Mama
ist die Größte
50 Jahre Israel: Dance Theater Company Barak Marshall in Berlin
Emma Goldman haben wir vielleicht ein bißchen besser
kennengelernt als Tante Leah. Den Altvorderen hat der israelische
Choreograph Barak Marshall zwei seiner arabisch grundierten Stücke gewidmet,
einer amerikanischen Feministin, die von 1860 bis 1940 lebte, und der
Schwester seiner Mutter. Ein lebendiges Bild von ihnen bekamen wir jedoch
nicht.
Einen umso lebendigeren Eindruck hinterläßt allerdings Margalit
Oved nach ihrem Auftritt im Berliner Haus der Kulturen, eine ältere Dame
und einst Solistin in Sara Levi-Tanais jemenitischer Tanztheater-Truppe
Inbal. Pech für ihren Sohn Barak und seine Tänzerinnen und Tänzer, denn
wenn die Mama nur ausspuckt, ist die ganze Kompanie ersoffen. Gegen ihre
königliche Haltung besteht kein noch so kokettes Hüftwippen knuspriger
Frauen; ein paar ihrer Schritte in den Boden genagelt, fegen selbst
ausgeklügelte Variationen hinweg mit Donnerhall; und wenn sie gar ihre
Stimme erhebt, säuselnd oder mit heftiger Emphase einen ganzen
orientalischen Basar beschwört, die Kraft und Leidenschaft ihres Lebens
in die glasklaren satten Töne ihres Gesanges schickt, dann bebt das
Haus, und es vergeht einem Hören und Sehen für alles andere.
Das Dilemma: Wäre Margalit Oved nicht, wäre die Dance Theater
Company Barak Marshall eine Tanzgruppe unter vielen. Wäre Margalit Oved
nicht, dann fände man aber vielleicht die Stücke selbst interessanter.
„Tante Leah“ soll vier Abschnitte eines Frauenlebens auf der Bühne
sichtbar machen. Tänzerinnen schreiten umher mit Totenlichten, und viel
ist vom Todesengel die Rede. Von einem Leben in Stationen von der Geburt
bis zum Tod keine Spur. Mächtig hermetisch arbeitet Marshall. So
hermetisch, daß sich kaum Assoziationen einstellen wollen. Bei „Emma
Goldmans Hochzeit“ gibt es dann natürlich auch keine Hochzeit. Aber
dafür viel Klezmer-Musik, die Marshall nicht immer glückhaft mit seiner
Mixtur aus dem Modern-, Volks- und Steptanz konterkariert. Da wirkt dann
in vielen Momenten die Musikauswahl beliebig, will zu vieles nicht
zueinander passen.
Dafür gibt es einige berührende Momente, etwa jene Frau, die
sich umständlich aus dem Oberteil ihres Kleides schält und verschämt die
Arme vor den Brüsten kreuzt. Akt vor der bevorstehenden Hochzeitsnacht?
Oder das Männertrio, das schiebend und lupfend eine Frau in und auf den
Armen bewegt. Und dann jene Vestalinnen, die auf ihren Köpfen
Kerzenleuchter balancieren als feierten sie sich selbst. Eine von ihnen
ist Margalit Oved. Aber von ihr sprachen wir ja schon.
Barak Marshall verehrt sie, die Frauen. Vielleicht hält er eines
Tages künsterlisch seiner Mutter stand. Denn Kraft, Dynamik hat er,
haben seine Tänzer. Nur das Außerordentliche fehlt. (Barak Marshall
gastiert im August in Hamburg und Düsseldorf, und im Oktober in
München).
E.-E.F.
SZ vom 13.03.1998
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