anfangsstadium zu einem zweiten
Infarkt führen könne. Dann wird man über seine weitere Teilnahme an
Gerichtsverhandlungen entscheiden können. Falls Lileikis imstande ist,
zu den Sitzungen zu erscheinen, werden die weiteren Verhandlungen nicht
viel Zeit in Anspruch nehmen.
Ständige Unterstützung durch
Anhänger
Der im Gerichtssaal anwesende
Vertreter des Rates von Kleinlitauen [= ehem. Litauisch- Ostpreußen]
Petras Cidzikas empörte sich laut darüber, wie Lileikis „traktiert“
werde, bezeichnete diese Behandlung als „jüdische Erpressung“ und
„Verschwörung gegen Litauen“. Die Anhänger des Beklagten sprachen davon,
daß auch Menschen jüdischer Nationalität vor Gericht gestellt werden
müßten, die sich während der Sowjetzeit an Repressionen gegen Einwohner
Litauens beteiligt hätten. Der Führer der Nationalsozialisten aus
Siauliai, Mindaugas Murza, sagte gegenüber Journalisten, hier stehe
„nicht Lileikis vor Gericht, sondern die ganze Nation“.
Die Vertreter der radikalen
Bewegung waren aus Siauliai mit der Bahn angereist, ohne ihr Ziel
öffentlich bekanntzumachen, denn beim letzten Mal waren sie zu spät zum
Gerichtstermin erschienen. Die Polizei hatte nach dem Eingang einer
Bombendrohung damals den Bus, mit dem die Radikalen nach Vilnius fahren
wollten, zur Überprüfung aufgehalten.
From Vilnius: SLW
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