„Herz statt Hetze“

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Am 9. November demonstrierten in Dresden unter dem Slogan „Herz statt Hetze – Wehret den Anfängen“ mindestens 6.000 Menschen gegen den gleichzeitig stattfindenden PEGIDA-Aufmarsch und gedachten der Opfer der Shoah…

Lucius Teidelbaum

Die Demonstration startete am Hauptbahnhof. Ursprünglich wollten die Veranstalter auf dem Theaterplatz demonstrieren, doch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes verdrängte die „Herz statt Hetze“-Demonstration an den Rand der Innenstadt. So durfte PEGIDA wie jeden Montag auf dem Theaterplatz, der bis 1945 Adolf-Hitler-Platz hieß und ein regelmäßiger Aufmarschort der Nationalsozialisten war, demonstrieren.

Die Menge war bunt gemischt, überwiegend aber recht jung. Da waren Studierende, Punks, Skater/innen, Hipster, Autonome, aber auch Mitglieder von Linkspartei, SPD und Grünen, darunter sogar Parteiprominenz.

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Als erster bei der Auftaktkundgebung sprach der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Pfarrer i.R. Hanno Schmidt. Er betonte, dass er PEGIDA nicht als legitimen Erben von 1989 sehe. Anschließend verlas Holger Hübner vom Staatsschauspiel eine Rede des Schriftstellers Michael Bittner, der selbst nicht anwesend sein konnte.

Nach diesen Redebeiträgen zog die Demonstration Richtung Innenstadt. Eine Zwischenstation machte die Demonstration auf dem Neumarkt. Die neu erbaute Dresdner Frauenkirche gehört inzwischen fest zur Kulisse des Neumarktes. Sie ist das neue Wahrzeichen Dresdens, auf das das Dresdner Bürgertum immens stolz ist. Nur selten wird aber erwähnt, dass die Frauenkirche vor ihrer Zerstörung im Februar 1945 ein Zentrum der „Deutschen Christen“ war.

Hier sprach Silvio Lang vom Netzwerk „Dresden Nazifrei“. In seiner Rede forderte er, es dürfe keine Wiederholung von 1938 geben. Außerdem sagte er: „PEGIDA ist die Wurzel des Hasses und an diese Wurzel müssen wir ran.“ Er endete mit der Forderung: „No Pasaran!“

Den Schlusspunkt der Demonstration bildete der Platz vor der Dresdner Synagoge. Die neu erbaute Synagoge samt jüdischen Gemeindezentrum und koscheren Cafe befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen, 1938 niedergebrannten Synagoge. Im Gegensatz zu den Wünschen großer Teile des Dresdner Bürgertums nach einem Wiederaufbau der alten Semper-Synagoge entschied sich die durch Einwanderung aus den GUS-Staaten wieder angewachsene jüdische Gemeinde in Dresden bewusst für einen Neu-Entwurf, der durch seine kubische Form im wahrsten Sinne des Wortes mit der rekonstruierten, barocken Stadtsilhouette ‚aneckt‘. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, da wäre nicht gewesen.

Hier sprach die Vorsitzende der Jüdische Gemeinde zu Dresden, Dr. Nora Goldenbogen. Sie sagte, sie habe in dieser Satdt „noch nie so ein bedrückendes Gefühl wie heute“ gehabt.

Sie erinnerte an die Geschehnisse von 1938, positioniert sich gegen PEGIDA und verwies unter Berufung auf Victor Klemperers Buch „Lingua Tertii Imperii“ (Latein für „Sprache des Dritten Reiches“) darauf, dass PEGIDA die Sprache des Dritten Reiches benutze. Es sei „schlimm das diese Sprache wieder ungeniert gesprochen werden kann“.

Sie forderte auf: „Wir müssen uns wehren!“ und appellierte an ihr Publikum: „Wir müssen etwas tun, das sich in Dresden etwas ändert!“.

Nach einer Schweigeminute für die Opfer des Novemberpogroms spielte die Dresdner Klezmer-Band „The Bagels“. Das mag seltsam anmuten, doch ist Klezmer ein Teil eben jener jüdischen Kultur, die die Nationalsozialisten auszurotten versuchten. Sie haben es nicht ganz geschafft. Auch daran gilt es beim Novemberpogrom-Gedenken zu erinnern.

Gegen Ende der Demonstration kam es dann noch zu einem Zwischenfall, als die Polizei nicht verhinderte, dass von der PEGIDA-Demonstration kommende Rassist/innen versuchten aggressiv in die Kundgebung einzudringen.

Leider wurde am 9. November in Dresden auf der Demonstration der aktuelle Antisemitismus, auch in den Reihen von PEGIDA, kaum benannt. Deswegen soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Form es Antisemitismus bei PEGIDA gibt.

Ist PEGIDA antisemitisch?

Es lässt sich bezweifeln, ob ein deutscher Nationalismus ohne Antisemitismus überhaupt möglich sein kann. Jede Form des Nationalismus nach 1945 in Deutschland enthielt zumindest eine Variante des Schuldabwehr-Antisemitismus und jede größere extrem rechte Bewegung oder Organisation in Deutschland beherbergte immer auch Antisemit/innen.

Antisemitismus oder Israel-Feinschaft gehört im Gegensatz zur PEGIDA-Abspaltung „Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“ (ENDGAME) nicht zur offiziellen Agenda von PEGIDA. Stattdessen streitet man vorgeblich für die Verteidigung des „christlich-jüdischen Abendlandes“.

Trotzdem findet sich bei PEGIDA und seinen diversen offiziellen und inoffiziellen Ablegern immer wieder Antisemitismus. So erging sich Michael Viehmann, damaliges AfD-Mitglied und Anmelder von PEGIDA in Kassel, auf Facebook in antisemitischen Ausfällen gegen das „Judenpack“ und forderte die Steinigung der Bundeskanzlerin, weil diese Israel unterstützt.

Melanie Dittmer, Organisatorin von PEGIDA zuerst in Bonn und später in Düsseldorf, ließ in einem Interview wissen: „Es ist unerheblich, ob es den Holocaust gegeben hat“.  

Juden werden von PEGIDA und Co. zwar manchmal vorgeblich vor dem muslimischen Antisemitismus in Schutz genommen, aber wenn der Zentralrat der Juden sich konsequent gegen antimuslimischen Rassismus positioniert, dann prasseln online die antisemitische Kommentare wie eine Sturzflut los.

Nora Goldbogen ist zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass PEGIDA sich kräftig aus dem NS-Vokabular bedient. Beispiele wären Wörter wie „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“. Das Wort „Lügenpresse“ stammt nicht nur aus dem Vokabular der völkischen Bewegung, es geht häufig auch einher mit einer Verschwörungsideologie, wonach dunkle Kreise alle Medien kontrollieren würden. Eine Vorstellung, die stark anschlussfähig ist an antisemitische Verschwörungsmythen. Dass in Berlin und Leipzig mehrfach Journalist/innen unter dem Ruf „Lügenpresse“ oder gar „Judenpresse“ angegriffen wurden, verwundert da kaum.

Wenn dann die gescheiterte Dresdner PEGIDA-Kandidatin für die OB-Wahl, Tatjana Festerling, wie der News-Ticker der „Dresdner Neueste Nachrichten“ berichtete, auf der PEGIDA-Kundgebung am 9. November forderte, den „Schuldkomplex der Naziherrschaft beenden“ und laut FAZ ebenfalls forderte: „Lasst uns mit eurem Schuldkult in Ruhe“, dann freuen sich antisemitische Gemüter.

Nicht zu vergessen ist auch, dass beim ersten Jahrestag von PEGIDA am 19. Oktober 2015 der Ein-Mann-Stammtisch Akif Pirinçci auftrat und vor seinem Publikum verkündete: „Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“

Vielleicht sind nicht alle „Patriotischen Europäer“ ihre Anführer/innen offenen Antisemit/innen, aber ihre Redebeiträge werden von solchen sicherlich dankend goutiert.

Ein trauriger Beweis dafür, dass sich Antisemit/innen bei PEGIDA wie Fische im Wasser bewegen, war der Umstand, dass am Montag die Mahnwache am Stolperstein an der Sophienstraße nahe dem Theaterplatz mehrfach von PEGIDA-Anhänger/innen angepöbelt wurde. Claus Dethleff, der Vorsitzende des „Vereins Stolpersteine Dresden“ sagte gegenüber der BILD: „Wir wurden als schwules Pack, Kinderficker und linke Schweine beschimpft. Manche leugneten sogar den Holocaust, behaupteten es hätte ihn gar nicht gegeben.“

Der real existierende Antisemitismus heutzutage hat eine lange Geschichte. Auch daran wird am 9. November gedacht.

Exkurs: Antisemitismus in Dresden

juedisches.Dresden.Denkmal.SynagogeDresden war im Nationalsozialismus eine NSDAP-Hochburg und galt neben Franken als antisemitischster Gau im Dritten Reich. Der in Dresden ansässige sächsische Gauleiter Martin Mutschmann drohte bereits in einer Rede Ende Juni 1931 in Weimar mit brennenden Synagogen: „Möge das Ringen und Kämpfen jetzt noch so schwer sein, es wird einmal alles abgerechnet und gerächt werden, und es werden einmal Synagogen rauchen. Denn nicht umsonst darf der jahrzehntelange Kampf gewesen sein, nicht umsonst wurden deutsche Menschen hingemordet, nicht umsonst ehrliche rechtschaffene Deutsche so übel verleumdet und beleidigt. Es kommt der Tag der furchtbaren Abrechnung.“ (zitiert nach: Clemens Vollnhals (Hg.): Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, Seite 200)

Die schrittweise Entrechtung der jüdischen Bevölkerung in Dresden nach der Machtübernahme 1933 dokumentierte der jüdischstämmige Germanistik-Professor Victor Klemperer in seinen sehr lesenswerten Tagebüchern.

In Dresden ging es dabei schneller und strikter zu als andernorts. So wies die Stadt ihre Dienststellen bereits am 31. März 1933, also noch vor dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ an, „sämtliche Beschäftigten jüdischer Rasse“ zu entlassen.

Auch in Dresden brannte am 9. November 1938 die Semper-Synagoge in der Innenstadt.

Die Pogrome waren von staatlicher Seite aus organisiert und wurden von Angehörigen der Partei ausgeführt. Sie stießen beim Rest der Bevölkerung offenbar weder auf große Zustimmung, noch auf großen Widerstand. Klemperer vermerkte rückblickend auf das Novemberpogrom in einem Eintrag vom 31. Dezember 1939: „Die Pogrome im November 38 haben, glaube ich, weniger Eindruck auf das Volk gemacht als der Abstrich der Tafel Schokolade zu Weihnachten.“

Das Schicksal der jüdischen Minderheit scheint die restlichen Deutschen damals nicht sonderlich berührt zu haben.

In Folge des Pogroms wurden 151 männliche Juden aus Dresden in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und dort mit tausenden anderen mehrere Wochen gefangen gehalten und gequält.

Das Pogrom und die Verschleppung von insgesamt 28.000 männlichen Juden ins KZ führte zum Ansteigen der Zahlen jüdischer Auswanderer bzw. Flüchtlinge.

Die verbliebenen Dresdner Juden und Jüdinnen zwangen die Nationalsozialisten, in so genannten „Judenhäusern“ zu leben, wovon es 40 in Dresden gab.

Ab Anfang 1942 setzen dann die Deportationen in den Osten ein, wo die meisten Deportierten ermordet wurden.

Am 21. Januar 1942 wurden 224 Menschen vom Bahnhof Dresden-Neustadt in das Ghetto von Riga deportiert, mehrere Transporte von Juli 1942 bis zum Januar 1944 brachten etwa 250 Menschen in das Ghetto Theresienstadt.

Im November 1942 mussten bis auf wenige Ausnahmen, wie z.B. Victor Klemperer, die letzten jüdischen Einwohner/innen der Stadt, ca. 300 Männer, Frauen und Kinder, ihre Wohnungen räumen und wurden in das „Judenlager Hellerberg“ am Nordrand Dresdens gebracht.

Hier mussten sie Zwangsarbeit für die Rüstungsproduktion von Zeiss-Ikon leisten. Nach der Auflösung des Lagers Anfang März 1943 wurden 279 Menschen nach Auschwitz deportiert. Von dem Transport, der insgesamt 1500 Menschen umfasste, wurden etwa 800 Menschen sofort in den Gaskammern ermordet. Insgesamt überlebten nur zehn von ihnen.

Bei Kriegsende lebten von den einstmals 5.000 Dresdner Juden nur noch 41 Juden in der Stadt.

In der Sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR bildet sich eine kleine jüdische Gemeinde heraus. Doch in den 1950er Jahren kommt es im Ostblock zu einer politischen Säuberungswelle mit antisemitischen Charakter, die auch in der DDR Ausläufer hat.

Die Repression der SED richtete sich auch gegen die wieder erstandenen jüdischen Gemeinden in der DDR, denen u.a. Kontakte  nach Israel oder in den Westen vorgeworfen wurden. Durch diese antisemitische Kampagne verschreckt, verlässt 1952 und 1953 etwa die Hälfte aller Juden die DDR. Unter den Flüchtlingen war damals auch der Vorsteher der Jüdische Gemeinde in Dresden.