Richard Wagner und Israel:
Tel Aviv wagte neuen Anlauf in heikler Debatte
Tel Aviv (dpa) - Bis heute werden die Opern Richard Wagners auf israelischen
Bühnen nicht gespielt. Doch kann der deutsche Komponist noch immer als
Symbol für Nazi-Terror und Judenhass gelten? Eine Podiumsdiskussion im
Opernhaus von Tel Aviv sollte am vergangenen Wochenende Klarheit bringen.
Unter anderem war Richard Wagners Urenkel Gottfried angereist, um über die
heikle Frage zu diskutieren.
Die rege Debatte, zu der die Oper geladen hatte,
erreichte eine turbulenten Höhepunkt, als überraschend ein Auszug aus
Wagners «Fliegendem Holländer» vorgetragen werden sollte. Unter empörten
Rufen und Beschimpfungen erhob sich ein Teil des Publikums von seinen
Plätzen, um den Saal zu verlassen.
«Wagners Musik verletzt unsere Gefühle», riefen sie. «Es
ist unfair, daß dies vorher nicht angekündigt wurde. Wir lassen uns
nicht zwingen, diese Musik zu hören.» Schließlich wurde der musikalische
Beitrag abgebrochen und nur allmählich beruhigte sich das Publikum
wieder.
Die Meinungen auf dem Podium gingen weit auseinander.
Noach Klüger, Journalist der Tageszeitung «Jedioth Achronoth», hat den
Holocaust in Auschwitz überlebt. Er bat die Israelis abzuwarten, bis er
und die letzten Überlebenden verstorben seien. «Dann könnt ihr so viel
Wagner spielen, wie ihr wollt.»
Der Israeli Ascher Fisch hingegen dirigiert Wagners
Opern mit Erfolg auf internationalen Bühnen. Er trennt zwischen Werk und
antisemitischer Lebensphilosophie des Komponisten. «Um die Holocaust-
Überlebenden zu respektieren ist es viel wichtiger, das Wissen um die
deutsch-jüdische Kulturtradition an die nächsten Generationen in Israel
weiterzugeben, als die Werke Richard Wagners zu tabuisieren», sagte
Fisch.
Der Urenkel des umstrittenen Meisters hält diese
Diskussion in Israel für verfrüht. «Den wenigsten ist bekannt, welche
Ausmaße Richard Wagners Judenhaß wirklich annahm», betonte Gottfried
Wagner. «Die Welt kennt lediglich seinen Aufsatz 'Das Judentum in der
Musik', dabei liegen in den Archiven in Bayreuth Dutzende Schriften, in
denen sich die antisemitischen Äußerungen erschreckend häufen. Es ist
skandalös, daß dies noch nicht veröffentlicht wurde.»
Gottfried Wagner, der selbst über den jüdischen
Komponisten Kurt Weill promovierte, forderte eine mehrsprachige Ausgabe
der unveröffentlichten Wagner-Schriften aus den Archiven. «Erst nach
einer detaillierten, wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem
Werk, kann man kompetent über Wagner diskutieren.» Er bezeichnet seinen
Urgroßvater als «Propheten des Nazismus, der die Musik dazu benutzte, um
die Welt nach seinen Anschauungen zu verändern.»
Das Verhältnis der Juden zu Richard Wagner war schon
immer ambivalent. Wagner hat seinen Erfolg auch jüdischen Musikern zu
verdanken, die seine Werke schätzten und schon zu dessen Lebzeiten
spielten. Nicht zuletzt war Theodor Herzl begeisterter Liebhaber seiner
Opern.
Den zweiten Zionistischen Kongreß 1898 ließ er mit der
«Tannhäuser»-Ouvertüre eröffnen. Auch heute fehlt es nicht an jüdischen
Wagner-Interpreten. Der israelische Dirigent Daniel Barenboim ist ein
gefeierter Star bei den Bayreuther Festspielen.
Doch die emotionsgeladene Diskussion am Opernhaus in Tel
Aviv verdeutlichte, daß der Zeitpunkt, an dem Wagners Opern in Israel
aufgeführt werden können, noch in weiter Ferne liegt. Bis dahin müssen
sich die alten deutschen Juden, die auf die Werke des Romantikers und
Revolutionärs nicht verzichten wollen, wohl mit der CD-Kollektion im
Wohnzimmer zufrieden geben.
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