Berlin - 10.000
Einladungen wurden verschickt und 500 Akteure kamen. Sie sind nun
Mitspieler bei einer ungewöhnlichen Neuinszenierung des
Dokumentationsstückes 'Die Ermittlung' von Peter Weiss (1916-1982) in
Berlin. Hinter dem Experiment, für das sich gleich drei hauptstädtische
Bühnen engagierten, steht der Konzeptkünstler Jochen Gerz zusammen mit
seiner Frau, der Bildhauerin Esther Shalev-Gerz.
Wie nur wenige deutsche Künstler
hat sich der 58jährige in Paris lebende Gerz so intensiv mit dem
Gedenken und dem Erinnern an den Holocaust beschäftigt. Sein Entwurf zum
Holocaust-Mahnmal in Berlin gehört zu den vier Modellen, die in die
Endausscheidung für das zentrale Denkmal für die ermordeten Juden
Europas in der deutschen Hauptstadt kamen.
Gerz stellt sich unter
Vergangenheitsbewältigung nicht 'Holocaust-Agonie' sondern 'Erleben und
Bekennen' anregen. Sein Konzept für das nach einem Prozeß gegen Aufseher
des Konzentrationslagers Auschwitz vor einem deutschen Gericht im Jahr
1965 entstandene Weiss-Stück heißt: Es ist zu wenig, wenn Menschen nur
Zuschauer bleiben. 'Es ist ein Akt der Glaubwürdigkeit, daß jeder, der
ins Theater kommt, selbst zum Stück wird und sich fragt: 'Was hätte ich
gemacht?', erklärt Gerz.
Ende Februar wurde mit den
Proben in Form von 'Seminaren' begonnen. Zunächst lasen die Beteiligten
Texte aus dem 'beschämendsten Theaterstück der Geschichte', wie Gerz
'Die Ermittlung' nennt. Die Berufe der Teilnehmer reichen vom Ex-Senator
über die Studentin bis zur Rentnerin. Professionelle Schauspieler wird
es kaum geben.
Die 'Berliner Ermittlung'
versteht sich als ein 'interaktives Theaterprojekt', das nicht nur im
Theater und als 'Vorstellung' (im doppelten Wortsinn) stattfindet. In
den Entstehungsprozeß sind Zeitungen und elektronische Medien fest
einbezogen. 'Der Tagesspiegel' in Berlin veröffentlicht im April täglich
Fotos von Mitwirkenden zusammen mit knappen Stück-Auszügen. Fünf
Rundfunksender stimmten einer Einblendung der vorher auf
Anrufbeantworter gesprochenen Texte in die laufenden Programme zu.
'Mitten in der Morgenandacht oder im Schubert-Konzert', wünscht sich
Gerz die Störaktion zwischen acht und 14 Sekunden, die Hörer gleichsam
irritiert und nachdenklich machen soll.
Die Premiere ist Ende Mai mit
drei unterschiedlichen jeweils einstündigen Aufführungen im Hebbel
Theater, am Berliner Ensemble und der Volksbühne geplant. Bei der Arbeit
im 'öffentlichen Raum' gehe es darum, schon vor der Aufführung ein
möglichst breites, potentielles Publikum mit dem Weiss-Text zu
konfrontieren, erläutert Gerz. Beispielsweise sollen Prominente an Orten
in Berlin, etwa an der Gedächtniskirche, in der U-Bahn oder im
Olympiastadion, vor der Fernsehkamera aus der 'Ermittlung' einen Text
lesen.
Weiss schrieb sein Stück über
die 'Hölle auf Erden' im Vernichtungslager Auschwitz auf der Grundlage
des Auschwitz-Prozesses (1963-1965) in Frankfurt am Main. Das Material
lieferten ihm die Aussagen von Opfern und Tätern: Tausende von
Aktenseiten, Leidenskataloge und Schreckenslisten von Nazi-Verbrechen.
'Die Ermittlung. Oratorium in elf Gesängen' wurde in Ost und West an 17
Orten, darunter in Berlin unter Erwin Piscator, sowie im Rundfunk
gleichzeitig 1965 uraufgeführt.
Quellen: dpa/SZ/haArez
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