„This is Iran“

0
38

Am 21. September meldete die New York Times den Vollzug einer umstrittenen Maßnahme des Joint Comprehensive Plan of Action, also des Wiener Atomabkommens vom 14. Juli. „Atomic Agency Defends How Iran Collected Evidence at Secret Base“

Von Detlef zum Winkel

Für diejenigen, denen es schon gar nicht mehr auffällt, sei nochmal hervorgehoben: Iran collected evidence… Der Iran stellte die Inspektoren selbst, die für die IAEA Bodenproben auf dem Terrain der Militäranlage Parchin entnahmen. Sie taten das unter Zuhilfenahme von Kameras. So konnten die watchdogs – oder sollte man besser von Miezekatzen sprechen? – das Verfahren bequem im eigenen Büro verfolgen. Nun werden diese Proben in Wien analysiert. Das Vorgehen sei „unüblich“, räumte IAEA-Direktor Yukiya Amano ein, entspreche aber durchaus den Standards der Behörde. „We feel fully confident that the process and the end result so far are fully in line with our safeguards practices.” Freilich sollte die IAEA, wenn man Obama beim Wort nimmt, gar nicht vertrauen, sondern verifizieren.

Die Nachrichtenagentur Associated Press hatte bereits am 19.8. berichtete, im Fall Parchin werde der Kontrollierte die Kontrollen selbst vornehmen. Auf den Autor des Berichts, George Jahn, inszenierten Obamas Campaigner eine Hetzjagd. Ob er seine Informationen von Netanyahu beziehe, fragten sie höhnisch, wobei einem der Hohn egal sein kann, der darin eingebettete Antisemitismus allerdings nicht. Namhafte Multiplikatoren der Demokratischen Partei beschuldigten AP der Fälschung. Solcher Methoden habe sich George Bush bedient, um den Krieg gegen den Irak zu begründen. Rasch hat sich herausgestellt, dass Jahn zu hundert Prozent recht hatte. Das deutsche Zollkriminalamt, das über eine Zunahme illegaler Exporte in den Iran klagt, darf nun überlegen, ob es dem Vorbild der IAEA folgt. Warum nicht die Warencontainer deutscher Unternehmen, z.B. aus der Nuklearindustrie, in Teheran kontrollieren lassen, wo sie sowieso geöffnet werden? Ein paar Kameras kann man ja dazustellen.

Nur zu gut kann man die Erleichterung der iranischen Offiziellen verstehen. Man habe einen sehr wichtigen Schritt bei der Abarbeitung der im JCPOA vereinbarten Maßnahmen hinter sich gebracht. Die „Märchen“ seien widerlegt, die über Parchin verbreitet worden seien. Iran glaubt also zu wissen, wie der Bericht über Parchin ausfallen wird, den die IAEA bis zum 15.12. erstellen soll. Eine geeignete NYT Meldung ist leicht beizusteuern: Atomic Agency Collected no Evidence at Secret Base.

Es gebe keine Befunde für Experimente mit der Zündtechnik von Atombomben, wird Amano wahrscheinlich erklären, auch nicht für Arbeiten an einem Raketensprengkopf oder für heimliche Abzweigungen von Material aus dem nuklearen Brennstoffkreislauf. Damit macht sich die IAEA zum Erfüllungsgehilfen der P5 + 1 Staaten, der EU und des Iran, die sich einig sind, nicht in der „Vergangenheit“ herumzustochern. Sie werden es auch in Zukunft nicht anders handhaben. Am Präzedenzfall Parchin hat Teheran das Verdikt seines „Supreme Leader“ Khamenei durchgesetzt, wonach Inspektionen nuklearverdächtiger Militäranlagen durch ausländische Inspektoren „nicht erlaubt“ werden. Damit ist ein bedeutender Teil des JCPOA ad absurdum geführt.

Auch mit den anderen historischen Fortschritten, die Kerry, Zarif, Lawrow, Steinmeier und Co. in Wien erzielt haben wollen, sieht es nicht gut aus. Anfang September erteilte Khamenei allen Hoffnungen auf eine Entspannung eine Absage. Man habe ausschließlich die Nuklearfrage mit den USA verhandelt, sagte er bei mehreren Anlässen. Ansonsten gebe es nichts zu verhandeln, weil sich die Innen- und Außenpolitik der Islamischen Republik nicht ändern werde, im Irak nicht, in Syrien nicht, im Libanon nicht und gegenüber Israel schon gar nicht. Wie um dem US-Kongress rechtzeitig vor seiner Abstimmung über den JCPOA noch einmal klarzumachen, mit wem er zu tun hat, drückte er seine Hoffnung aus, Israel möge es in 25 Jahren nicht mehr geben und in der Zwischenzeit werde das Land auch keine Ruhe haben. „This is Iran“, erklärte Khamenei. Er hätte auch sagen können, die Hinrichtungen gehen weiter.

Rasch folgten den Ankündigungen Taten. Die Revolutionsgardisten haben ihre Einheiten in Syrien verstärkt; offensichtlich gibt es Absprachen zwischen Assad, Russland und Iran zu einer militärischen Offensive, die als Kampf gegen den IS ausgegeben wird, aber der demokratischen syrischen Opposition gilt. In Israel intensiviert der mit dem Iran verbundene Islamische Jihad seine Attentate auf israelische Bürger mit dem Ziel, eine dritte Intifada auszulösen. Genau das war vor einem Jahr bei einem Besuch des Chefs dieser Terroristengruoppe, Ramadhan Abdullah, bei Khamenei verabredet worden.

Auf ein weiteres, bisher kaum bekanntes Statement Khameneis zum Atomdeal macht das Middle East Media Research Institut aufmerksam. Der Supreme Leader habe sich am 3. September entschieden dagegen ausgesprochen, dass die westlichen Sanktionen gegen den Iran gemäß JCPOA nur ausgesetzt (suspended) und nicht aufgehoben (lifted) werden. Das sei inakzeptabel. Diese erstaunliche Aussage interpretiert memri so, dass Khamenei seine Unterstützung für den Vertrag aufgekündigt hat und neue Verhandlungen fordert. Jetzt geht es um die Kernsubstanz des Abkommens.

Tatsächlich hat memri die Rede vor dem Expertenrat korrekt wiedergegeben, wie man auf leader.ir nachlesen kann, wo inzwischen eine deutsche Übersetzung eingestellt ist. Khamenei gab zunächst seinen Beschluss bekannt, die Entscheidung über den JCPOA dem iranischen Parlament Majlis zu überlassen. „Die Abgeordneten des Volkes sind es, die eine Entscheidung treffen müssen.“ Anschließend nannte er „einige Punkte“, die er mit seinen „geschätzten Brüdern und Freunden in der Regierung“ habe besprechen müssen. Die US-Verantwortlichen hätten sich nämlich bei den Verhandlungen einer „üblen Sprache“ bedient, die eine Klarstellung erforderlich mache. Dabei bezog er sich auf die formale Aufrechterhaltung des Sanktionrahmens im JCPOA, von westlichen Diplomaten als snap back-Mechanismus bezeichnet: Wenn der Iran gegen das Abkommen verstößt, sollen die Sanktionen automatisch, d.h. ohne erneute Beschlussfassungen, wieder in Kraft treten. „Wozu haben wir dann überhaupt Verhandlungen geführt?“, fragte Khamenei und gab den Experten sogleich die Antwort. „Dies widerspricht völlig dem Beweggrund der Islamischen Republik Iran bei den Verhandlungen, denn ihr Verhandlungsziel war die Aufhebung der Sanktionen.“

Auch der Supreme Leader hat sprachlich noch Optimierungsbedarf, zumindest in der übersetzten Fassung, aber dass er sich unklar ausdrücken würde, kann man ihm nicht vorwerfen. Es ist eine gänzlich undiplomatische Ohrfeige für Präsident Rohani, Außenminister Zarif und den Leiter der iranischen Atombehörde, Salehi. Die Regierung solle damit aufhören, fuhr Khamenei fort, ihre Einwilligung in eine Suspendierung der Sanktionen damit zu rechtfertigen, dass es bloß eine Formel sei, welche die US-Seite benötigt habe, um die Vereinbarung der amerikanischen Öffentlichkeit zu verkaufen. Das ist eine interessante Offenbarung, denn genau so dürfte Kerry in Wien agiert haben, flankiert von Steinmeier, der den iranischen „Freunden“ gewiss versichert hat, dass sie vom snap back nichts zu befürchten hätten. Doch darauf lässt sich Khamenei ausdrücklich nicht ein: „Sollten die Sanktionen nicht aufgehoben werden, so gibt es auch keine Vereinbarung mehr. Diese Angelegenheit ist also konkret zu klären.

Diese Sätze scheinen unmissverständlich zu sein, und man wundert sich, warum die freie westliche Presse kein Wort darüber verliert. Steht Obama vor der beachtlichen Blamage, dass der iranische Majlis, der seinem Supreme Leader treu ergeben ist, den Deal zurückweist, den der US-Präsident gerade mit Ach und Krach durch den Kongress gebracht hat? Das glaube ich nicht. Vielmehr müssen wir lernen, die orientalische Diplomatie etwas besser zu verstehen. Khameneis starke Worte könnten umgekehrt gerade der Weg sein, der es dem Majlis erlaubt, das Wiener Abkommen durchzuwinken. Denn der Iran braucht die auf seinen westlichen Konten eingefrorenen Milliarden, und er braucht, allen behaupteten Fortschritten zum Trotz, die Technologie-Lieferungen westlicher, vornehmlich deutscher Unternehmen. Deshalb fallen die Konsequenzen, die Khamenei zieht, weniger stark aus. „Aber die Sanktionen müssen aufgehoben werden! Sollten sie suspendiert werden, so werden auch wir die Schritte, die wir vornehmen sollen, in der Schwebe halten und nicht in Form grundlegender Maßnahmen durchführen.“

So lautet die Empfehlung des Supreme Leader an seinen Majlis, dessen Entscheidungsfindung er ansonsten aber überhaupt nicht beeinflussen möchte: in der Schwebe halten. Die Hardliner im Majlis können die Regierung schelten, dass sie keine Aufhebung der Sanktionen durchgesetzt hat, sie auffordern Gleiches mit Gleichem zu vergelten und es dabei belassen. Zarif wird Kerry versichern, dass die iranische Politik davon nicht beeinflusst werde, und Steinmeier wird das Ganze für irrelevant erklären. Damit hat es für die repräsentativen Medien keinen News-Wert. Nur die ganz Harten werden fragen, was In-der-Schwebe-Halten konkret bedeutet.

Verlieren wir uns nicht in Details, sie werden uns noch oft genug beschäftigen. Im Kern wurde in Wien vereinbart, die „Ausbruchszeit“ des Iran für die nächsten zehn Jahre auf zwölf Monate zu begrenzen. Damit ist gemeint, die nuklearen Kapazitäten des Iran so weit zu reduzieren, dass er zwölf Monate braucht, um den nuklearen Sprengstoff für eine Atombombe zu produzieren. Den erzielten Fortschritt begründet die US-Administration damit, dass diese Ausbruchszeit momentan nur zwei Monate betrage. Wenn Khamenei jetzt erklärt, keine endgültigen, sondern nur vorläufige Maßnahmen gemäß JCPOA ergreifen zu wollen, dann meint er, dass es faktisch bei zwei Monaten bleibt. Das freut die Revolutionsgardisten, die sich bei der Umsetzung dieser Anweisung besonders ins Zeug legen werden, zumal sie sich selbst kontrollieren dürfen, wenn der IAEA irgendetwas auffällt. This is Iran. Trotzdem – oder deshalb? – setzt der Westen die Sanktionen aus, und die deutsche Industrie exportiert dorthin mit inbrünstiger Begeisterung, weil sie in trauter Einheit mit ihrem sozialdemokratischen Wirtschaftsminister fest daran glaubt, für die Folgen nicht aufkommen zu müssen.