Referendum über
Truppenabzug brächte «gefährliche» Verzögerung - Korruption und Veruntreuung
- Kairo wird Unabhängigkeitserklärung unterstützen - Arabische Liga tagt zum
Thema Jerusalem
Palästinensische Geheimdienste warnen
eindringlich:
Lage kann jeden Moment explodieren
Ramallah (dpa) - Eine fortdauernde Verzögerung des israelischen
Truppenabzugs aus weiteren Teilen des Westjordanlands birgt nach Ansicht
palästinensischer Geheimdienste die Gefahr einer «gewaltsamen Explosion
jeden Moment». Die palästinensische Zeitung «Al Ayyam» (Ramallah), die der
palästinensischen Autonomiebehörde nahesteht, berichtete am Mittwoch von
einem Treffen der Chefs der Geheimdienste mit Palästinenserpräsident Jassir
Arafat am Vortag. Dabei sei diese Lageanalyse einhellig vorgetragen worden.
Hassan Asfour, einer der palästinensischen
Koordinatoren der Friedensgespräche mit Israel, sagte nach Angaben des
Blattes nach dem Treffen: «Die Politik von (Israels Regierungschef
Benjamin) Netanjahu hat alle Faktoren reifen lassen, die nötig sind für
eine breite Explosion unter der palästinensischen Bevölkerung. Sie kann
jeden Moment eintreten».
Ein leitender palästinensischer
Geheimdienst-Mitarbeiter sagte demnach, die Möglichkeiten der
Autonomiebehörde, auf gewaltbereite Palästinenser beruhigend
einzuwirken, gehe immer weiter zurück. Arafat-Berater Marwan Kanafani
sagte dem palästinensischen Rundfunk, die jüngsten Manöver Netanjahus in
der Jerusalem-Frage seien «ein letzter Beweis, daß er keinen Frieden
will». Er rief die UNO und die USA auf, zu intervenieren.
Referendum über Truppenabzug brächte
«gefährliche» Verzögerung
Ein Referendum über den israelischen Truppenrückzug
aus dem besetzten Westjordanland würde eine monatelange Verzögerung
bedeuten die explosiven Lage weiter verschärfen. Durch technische und
legislative Vorlaufzeiten könnte eine solche Volksbefragung nicht vor
September stattfinden.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will in Kürze
entscheiden, ob es ein solches Referendum geben soll oder nicht.
Korruption und Veruntreuung
Der palästinensische Zentralrat hat am Mittwoch
dafür gestimmt, die für Donnerstag geplante Sondersitzung über eine
Mißtrauensabstimmung zu streichen, nachdem Arafat in einem Brief
versprochen hatte, bald ein neues Kabinett vozustellen. Ein Sprecher des
Zentralrates, Ahamd Qrei, verlas das kurze Schreiben Arafats, in dem der
Palästinenserpräsident den Rücktritt des gesamten
Palästinenser-Kabinetts akzeptierte und auf derzeitige Konsultationen
zur Bildung eines neuen Kabinetts hinwies. Er werde dem Zentralrat
innerhalb von zwei Wochen ein neues Kabinett präsentieren, versprach
Arafat. Gegen verschiedene palästinensische Minister waren schwere
Korruptions- und Veruntreuungs-Vorwürfe erhoben worden.
Kairo wird Unabhängigkeitserklärung
unterstützen
Der ägyptische Außenminister Amre Mussa bekräftigte,
daß Kairo die Erklärung eines unabhängigen Palästinenserstaates
unterstützen würde. Mussa erinnerte in einem Interview des ägyptischen
Wochenmagazins «Al-Mussawer» (regierungsfreundlich) daran, daß die
Palästinensische Befreiungsorganisation PLO in seiner Eigenschaft eines
palästinensischen Staates auf Vorschlag Kairos in die Araber-Liga
aufgenommen worden sei. Mussa sagte, Arafats Entscheidung, einen
unabhängigen Staat im kommenden Mai zu erklären, reflektiere die
arabische Enttäuschung über den derzeitigen Stillstand im Nahost-
Friedensprozeß.
Arabische Liga tagt zum Thema Jerusalem
Die Arabische Liga hat für diesen Donnerstag eine
Dringlichkeitssitzung nach Kairo einberufen, an der nicht die
Außenminister der 22 Mitgliedsländer, sondern die ständigen
Repräsentanten teilnehmen. Dabei sollen die Pläne der israelischen
Regierung für die Neuordnung des Großraums Jerusalem erörtert werden,
bei denen auch Vororte im Westjordanland nach Jerusalem eingemeindet
werden sollen. Die Araber sehen darin einen Verstoß gegen die
Vereinbarung, den Status Jerusalems erst bei den Verhandlungen über den
endgültigen Status der Palästinensergebiete zu regeln. Die
Dringlichkeitsitzung war von den Palästinensern gefordert worden.
1998-juni |