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peacecamp 2015 in Lackenhof am Ötscher…

Im beschaulichen Ötschergebirge, fernab von Trubel, Gewalt und Konsum, trafen sich heuer je neun jüdische und palästinensische Jugendliche aus Israel und ebenso viele aus Österreich und aus Ungarn, um sich im mittlerweile 13. peacecamp gemeinsam mit 14 Erwachsenen Gedanken zum Thema Frieden zu machen. Im Vorfeld hatten sie „Vier Fragen zum Thema Frieden“ beantwortet, es hatte jede Gruppe einen kleinen Videofilm zu aktuellen sozio-politischen Themen gedreht und sich überlegt, wie sie an ihrem „Culture Evening“ die eigene Gruppe charakterisieren und vorstellen würden. Was sie nicht ahnten war, dass sie am Ende der nur zehntägigen Begegnung als Stars der show4peace auf der Bühne des Wiener Theaters Dschungel spielen und sogar einen Fernsehauftritt haben würden.

Die Erwachsenen, Experten in den Bereichen Psychologie, Erziehung, Kunst und Geschichte, luden die jungen Menschen auf eine Reise mit vergnüglichen, spannenden, aber auch durchaus ernsthaften Wegstrecken ein. Zehn Tage boten Gelegenheit, nach „Frieden“ in sich selbst und mit den jeweils andern zu suchen, sich in gemischten Gruppen witzigen, kniffeligen aber auch fordernden Aufgaben zu stellen und zu überlegen, was jede/r dazu beitragen könnte, die eigene Welt friedvoller zu gestalten. Gemeinsames Meditieren, Yoga, Singen, Musizieren, Theaterspielen, Stompen sowie emotionsgeladene, von einem Experten angeleitete Großgruppengespräche boten zahlreiche Gelegenheiten, ungeahnte Begabungen und Ressourcen in sich und den andren zu entdecken, vor allem aber zu erkennen, zu welch erstaunlichen Ergebnissen das Zusammenlegen von Talenten und Ressourcen führen kann. Bei einem Festakt wurde am letzten Tag jede/r zum „Ambassador of Peace“ ernannt, erhielt den EU-Youthpass und nahm den vor Ort entstandenen peacecamp-Film mit nach Hause, um die Mission, selbst zum „Frieden“ beizutragen, besser erfüllen zu können.

talks4peace2015

Ich werde oft gefragt – und stelle mir selbst die Frage –, ob es denn Sinn macht, Jahr für Jahr ein peacecamp zu realisieren, an dem nicht mal 40 Jugendliche teilnehmen, wo doch zigtausende in ihren jeweiligen Gesellschaften zu Hass, Vergeltung, Gewalt und Krieg erzogen werden. Es trägt jedes peacecamp viel zum Verstehen des israelisch-palästinensischen Konflikts und dem Zusammenschluss der ehemals in Feindseligkeiten und Kriege verstrickten Staaten Europas zum Friedensprojekt EU bei. Die israelischen und palästinensischen Jugendlichen erleben sich jeweils als Opfer des anderen und können nur mit gegenseitigen Schuldzuweisungen miteinander kommunizieren. Über die Geschichte Europas mit ihren weitgreifenden geopolitischen Veränderungen, den neuen Grenzziehungen und neuen Wegen der Kooperation und Solidarität zwischen den Nationen wissen sie kaum etwas. Wenig scharf, da undifferenziert, ist auch das von den Medien verzerrte Bild, das europäische Jugendliche vom israelisch-palästinensischen Konflikt haben. Am peacecamp erfahren sie aus erster Hand, wie es ist, als jüdische oder palästinensische Bürger aufzuwachsen, einer Minderheit anzugehören, ausgegrenzt, diskriminiert oder seiner Grundrechte beraubt worden zu sein; sie lernen aber auch, welche Probleme Europa im 21. Jahrhundert noch zu bewältigen hat, etwa im Umgang mit Benachteiligten (Roma, Frauen, Homosexuelle, Religionen, Menschen mit Behinderung, Flüchtlingen).

Interessant ist, was die Gruppen aus der Geschichte der jeweils anderen für sich selbst mitnehmen können, wenn sie von jenen, die noch vor großen ungelösten Problemen stehen, auch etwas lernen können: dass es, wenn die Waffen schweigen, immer noch Konflikte gibt, denen anders als mit Gewalt begegnet werden kann und muss. Was am peacecamp erprobt wird, ist das Zuhören – ein Zuhören, das nicht durch die schon auf den Lippen stehende Entgegnung auf einem Ohr taub macht, sondern eines, das zum Erkennen führt: erkennen, dass der andere nicht nur Angreifer, sondern ebenfalls Opfer einer Entwicklung ist. Diese Erkenntnis ist es, die es möglich macht, sich aus Verstrickungen zu lösen und gemeinsame Wege hin zu einem konstruktiven Miteinander zu finden.

Alle peacecamps werden von externen Statistikern und Statistikerinnen ausgewertet. Eine Publikation von Ulrich Kropiunigg und Birgit Pabst (2007) „Selbstwertsteigerung und Vorurteilsreduktion bei Jugendlichen eines multiethnischen Peace Camps“ weist peacecamp als ein „wertvolles Instrument der Erziehung zum Frieden“ aus.

talks4peace2015

Die Auswertung von peacecamp 2014 ergab, dass „die Teilnehmer … viele neue Freunde und gute Erinnerungen nach Hause mitnahmen; sie erwarben neue Perspektiven, ein besseres Verständnis der unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Narrative. Sie lernten andere Kulturen kennen …Teilnehmende aus Österreich und Ungarn lernten viel über den Nahost-Konflikt. Die „peacecamper“ konnten aber auch an ihrer eigenen Persönlichkeit arbeiten, sie konnten Stereotypen aufbrechen, die eigene Identität erforschen und neue Ideen entwickeln. Sie freuten sich darüber, ihre Englisch-Kenntnisse verbessert, einige Worte anderer Sprachen gelernt und an verschiedenen Aktivitäten teilgenommen zu haben. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Frieden nicht unerreichbar ist … Sie empfinden aufrichtigen Dank dafür, die Gelegenheit bekommen zu haben, nach Österreich zu kommen, hier so viele wunderbare Menschen zu treffen und an dieser „kleinen magischen Welt“ teilgenommen zu haben. Es war für sie eine wahrhaftige Erfahrung, die in ihnen Hoffnung auf Frieden weckt.“

Ja, es macht Sinn, jedes Jahr ein peacecamp für nicht mal 40 junge Menschen zu machen. Wer, wenn nicht sie, wird einmal dazu beitragen, dass die Welt für alle, die in ihr leben, schön und lebenswert ist.

Wir danken dem Programm Erasmus+ der Europäischen Union und allen Sponsoren, die die Realisierung von peacecamp 2015 möglich gemacht haben.

Evelyn Böhmer-Laufer
http://peacecamp.net
Juli 2015

eu_flagge_erasmusplus_rgbpeacecamp wird gefördert von EU/Erasmus+