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Offener Brief

Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte
Holweider Str. 13-15 51065 Köln

Ministerpräsident des Landes Niedersachsen
Herrn Gerhard Schröder

Staatskanzlei Hannover
Planckstraße 2 - 30169 Hannover

21. Oktober 1998

Entschädigung für NS-Zwangsarbeit:
Treffen mit Vertretern der Industrie am kommenden Donnerstag

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

durch Ihre deutliche Position zur Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime ist Bewegung in die zuvor starre Verweigerungshaltung der deutschen Industie gekommen.

Die VOLKSWAGENWERKE und SIEMENS haben bereits Fonds auf Firmenebene angekündigt. Die Einrichtung einer Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" ist zwischen den Parteien der neuen Regierungskoalition fest vereinbart.

Aus unserer engen Kooperation mit SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wissen wir, daß die Anliegen der Verfolgten des Nationalsozialismus in beiden künftigen Regierungsfraktionen bestens verankert sind. In Abstimmung mit unserer Mitgliedsorganisation, der "Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten" und unserem Kooperationspartner, Hans Jochen Vogels Projekt "Gegen Vergessen – Für Demokratie" hatten wir uns daher entschieden, die Koalitionsverhandlungen nicht durch das Einbringen punktueller Forderungen zu beeinflussen, bzw. zu stören. Die Ergebnisse der Verhandlungen haben wir auch im Namen der von uns vertretenen Überlebenden des Nazi-Terrors gestern mit der beiliegenden Presseerklärung begrüßt.

Wenn wir heute unseren ursprünglichen Plan, Sie und Ihre zukünftigen Minister erst nach Konstituierung der neuen Regierung zu kontaktieren aufgeben, so deshalb, weil der SPIEGEL dieser Woche ankündigt, daß bereits vor Regierungsbildung auf einem Spitzentreffen zwischen Ihnen und führenden Vertretern der deutschen Industrie am kommenden Donnerstag über das Thema "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" diskutiert wird. Hierzu möchten wir Ihnen einige Anmerkungen aus der Sicht der NS-Verfolgten und ihrer Organisationen zukommen lassen.

Durch das Londoner Schuldenabkommen, die Rechtsprechung der höchsten deutschen Gerichte und eine kollektive Verweigerungshaltung von alter Regierung und Industrie waren die Überlebenden der NS-Zwangsarbeit und ihre Angehörigen über Jahrzehnte daran gehindert, ihre Forderungen nach Lohn, Schmerzensgeld und Schadenersatz rechtlich durchzusetzen.

Die jetzt in Deutschland und den Vereinigten Staaten eingereichten Klagen sind daher ein erster Versuch einer selbstbewußten Interessen-Artikulation dieser meist alten, und of auch sehr kranken Gruppe der Überlebenden. Liest man die Klageschriften, so erheben die Verfolgten ureigenste Forderungen der Sozialdemokratie, sowie der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung:

  • Angemessene Entlohnung
  • Arbeitssicherheit
  • Unfallschutz
  • Menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen

Uns liegen zahlreiche Koorespondenzen vor, die Überlebende mit großen deutschen Konzernen in den letzten Jahren und Jahrzehnten geführt haben. Mit wenigen Ausnahmen wurden ihnen selbst minimale Zugeständnisse verweigert.

Die Beteiligung der deutschen Industrie am Programm "Vernichtung durch Arbeit" hat zu unermeßlichem Schäden geführt. Hunderttausende sind den im Wortsinne mörderischen Arbeitsbedingungen zum Opfer gefallen. Die Meisten in den letzten Monaten des Krieges beim Sprengen von Stollen für unterirdische Produktionsanlagen.

Am letzten Wochenende konnte ich mir im Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen die unheimlichen unterirdischen Katakomben für die Produktion der Vergeltungswaffe V2 anschauen. Der Öffentlichkeit bisher nur in minimalen Teilen zugänglich, gibt es dort ein 2 km langes Stollensystem. Es wurde im Wesentlichen unter unmenschlichsten Arbeitsbedingungen binnen drei Monaten so hergerichtet, daß zum einen die Fließbandproduktion der V2 beginnen konnte, andererseits die Werkzeugmaschinen der beteiligten Firmen vor den alliierten Bombenangriffen in Sicherheit waren. Fotos der alliierten Befreier zeigen diese universal einsetzbaren Werkzeugmaschinen dicht aneinandergereiht in den Tunnelgängen. Dadurch daß ein großer Teil dieser Produktionsanlagen unmittelbar nach Kriegsende wieder privatwirtschaftlich genutzt werden konnte, wurde das möglich, was im Alltagsbewußtsein gemeinhin als "Wirtschaftswunder" bezeichnet worden ist. Anders wäre es kaum vorstellbar gewesen, daß bereits 1946 der zehntausendste Nachkriegskäfer die Bänder der Wolfsburger VW-Werke hätte verlassen können.

Der durch die oben skizzierten Lebens- und Arbeitsbedingungen entstandene Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Gerade deshalb geht es jetzt darum, in angemessener Form Schadenersatz zu leisten.

Natürlich ist es erfreulich, daß die deutsche Industrie jetzt schnell zu einer umfassenden Lösung kommen will und Sie hierbei um Vermittlung bittet.

Verstimmt sind wir allerdings über das dahinter steckende Kalkül der Unternehmen: laut SPIEGEL gehen Ihre Gesprächspartner für den kommenden Donnerstag davon aus, daß

"wenn die betroffenen Unternehmen sich gemeinsam mit der Regierung um Lösungen bemühen.... US-Gerichte nach Einschätzung amerikanischer Anwälte die Sammelklagen möglicherweise erst gar nicht annehmen oder zumindest aussetzen."

Die Unterstützung dieses Kalküls darf nicht Aufgabe eines Politikwechsels in Bonn gegenüber NS-Verfolgten sein.

Die Industrie mag ohne Ihre Intervention nicht zur Abgabe eines angemessenen Angebotes gegenüber ihren ehemaligen Sklaven in der Lage sein. Die überlebenden NS-Verfolgten und ihre Angehörigen brauchen jedoch Ihre Unterstützung, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, weitaus dringender als die beteiligten Industrieunternehmen.

Sie brauchen Hilfe und Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche: Der Schaden ist zu beziffern, Forderungen sind zu stellen und deren Durchsetzung ist abzusichern. Die Einrichtung einer Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" kann deshalb nicht allein zweiseitig zwischen Regierung und Industrie verhandelt werden. Die NS-Verfolgten selbst, ihre Organisationen und Interessenvertreter sind für faire Verhandlungen als "Gegner im positiven Sinne" unverzichtbar.

Ohne eine solche Interessenvertretung der Opfer blieben die in die neue Stiftung einfließenden Finanzmittel vom guten oder schlechten Willen der beteiligten Industrieunternehmen abhängig. Wären diese Mittel zu gering, würde es entweder gar nicht lohnen, eine solche Stiftung einzurichten, oder die Auszahlungen blieben unzureichend, was eine erneute Demütigung der Opfer zur Folge hätte.

Zur Vorbereitung Ihres Gespräches am Donnerstag möchten wir daher einige zentrale Positionen der NS-Verfolgten und ihrer Interessenverbände präzisieren:

  1. Die Schadenersatzforderungen dürfen sich nicht nur auf die heute noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschränken. Gerade auch die Witwen und Waisen der den mörderischen Arbeitsbedingungen zum Opfer gefallenen Zwangsarbeiter haben Anspruch auf unsere Zuwendung und materielle Kompensation.
  2. Die finanzielle Leistung der deutschen Unternehmen muß deutlich höher sein, als die gerade zwischen jüdischen Organisationen, amerikanischen Anwälten und den Schweizer Banken ausgehandelte Summe von 1,25 Milliarden Dollar. Verglichen mit der massiven Verletzung von Menschenrechte durch die Versklavung von Millionen Menschen und dem Tod Hunderttausender als Konsequenz der NS-Zwangsarbeit nehmen sich die den Klagen gegen die Schweiz zugrundeliegenden Vorwürfe wie "Hehlerei" und "Unterschlagung" fast wie Kavaliersdelikte aus.
  3. Die Bundesregierung sollte so schnell wie möglich die jetzt gültigen Verjährungsfristen für die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verlängern.
    Der größte Teil der jetzt gerade erst gerichtlich durchsetzbaren Ansprüche droht sonst im Mai 1999 (3 Jahre nach dem richtungsweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 1996) erneut der Verjährung anheim zu fallen.
  4. Zur Zeit wissen die Überlebenden in Mittel- und Osteuropa nicht, wie sie ihre Interessenvertretung realisieren sollen. Sie kennen in der Regel keine deutschen Anwälte, die ohne finanzielle Vorleistung für sie tätig werden, sie können die Gerichtskosten von ca. 600 Mark pro Fall nicht aufbringen. Gerade deshalb brauchen sie die Unterstützung der neuen Regierung und der sie tragenden Koalitionsparteien.

Wir möchten Sie recht herzlich bitten, möglichst bald nach Konstituierung der neuen Bundesregierung auch die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu empfangen und ihre Forderungen zu unterstützen.

Über die bereits zu Zeiten der alten Bundesregierung eingeleiteten Kampagnenschritte unseres Verbandes informiert sie die beiliegende Projektskizze "Gerechtigkeit für die Überlebenden der NS-Zwangsarbeit". Zur Unterstützung der Überlebenden schlagen wir außerdem die Einrichtung der in einer weiteren Projektskizze beschriebenen "Clearingstelle NS-Zwangsarbeit" vor; vergleichbare Konzeptionen werden auch von der IG Metall und dem Deutschen Gewerkschaftsbund gefordert.

Wir würden uns sehr freuen, wenn wir bald nach Konstituierung der neuen Bundesregierung mit einem der zuständigen Fachministerien das Konzept der Clearingstelle diskutieren könnten und erste Schritte zu deren Realisierung vereinbart werden könnten.

In diesem Sinne wünschen wir Ihrem Gespräch am kommenden Donnerstag ein gutes Gelingen und würden uns sehr freuen, die Thematik bald auch persönlich mit Ihnen erörtern zu können. Mit den besten Wünschen für Ihre zukünftige Regierungsarbeit verbleiben wir

Mit freundlichen Grüßen

BUNDESVERBAND INFORMATION UND BERATUNG FÜR NS-VERFOLGTE E.V.

Lothar Evers

Geschäftsführer Anlagen

haGalil onLine - Mittwoch 21-10-98

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