Nazi-Aufmarsch in Kopenhagen:
Ziel ist die deutsche Botschaft
Ein Polizeisprecher bestätigte, dass der 'Rudolf-Heß-Marsch', den die
NS-Bewegung DNSB ('Dansk Nationalsocialistik Bevägelse') für Samstag geplant
hat, mit Zielrichtung Botschaftsgebäude, inzwischen offiziell angemeldet
worden sei. Ein zuvor verhängtes Verbot des Marsches zum Todestag des
Hitler-Stellvertreters hatte sich auf einen Aufmarsch in der Kleinstadt Köge
bezogen. Der Oberrabiner der Jüdischen Gemeinde in Kopenhagen, Bent Lexner,
kündigte eine Gegendemonstration für den Samstag in Kopenhagen an und
forderte alle 3.000 Mitglieder der Gemeinde - trotz Schabath - zur Teilnahme
auf. Er will nicht länger akzeptieren, dass 'Dänemark ein gutes Land für das
Getrampel von Nazi-Stiefeln' sei, wie die liberale Zeitung 'Politiken'
geschrieben hatte. "Wir sollen hier einem Nazi-Marsch zuschauen, der in
Deutschland oder Schweden völlig undenkbar wäre, wo man gegen Derartiges
hart vorgeht. Diese Debatte müssen wir endlich auch bei uns führen."
Mehrere linke Gruppen planen ebenfalls
Demonstrationen gegen den Marsch der in Dänemark nicht verbotenen
Nazi-Gruppe. Bei 'Heß- Märschen' 1995 und 97 war es zu heftigen
Straßenkämpfen gekommen. Sollte die DNSB tatsächlich im Stadtzentrum der
Hauptstadt antreten, wären auch heuer heftige Straßenschlachten mit der
autonomen Szene vorprogrammiert. Beobachter halten dies allerdings für
wenig wahrscheinlich, weil die Nazi-Gruppe für eine massive
Konfrontation viel zu schwach ist. Vor einem Jahr, als man eigentlich in
Roskilde antreten wollte, flüchteten die Nazis vor den
Gegendemonstranten mit der Bahn ins benachbarte Köge.
Polizei und Justizministerium in Kopenhagen
wollen heute (Freitag) bekanntgeben, ob der Marsch verboten wird. Das
Für und Wider eines Verbots wird seit Tagen heftig diskutiert. Die
Politiker tun sich schwer mit dem von Veteranen des Widerstands, der
Jüdischen Gemeinde, Simon Wiesenthal und mehreren linksgerichteten
Gruppen geforderten Verbot: "Auch wenn ich kein Anhänger von
Nazi-Demonstrationen bin, trete ich doch für das Grundrecht dieser Leute
auf Meinungsfreiheit ein", sagte Lissa Mathiasen, sozialdemokratische
Vorsitzende des Rechtsausschusses im Parlament. Sie hat Rückendeckung in
allen Fraktionen des 'Folketing'. Mit Blick auf die Versammlungs- und
Meinungsfreiheit in der Verfassung hat sich bisher kein namhafter
Politiker für ein politisch begründetes Verbot der Heß-Märsche
eingesetzt.
Daran änderte sich auch nichts, als hundert
Anhänger der DNSB mit Gesinnungsgenossen aus Deutschland, Schweden,
Norwegen und Großbritannien bei ihrem ersten Marsch zum Todestag des
Hitler- Vertreters Heß in der Kleinstadt Roskilde 1995 Bürger als
'Judenschweine' anpöbelten.
Elegante Lösungen?
Die Politiker verschanzen sich vorerst noch
hinter dem breiten Rücken der Polizei, die wegen der massiv zu
erwartenden Gegendemonstrationen wieder mit mehreren tausend Beamten
ihre gesamten Ressourcen für einen 'Heß-Marsch' bereitstellen muß.
Beifall erhielt der Polizeichef der Kleinstadt Köge, der den Antrag auf
einen Marsch in der Innenstadt 'aus Sicherheitsgründen' abwies, der DNSB
aber gleichzeitig ein wenig attraktives Hafengelände zuwies. 'Das ist
doch eine elegante Lösung', meinte Anne Baastrup von den linken
Volkssozialisten, die ebenfalls positiv hervorhob, daß es ja kein
'eigentliches Verbot' gebe.
Ähnlich
'elegant' will man an dänischen Grenzstationen vorgehen, wo als Neonazis
vermutete Deutsche und andere Ausländer abgewiesen werden sollen.
'Betroffene können Einspruch im Justizministerium erheben, aber die
Bearbeitung dauert mehrere Wochen', verkündete augenzwinkernd
Polizeichef Finn Mikkelsen in Helsingör. Im Fährhafen Rödby hat die
dänische Polizei inzwischen begonnen Besucher aus Deutschland genauer zu
beobachten. Mehreren deutschen NS-Aktivisten wurde bereits die Einreise
verweigert. Gleichzeitig wurde von deutschen Grenzkontrolleuren im
Fährhafen Puttgarden einigen vermuteten Neonazis die Ausreise
verweigert. Scharfe Kontrollen nach möglichen Teilnehmern des
Nazi-Marsches werden auch im Grenzgebiet zwischen dem dänischen Festland
in Jütland und Schleswig-Holstein durchgeführt. Nach Angaben der Polizei
in Tondern verhinderten deutsche Behörden auch hier die Ausreise
mehrerer Personen.
Pro und Kontra
Rene Karpantschof, der die europäische
Neonazi-Szene seit Jahren beobachtet, meint, daß die Märsche trotz des
kümmerlichen Umfangs von erheblicher Bedeutung für Gruppen in anderen
Ländern seien, darunter nicht zuletzt in Deutschland. Videoaufnahmen
würden als Propagandamaterial genutzt. Karpantschof schlußfolgert: 'Die
ungemein liberalen dänischen Gesetze sind deshalb ein zentraler
Bestandteil für die Ausbreitung der nationalsozialistischen Ideologie.'
Genau gegenteilig argumentiert die
rechtsliberale Tageszeitung 'Jyllands-Posten'. Sie wirft Simon
Wiesenthal Einmischung in dänische Angelegenheiten vor. Die Aussicht auf
den ersten Nazi-Marsch in der dänischen Hauptstadt errege die Gemüter
und präge die Medien. Von der äußersten Linken werde kräftig zu
Gegendemonstrationen aufgerufen. Andre meinten sogar, man sollte den
Marsch verbieten. Nach Ansicht des Aarhuser 'Jyllands-Posten' gehört
aber eine freie Debatte zum innersten Wesen der Demokratie. Sie sei
sogar Bedingung für deren Existenz. "Wird das verfassungsmäßige Recht
auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verwässert, funktioniert die
Demokratie nicht und entwickelt sich genau in die Richtung, die die
Nazis wollen. So wäre es bei einem direkten Demonstrationsverbot. Man
kann gefühlsbetonte Reaktionen verstehen, die auf der Vernichtung der
Juden im 2.Weltkrieg basieren. Anderswo geht man deshalb bekanntermaßen
handfester gegen Neonazis vor. Das kann aber nicht verfassungswidrige
Aktionen gegen sie in Dänemark rechtfertigen".
Simon Wiesenthal:
Rudolf-Hess-Marsch in Kopenhagen
verbieten!
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Samstag, 14. Dezember 2013 |