Milchig, Fleischig und Parve

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In der Berliner Brunnenstraße des Stadtteils Mitte fällt zwischen Cafés, Galerien, Kneipen und Szeneläden ein Geschäft besonders auf: ein koscherer Supermarkt. Er befindet sich in direkter Nachbarschaft zu den Räumlichkeiten der noch recht jungen orthodoxen jüdischen Gemeinde „Kahal Adass Jisroel“…

Inhaber des Supermarktes namens „KosherLife“ ist Jonathan Daschewski. Mit ihm führte Björn Akstinat für die „Jüdische Rundschau“ ein Interview.

Foto: Björn Akstinat, Internationale Medienhilfe (IMH)
Foto: Björn Akstinat, Internationale Medienhilfe (IMH)

Björn Akstinat: Wann, wie und warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Jonathan Daschewski: Ich wurde 1980 in der Sowjetunion geboren, und zwar, genauer gesagt, in der ostukrainischen Stadt Charkiw. Dort habe ich auch die Schule absolviert und zwei Semester Wirtschaftswissenschaften an der Polytechnischen Universität studiert. Im Jahr 2000 sind meine jüdischen Eltern mit mir und meinem Bruder nach Deutschland ausgereist. Der Grund war die wirtschaftliche Lage in der Ukraine. Weil wir schon Verwandte in Deutschland hatten, fiel die Wahl auf die Bundesrepublik. Zunächst kamen wir nach Schleswig-Holstein in den Kurort Bad Bramstedt. 2004 habe ich erneut nach zwei Semestern BWL mein Studium an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik abgebrochen, um in Berlin an der „Lauder Yeshiva“ jüdische Fächer zu studieren. Damals habe ich meine ‚Jidischkeit‘ wieder näher kennengelernt. Nach drei Jahren Studium in der „Yeshiva“ habe ich meine Frau Yael geheiratet und wir ließen uns in Berlin nieder.

Björn Akstinat: Wollten Sie schon immer einen Lebensmittel-Laden eröffnen oder wie entstand die Idee dazu?

Jonathan Daschewski: Als junge religiöse Familie hatten wir eine starke Nachfrage nach koscheren Lebensmitteln. Das Angebot in Berlin war damals nicht ausreichend. 2007 habe ich ein drittes Mal mit einem BWL-Studium angefangen – an der TH Wildau. So etwa im zweiten Semester, das war 2008, habe ich einen kleinen 50 qm-Laden in der Fehrbelliner Straße 40 eröffnet. Es gab damals nicht mehr als zehn Familien, die zu mir als Kunden kamen. Wir hatten nur zwei Stunden am Tag geöffnet. 2014 sind wir in die Brunnenstraße umgezogen, direkt in die Nähe der Lauder-Gemeinde „Kahal Adass Jisroel“. Sie zählt heute ca. 80-100 religiöse Familien. Das sind meine Hauptkunden.

Björn Akstinat: Was ist das Besondere an Ihrem Laden bzw. an Ihren Lebensmitteln?

Jonathan Daschewski: Das Besondere an unserem Laden ist, dass kaum Produkte in den Regalen liegen, die aus Deutschland kommen. Die meisten Lebensmittel stammen aus Belgien, Frankreich, England, Amerika und Israel. Und natürlich sind die alle koscher.

Björn Akstinat: Wie würden Sie kurz und knapp erklären, was „koscher“ ist?

Jonathan Daschewski: Das Thema „Kaschrut“, also quasi das jüdische Speisegesetz, ist eine Lehre für sich selbst. Das lässt sich nicht kurz beschreiben. Hauptsächlich kann man alle koscheren Produkte in die drei Gruppen „Milchig“, „Fleischig“ und „Parve“ einteilen. „Parve“ bezeichnet die Produkte, die neutral bzw. weder milch- noch fleischhaltig sind. Es gibt noch hunderte, tausende andere Merkmale, die das Essen koscher machen. Mit der Kaschrut-Zertifizierung von Lebensmitteln beschäftigen sich unzählige spezielle rabbinische Organisationen.

Björn Akstinat: Warum ist beispielsweise nur deutsche Markenbutter nach einer Liste Ihrer Gemeinde „Kahal Adass Jisroel“ koscher und andere nicht?

Jonathan Daschewski: Grundsätzlich sind alle rein milchigen Produkte, die von koscheren Tieren stammen, koscher. Deutsche Markenbutter ist dafür bekannt, keine unkoscheren Ingredienzien zu haben. Da verlassen wir uns auf die deutschen Lebensmittelgesetze.

Björn Akstinat: Wie viele andere koschere und nicht-koschere jüdische Lebensmittelläden gibt es in Berlin und Deutschland?

Jonathan Daschewski: In Berlin bestehen fünf oder sechs koschere Läden sowie drei bis vier Cafés und Restaurants. Im restlichen Deutschland ist wahrscheinlich noch ein Dutzend vorhanden. Es gibt in Deutschland und speziell in Berlin ganz viele Läden und Cafés in einer jüdischen Machart.

Foto: Björn Akstinat, Internationale Medienhilfe (IMH)
Foto: Björn Akstinat, Internationale Medienhilfe (IMH)

Björn Akstinat: Wie setzt sich Ihre Kundschaft zusammen?

Jonathan Daschewski: Etwa 50% sind Juden aus Berlin, die sich an die Kaschrut halten. 5% davon sind alteingesessene Juden, also solche, die schon vor 1990 hier lebten. 10-20% sind israelische Touristen. Hinzu kommen Deutsche, die in Israel waren und nach liebgewonnenen Produkten suchen. Sie machen ca. 20% aus. Dann gibt es auch noch zu etwa 10% Laufkundschaft aus Neugier.

Björn Akstinat: Welche Produkte haben Sie im Angebot?

Jonathan Daschewski: Heute haben wir 2.500-3.000 Artikel im Sortiment. Es gibt kaum noch eine Produktgruppe, die nicht vorhanden ist.

Björn Akstinat: Woher bekommen Sie Ihre Produkte?

Jonathan Daschewski: Wir importieren selbst nichts, alles wird von Großhändlern bezogen. Fleischige und milchige Waren werden hauptsächlich in Europa produziert, ein kleiner Teil davon kommt aus Israel. Andere Waren kommen aus der ganzer Welt.

Björn Akstinat: Nehmen wir als Beispiel die koscheren Gummibärchen. Werden sie in Israel hergestellt und von da importiert? Was ist das Besondere an den Gummibärchen, was sie koscher macht? Schmecken sie dadurch anders als herkömmliche?

Jonathan Daschewski: Die Gummibärchen werden in Europa mit Fischgelatine produziert. Selber kenne ich nicht den Geschmack von normalen Haribo-Gummibärchen. Von einer deuschen Kundin habe ich jedoch gehört, dass diese koscheren Haribo-Gummibärchen schmecken und so „elastisch“ wie in alten guten Zeiten sind.

Björn Akstinat: Welche Produkte kaufen Ihre Kunden am liebsten? An welchen Tagen oder zu welchen Tageszeiten hat Ihr Laden am meisten Zulauf?

Jonathan Daschewski: Am meisten verzehren unsere Kunden frische milchige und fleischige Produkte, Brot und Gebäck natürlich. Donnerstags, freitags und vor Feiertagen werden wir am meisten besucht.

Björn Akstinat: Ihr Laden ist deutlich als jüdisches Geschäft erkennbar und hat keinen extra Polizeischutz. Haben Sie Angst vor Anschlägen?

Jonathan Daschewski: Nein, ich habe keine Angst vor islamistischen Angriffen, aber ein bisschen Bedenken schon. Wir vertrauen auf Gott!

Quelle: Nachrichtenagentur der Internationalen Medienhilfe (IMH)