Letzte Botschaften aus dem Ghetto Theresienstadt

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70 Jahre alte Inschriften jüdischer Häftlinge erstmalig dokumentiert…

Zwischen 1941 und 1945 hinterließen Häftlinge des Ghettos Theresienstadt  letzte Botschaften vor ihrem späteren Tod in Auschwitz: Namen, Jahreszahlen und Zeichnungen ritzten sie in Sandstein-Wände, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Doch die Inschriften sind durch Verwitterung bedroht. Das internationale Projekt ghettospuren.de hat die noch vorhandenen Reste jetzt erstmalig dokumentiert.

In einem düsteren Tunnel, dem ehemaligen Festungstor Poterne III, sind mehrere Quadratmeter Sandstein-Wände übersäht mit Spuren: Namen, Häftlingsnummern, aber auch ausdrucksstarke Zeichnungen wie zum Beispiel ein jüdischer Chanukka-Leuchter, ein Davidstern oder das Porträt eines Ghettowachmanns. Unübersehbar dazwischen immer wieder die Jahreszahlen 1943, 1942 und 1944.

Zu dieser Zeit war Theresienstadt von der Außenwelt abgeriegelt, die Stadt mit jüdischen Häftlingen überfüllt. Eine jüdische „Selbstverwaltung“, überwacht von der SS, organisierte das Lagerleben – dazu gehörten auch eigene Sicherheitskräfte wie die „Ghettowache“, rekrutiert aus Häftlingen. Auch an der Poterne III waren diese Wachmänner eingesetzt, um Flucht aus dem
Ghetto und Schmuggel zu verhindern. Einige von ihnen sind die Urheber der Inschriften und Ritzzeichnungen, die in der Poterne III zu sehen sind. Die meisten überlebten Auschwitz und das
Kriegsende nicht.

Für Jahrzehnte waren diese Spuren vergessen. Erst 2005 kamen sie wieder ans Tageslicht, als nach jahrzehntelanger militärischer Nutzung die Poterne III öffentlich zugänglich wurde. Die Stadtplanerin und Autorin Uta Fischer hat im Rahmen des Projektes „Theresienstadt 1941-1945 – Materielle Zeugnisse und Spuren“ jetzt erstmals die Ritzungen entschlüsselt und zahlreiche Personen identiiziert, von denen diese außergewöhnlichen Zeugnisse des Holocausts stammen. Die Ergebnisse sind bereits online und über zwei interaktive Karten auf www.ghettospuren.de abrufbar.

„Es war wie Detektivarbeit: Stück für Stück wurden Daten gesammelt und wie in einem Mosaik zusammengesetzt. Außer den Fragmenten eine Namens und ein paar Jahreszahlen gab es keine weiteren Anhaltspunke“, berichtet Uta Fischer. Einige Ritzungen sind durch Vandalismus und Verwitterung bereits so stark zerstört, dass sie kaum noch lesbar sind. Erst ein Foto aus dem Jahr 1945 half weiter: Der ehemalige Häftling Jiři Lauscher hatte die Inschriften kurz nach der Befreiung des Ghettos festgehalten. Inzwischen sind ein Dutzend Namen und Schicksale von Häftlingen identiiziert. „Sie haben gemeinsam aus einem düsteren Tordurchgang einen kollektiven Erinnerungsort geschafen – in der Hofnung, dass die Nachwelt auf diese Weise von ihrem Schicksal erfährt“, sagt Uta Fischer. Seit 2012 hat ihr internationales Team bereits zahlreiche Überbleibsel der Ghettozeit im heutigen Terezín gefunden und dokumentiert.

Die Zukunft des Erinnerungsortes Poterne III ist bedroht: Besonders exponierte Bereiche sind bereits in den wenigen Jahren seit der Freilegung verloren gegangen. „Wir können anhand neuer Aufnahmen bereits den dramatischen Zerfall einiger Details dokumentieren. In drei, spätestens in fünf Jahren ist es zu spät, deshalb sind wir jetzt gefordert präventive Maßnahmen einzuleiten“, sagt Prof. Dr. Thomas Danzl von der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Danzl, Partner von ghettospuren.de, leitet die restaurierungswissenschaftliche Untersuchung der Poterne III, an der auch die Universität Pardubice, Fakultät für Restaurierung in Litomyšl, beteiligt war. Die Dokumentation ghettospuren.de wird fortgesetzt. „Wir sind gespannt, was wir noch alles entdecken werden“, sagt Roland Wildberg, der als Projekt-Fotograf bereits zahllose Spuren auf Dachböden, in Kellern und Festungsanlagen im Bild festgehalten hat.

Weitere Informationen und Fotos unter www.ghettospuren.de