Medienwirksam brandmarken sie Netanjahu seit
Tagen als 'Verräter' und sperren Kreuzungen und Straßen. Doch sind die
ganz Rechten isoliert: Nur 18% der Bevölkerung zeigen Verständnis für
sie. Auch die ganze Welt atmet erleichtert auf, weil wenigstens ein
Interimsabkommen in Washington unterzeichnet werden konnte. Freilich
kann sich Netanjahu nicht ausruhen.
Die Proteste, die am Samstagabend begannen,
halten an, und die frommen Friedensfeinde wissen sehr wohl, wie man sich
medienwirksam inszeniert, zumal für die Hauptnachrichtensendungen von
CNN. Und sie bekommen Hilfe aus dem Lager der realen Politik. Die
National-Religiöse Partei, das Zünglein an der Waage in Netanjahus
Koalition, hat nun erklärt, sie werde ihm das Mißtrauen aussprechen –
und so den Weg für Neuwahlen freimachen. Gestern veröffentlichten die
enttäuschen Extremisten in mehreren Tageszeitungen riesige Anzeigen, in
denen sie Netanjahu mit Liebesentzug drohen: 'Wir haben Dir zur Macht
verholfen, und dafür hast Du das schändliche Agreement unterzeichnet.
Nie werden wir Dir das vergeben!'
Den Premier aber scheinen die Proteste nicht
zu stören; vermutlich hat er das Diktat der rechten Mehrheitsbeschaffer
satt. Aus seiner Umgebung verlautet, daß er bei der Abstimmung über das
Mißtrauensvotum an diesem Mittwoch und über das Wye-Abkommen in der
nächsten Woche auf die Stimmen der oppositionellen Arbeits-Partei baut.
Die wird er erhalten. Und seine rechten Quälgeister? Denen hält er kühl
entgegen, daß sie gerne Neuwahlen haben könnten: 'Aber wollt ihr
wirklich eine linke Regierung?' Auch fällt ihm die Rechtfertigung nicht
schwer. In Wye, so beteuert 'Bibi', habe er 'wie ein Löwe' gekämpft. Er
habe keinen Siedlungsstop versprechen müssen; jeder Zentimeter Land, der
an die Palästinenser übertragen werde, 'schmerze sehr'. Für jeden
Israeli hat Netanjahu die richtige Ansprache parat. Und das Chamäleon in
ihm bringt Zustimmung. Inzwischen sind knapp 80% aller Israelis für
Frieden mit den Palästinensern.
Bis Mittwoch wird Netanjahu die Minister
seines Likud-Blocks auf seine Seite zu ziehen versuchen. Einige
National-Religiöse haben immerhin angedeutet, daß sie erst mal hören
wollen, was er zu sagen habe. Netanjahu spielt souverän auch mit deren
Machttrieb. Er wird ihnen drohen – mit der großen Koalition zwischen
Likud und Arbeitspartei. Vielleicht ist es ganz anders als die Bilder
des Aufruhrs suggerieren: Nicht die Religiösen haben Netanjahu in der
Hand, sondern er sie.
Erstveröffentlichung:
SZ
/ ISRAEL NACHRICHTEN Tel-Aviv