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Freie Jüdische Umschau

Der lange Herbst der Macht
Marschiert der Kanzler sehenden Auges in den Untergang?

Als vergangene Woche das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe eingeweiht wurde, schritt der Kanzler, neben sich den treuen Stolpe, barhäuptig zwischen den riesigen Schloten und Heizkammern umher. Seine Begleitung trug den vorgeschriebenen Schutzhelm, bewehrt gegen Angriffe aller möglichen Feinde, eine Prätorianergarde, geschart um ihren todgeweihten Caesar. Natürlich hatte der Kanzler einen guten Grund, vorschriftswidrig seinen Helm abzunehmen und ungeschützt durch die modernste Energietechnik Europas zu schreiten. Schließlich war das Fernsehen dabei, die fünf neuen Länder insonderheit sollten sehen, wie heftig bei ihnen investiert wird, und auch der Bauherr sollte sich einprägen: Helmut Kohl, Kanzler der Einheit, Friedensfürst und großherziger Regent, der die Seinen nicht verkommen läßt.

Nebenbei sollte seinem Widersacher, der sich durch jahrelanges Kanzler-watching die großen Gesten bei ihm abgeschaut hatte, mit diesem staatsmännisch segnenden Umgang bedeutet werden, wer der wahre Meister der Inszenierung war. Dumm nur, daß der neue Regierungssprecher, in Schwarze Pumpe hinter den Kanzler aller Deutschen geklemmt, in einem Interview überraschend undiplomatisch formuliert hatte: „Die Menschen in Ostdeutschland sollten aber wissen, daß die Hilfsbereitschaft mit der Wahl von Extremisten nicht überstrapaziert werden darf.“ Außerdem sei die PDS sowieso eine Nazi-Partei. Wenn einer so ahnungslos parforce reitet, wird selbst den Herrenreitern von der Frankfurter Allgemeinen der Historikerstreit zu billig gewonnen. Helmut Kohl aber stellte sich mannhaft vor und hinter seinen Knappen.

Modern Talking in Bonn

Aber das Unglück nahm bereits seinen Lauf. Jahrelang hatte die atombegeisterte Regierung Kohl den Tanzbären der Energiewirtschaft gespielt, fröhlich pfeifend Millionen für den Einsatz von Polizisten ausgegeben, die auf Verlangen gern in die Kamera sagten, daß die Castor-Transporte todsicher seien, und dann mußte die Umweltministerin zugeben, daß sie ebenfalls jahrelang schwerbelastete Castor-Behälter durchs Land hatte fahren lassen. Helmut Kohl wachte auch hier über sein Gesinde und warf sich im Bundestag vor die hoffnungslose Angela Merkel und ihre „großartige Arbeit“. Und dann die Berufung von Hans-Hermann Tiedje zum Wahlkampfberater. Beim letzten Mal mußte der Auto-Propagandist Peter Boenisch aushelfen, jetzt hilft nur noch der Berater von Dieter Bohlen und Schalk-Golodkowski. Es wird langsam ernst und ziemlich finster um Helmut Kohl.

Alle Angeklagten sind schön, heißt es bei Franz Kafka im „Prozeß“, und Helmut Kohl, dem gußeisernen Kanzler, eignete an jenem Tag im Kraftwerk Schwarze Pumpe etwas selten Edles. Was er auf seine späten Tage an Vernunft verliert, gewinnt er unerwartet an Tragik.

Jahrelang gab er sich willig als ABM-Projekt für Kabarettisten und Karikaturisten her, spielte Birne und den Tolpatsch auf der Weltbühne. Heimlich aber nahm er zu an Weisheit und Umfang und reifte unter der Hand zum Staatsmann. Zwar gab es eine Zeit, da wollte er Schlesien zurückhaben und verglich Gorbatschow mit Goebbels, gab sogar Ronald Reagan das Ehrengeleit zu den SS-Gräbern in Bitburg, aber außer Otto Hauser erinnert daran nichts mehr. Sogar der wütende Kohl ist vergessen, der in Halle auf Tomatenwerfer losging und sie am liebsten erwürgt hätte. Deutschland ist wiedervereinigt, Europa eurofiziert, Kohls geschichtlicher Auftrag erfüllt. Der einzige, der das noch nicht recht weiß, ist der Kanzler. Sei’s wegen des Newtonschen Gesetzes oder einer anderen politischen Mechanik, Kohl ist immer noch da, obwohl es längst vorbei ist mit ihm.

Inzwischen läßt er die Akten aus den ersten Jahren seiner unendlichen Amtszeit erscheinen, als wär’s eine längst vergangene Epoche, dabei ist er immer noch im Amt. Vielleicht dämmert ihm dennoch langsam die Einsicht des nahenden Endes, verhält er sich deswegen immer weniger rational. Die Umfragen sind gegen ihn, die Wähler würden ihn liebend gern gegen seine jüngere Version Gerhard Schröder austauschen, aber Kohl sitzt weiter auf seinem Posten, benimmt sich merkwürdig und holt seinen alten Feind Tiedje als Berater für seine letztes Stündlein und den ahnungslosen Tropf Hauser als Regierungssprecher.

Offenbar regiert in Bonn nicht mehr das „Ungeschick“, das Michael Rutschky so kennzeichnend fand für die achtziger Jahre, sondern ein schwerdepressives Selbstmordkommando. Westerwelle und Möllemann die ewigen Windhunde von der FDP, heben schon den Finger und wollen auch beim nächsten Mal dabei sein und bitte nicht verantwortlich gemacht werden für die Niederlage. Wolfgang Schäuble weiß nicht, ob er drinnen oder draußen ist, ob er noch der Kronprinz ist oder schon wegen Verrats verurteilt.

Helmut Kohl hält weiter die Stellung, auch wenn alles vorbei ist. Mit frischen Subventionen wird sich die Arbeitslosigkeit vielleicht kleinerreden lassen. Jeder weiß, daß es vorbei ist, aber Kohl macht weiter. Es fehlt eigentlich nur noch der „Nero-Befehl“ und die Erklärung, daß Deutschland einen wie ihn, Kohl nicht verdient habe. Immerhin ist da die Demokratie vor, der gestürzte und abgewählte Kanzler kann sein Volk vielleicht verwünschen, aber nicht mit in den Untergang reißen. So geht alles seinen Gang in den Herbst. Die nächste Regierung wird das Versagen der gegenwärtigen bezahlen müssen, und die FDP wird wie immer dabei sein. Nur Helmut Kohl wird furchtbar schmollen über sein undankbares Volk. Demokratie ist, wenn man trotzdem lacht.

Alle Angeklagten sind schön, sagt Kafka, aber der Prozeß geht nicht gut aus: ''Es war, als sollte die Scham ihn überleben.''

aus / nach WILLI WINKLER SZ-0698

haGalil onLine: Samstag, 14 Dezember 2013

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