DER
BODEN IST SCHON BEACKERT
Von Carsten Beck
Obwohl noch gar nicht ins Deutsche übersetzt, sorgt
hierzulande seit einiger Zeit das von Historikern unter der Leitung von
Stéphane Courtois verfaßte 800 Seiten umfassende "Schwarzbuch des
Kommunismus - Verbrechen, Terror, Repression" für heftige Debatten. Der
Kritische Fachschaftsbund der Freien Universität Berlin widmete diesem Buch
den letzten Termin seiner Veranstaltungsreihe "Wissenschaft und Politik".
Der in Frankreich lebende Journalist Bernhard Schmidt
lokalisiert den Herd des Geschichtsrevisionismus bei der faschistischen
Front National (FN), deren Vorsitzender Le Pen erst vor wenigen Monaten
bei einem Besuch seines Gesinnungsfreundes Franz Schönhuber in München
den Holocaust in Frage stellte.
In Frankreich habe es aber seit Jahren am linken Rande eine
geschichtsrevisionistische Strömung gegeben. Der zur Zeit wegen
Auschwitzleugnung vor Gericht stehende, zum Islam konvertierte
Ex-Kommunist Roger Garaudy ist kein Einzelfall. Auch die Autoren des
Schwarzbuches waren in den 70er Jahren überwiegend in maoistischen
Gruppen aktiv.
Heute betonen sie in der Öffentlichkeit zwar ihre politische
Unabhängigkeit, doch die Rechten nehmen ihre Thesen begeistert auf. So
organisierte eine FN-Sektion zum 80.Jahrestag der Oktoberrevolution
einen "Nürnberger Prozeß gegen die Verbrechen des Kommunismus" in Paris.
Zufällig wurde wenige Tage zuvor die erste Ausgabe des Schwarzbuches
veröffentlicht. Im Vorwort forderte Courtois gleich achtmal ein
Nürnberger Tribunal gegen den Kommunismus. Gegen diese Zuspitzung des
Herausgebers haben mittlerweile zwei der Co-Autoren Protest erhoben,
doch auch ihre Beiträge über die Sowjetunion und die Volksrepublik China
folgen einer subtilen Propaganda, die in der Aussage kulminiert: Der
Nazismus ist für 25 Millionen Tote verantwortlich, der Bolschewismus für
85 Millionen Tote. Manchmal spricht Courtois gar von über 100 Millionen
Opfern des Kommunismus. Darunter werden die bei den Aufstandsversuchen
in verschiedenen Teilen der Welt Umgekommenen ebenso subsumiert wie die
im Kampf gegen Somoza und die Contras getöteten Menschen in Nicaragua.
Im Mai will der Piper-Verlag eine deutsche Fassung auf den Markt
bringen. Daß sie sich auch in der Bundesrepublik gut verkauft - dafür
beackern hierzulande die Revisionisten schon kräftig den Boden, wie der
Politologe Lars Rensmann in seinem Referat detailliert ausführte.
Die offenen Auschwitzleugner sind politisch marginalisiert und
sorgen in der Öffentlichkeit gelegentlich für Skandale. Viel
gefährlicher sei die neurechte Variante des Geschichtsrevisionismus.
Ihre Protagonisten leugnen die Verbrechen des Faschismus nicht, sondern
versuchen, sie historisch einzuordnen und zu rechtfertigen.
Rensmann verwies auf den Berliner Historiker Ernst Nolte, der
die Zeitspanne 1917-1945 als Epoche des europäischen Bürgerkreiges
zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus bezeichnete. Dabei findet
er, abweichend von der klassischen Totalitarismustheorie, für den
Nationalsozialismus den mildernden Umstand, lediglich eine Reaktion auf
den Bolschewismus gewesen zu sein.
Zu den neurechten Revisionisten zählt Rensmann auch den
Nolte-Schüler Rainer Zitelmann und den Bonner Politologen Hans Helmuth
Knütter, der nicht nur als ständiger Autor in der rechten Wochenzeitung
"Junge Freiheit" vor dem Antifaschismus und dem "deutschfeindlichen
politischen Ober-Rabbinern in Großbritannien" warnt, sondern auch lange
Jahre bei der Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigt war.
Berührungspunkte zur Neuen Rechten sieht Rensmann auch in der
Enquetekomission des Bundestages. Deren Aussagen gipfelten u.a. in der
Erkenntnis: "Die DDR hätte auch einen Krieg geführt, wenn sie gemußt
hätte." - Da wird natürlich so ein Schwarzbuch des Kommunismus
begeistert aufgenommen.
'Neues Deutschland'
vom 17.02.´98 |