Der Mann von der Cap Arcona

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Der Spielfilm mit Erwin Geschonneck, Überlebender der Schiffskatastrophe in der Neustädter Bucht bei Lübeck am 3. Mai 1945, ist jetzt in der Reihe DDR-TV-Archiv auf DVD erschienen und somit endlich zugänglich. Der Schauspieler Erwin Geschonneck (1906 – 2008) verfolgte über zwei Jahrzehnte ein Filmprojekt, das den Untergang der „Cap Arcona“ und „Thielbek“ am 3. Mai 1945 darstellen sollte – und damit einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte…

Gaston Kirsche

Blumengebinde, auch einzelne rote Rosen lassen Überlebende und Angehörige von drei Barkassen behutsam auf die blaugraue Wasseroberfläche der Ostsee in der Neustädter Bucht fallen. Wie Wim Alosery, der letzte niederländische Überlebende der „Cap Arcona“, der einen großen Gedenkkranz aus weißen Lilien ins Meer gleiten lässt. Blicke schweifen über den leichten Seegang, auf der Suche nach einem Anhaltspunkt für das Gedenken an die gestorbenen Mitgefangenen, FreundInnen, GenossInnen, Angehörigen. Zum 70. Jahrestag fand am 3. Mai 2015 diese Bootsfahrt an die Untergangsstelle statt, an der etwa fünfzig ehemalige Häftlinge und Angehörige teilnahmen, von denen einige aus Israel und den USA angereist waren.

Anschließend nahmen sie mit 800 weiteren Gedenkenden an einer größeren, öffentlichen Gedenkveranstaltung für die Opfer der Schiffskatastrophe in der Neustädter Bucht teil. Am Cap-Arcona-Ehrenmal in Neustadt, Ortsteil Pelzerhaken. Schleswig-Holsteins sozialdemokratischer Ministerpräsident Torsten Albig legte am Ehrenmahl einen Kranz nieder. In seiner Rede mahnte er: „Die Erinnerung an die Unmenschlichkeit macht uns verantwortlich für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und ihre Heimat verlassen“. Das Ehrenfriedhof Cap Arcona liegt am Ortsrand von Neustadt an der Promenade Richtung Pelzerhaken, direkt am Ufer der Neustädter Bucht. 621 der Opfer der Katastrophe vom 3. Mai 1945 wurden hier in Massengräbern bestattet. Das Cap-Arcona-Denkmal auf dem Ehrenfriedhof nennt die Gesamtzahl von 7000 Opfern und die Nationalitäten der Opfer.

Jewginij Malychin, Überlebender der auf der „Cap Arcona“ Zusammengepferchten aus der Ukraine, erklärte, vor 70 Jahren habe sich keiner der Überlebenden vorstellen können, „dass wir eines Tages die Möglichkeit bekommen würden, unseren Tausenden verstorbenen Kameraden würdevoll zu gedenken“.  Am Schluss seiner Rede am 3. Mai erklärte Jewginij Malychin: „Ich hoffe, dass all die Schrecken, die wir erlebt haben, nie wieder kommen“.

Die Generalsekretärin der von ehemaligen KZ-Häftlingen gegründeten Amicale Internationale KZ Neuengamme dankte den angereisten Überlebenden: „70 Jahre nach der Befreiung ist es keine Selbstverständlichkeit, diese Reise auf sich zu nehmen“, so Christine Eckel in ihrer Rede: „Und dennoch sind sie hier und berichten von ihrer Erfahrung, von ihrer Haftzeit im Konzentrationslager Neuengamme, von ihrem Leben nach der Befreiung.“ Christine Eckel erinnerte an das Sterben während und nach der Bombardierung: „Sie verbrannten, ertranken oder sie wurden beim Versuch sich zu retten, im Wasser oder an Land erschossen“.  Weniger als 450 von den 7.000 Häftlingen überlebten.

„Der Blick auf die Nachkriegsgeschichte Neustadts zeigt, dass deren Bürgerinnen und Bürger ihre Verantwortung für die Gräueltaten während des Nationalsozialismus angenommen haben“, erklärte Neustadts Bürgermeisterin Dr. Tordis Batscheider (SPD) in ihrer Rede.

Die fanatische Brutalität der gutsituierten Neustädter Bürger gegenüber den geflüchteten Häftlingen wird gerne verschwiegen. Viele der entkräfteten, ausgemergelten KZ-Häftlinge, die mit letzter Kraft den vermeintlich sicheren Strand erreicht hatten, wurden dort von NeustädterInnen  gejagt und ermordet. Angesichts dieser mörderischen Gewalt, des tödlichen Vernichtungswillens aus der Bevölkerung Neustadts gegenüber den hilfesuchenden KZ-Häftlingen gab der örtliche britische Kommandant die Stadt zur Plünderung frei.

Als britische SoldatInnen das KZ Neuengamme am 4. Mai 1945 erreichten, fanden sie es leer vor. Die Lagermannschaft der SS hatte zuvor auf Betreiben des Hamburger Gauleiters der NSDAP und Reichstatthalters Karl Kaufmann den Großteil der Häftlinge auf Schiffe in der Ostsee getrieben. Karl Kaufmann waren als „Reichskommissar für die Seeschiffahrt“ die Schiffe direkt unterstellt. Das KZ Neuengamme, in dem kurz vor Kriegsende etwa 14.000 Menschen gefangen gehalten wurden, wurde im April hastig und brutal geräumt. Seit dem 20. April 1945 waren über 9.000 Häftlinge des KZ Neuengamme von dem Wachpersonal auf Schiffe in der Neustädter Bucht verfrachtet worden, die am 3. Mai irrtümlich von der Royal Air Force bombardiert wurden. Da die Schiffe nicht besonders gekennzeichnet und mit Bordwaffen ausgestattet waren, wurden sie von alliierten Fliegern für reguläre Kriegsmarineschiffe im Einsatz gehalten. Das KZ-Wachpersonal hatte die „Cap Arcona“ und die „Thielbek“ in tödliche Fallen verwandelt. Während die ersten Häftlinge auf die „Cap Arcona“ getrieben wurden, baute die SS alle Fluchtmöglichkeiten vom Schiff ab, blockierte die Rettungsboote und die Funkgeräte. Die automatischen Schotten wurden zerstört und das Schiff mit einer geringen Treibstoffmenge betankt, die gerade als Brandbeschleuniger ausreichte. Die Schiffe wurden schwimmende Konzentrationslager. „Halb verrückt vor Durst vegetierten die Häftlinge in ihren eigenen Exkrementen vor sich hin“,  betont Detlef Garbe, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Die Zahl der Toten stieg von Tag zu Tag.“

Weniger als 450 KZ-Häftlinge überlebten diese Katastrophe, unter ihnen Erwin Geschonneck, der die KZ Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme überlebt hat. In den Nachkriegsjahrzehnten hielt der bekannte Schauspieler mit seinem Engagement in den Verbänden der überlebenden Verfolgten des Nazi-Regimes in der DDR die Erinnerung an die Ereignisse des 3. Mai 1945 aufrecht.

„Der Mann von der Cap Arcona” ist ein erstaunlicher Film, schon durch seine Vorgeschichte. Der Hauptdarsteller Erwin Geschonneck, in der DDR ein herausragender Schauspieler, verfolgte über zwei Jahrzehnte ein Filmprojekt, das den Untergang der „Cap Arcona“ am 3. Mai 1945 darstellen sollte – und damit einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte. Er setzte sich beim DEFA-Studio für Fernsehproduktionen durch. Geschonneck war nach 1945 zuerst Teil des Ensembles von Ida Ehre in den Hamburger Kammerspielen, bevor er 1949 nach Ostberlin ging, um mit Brecht zu arbeiten und Bürger der DDR wurde. Er hatte sich gegen die BRD entschieden.

1906 geboren, musste Geschonneck schon mit 14 Jahren zum Lebensunterhalt der armen Arbeiterfamilie beitragen. 1929 trat er in die KPD ein, beteiligte sich an Agitprop-Gruppen, spielte in „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“  mit, dem legendären Apitprop-Film von der KPD zumindest nahestehenden Kulturschaffenden: Slátan Dudow, Bert Brecht, Hanns Eisler…

1933 floh Geschonneck aus Deutschland. 1939 wurde er nach dem Einmarsch der Deutschen in der Tschechoslowakei von der SS verhaftet, kam ins KZ Sachsenhausen, dann nach Dachau, 1944 nach Neuengamme. Als die britischen Truppen nahten, wurden 9.000 Häftlinge von dort zur Ostsee getrieben, tausende wurden auf dem manövrierunfähigen Kriegsmarineschiff „Cap Arcona“ zusammengepfercht. Die britische RAF bombardierte die Cap Arcona, die gerade genug Treibstoff hatte, um lichterloh zu brennen.

Durch Erwin Geschonneck, als einem der wenigen Überlebenden, bekommt „Der Mann von der Cap Arcona“ eine dokumentarische Eindringlichkeit, obwohl die Handlung inszeniert ist. Der Handlungsrahmen ist handwerklich geschickt angelegt. Geschonneck wird von einem fiktiven Filmregisseur nach Hamburg eingeladen, um an einer Verfilmung des Untergangs der Cap Arcona und der Falle für die KZ-Häftlinge mitzuwirken, als Hauptdarsteller. Die Verhandlungen um den Film im Film sind dramaturgisch durch die zunehmende Skepsis des Überlebenden und Schauspielers gegenüber dem mit Hamburgs Zeitungsschickeria verbandelten Regisseur geprägt. Der lässt sich den Film von einem Verleger Syring – der im Auftreten stark dem – realen – Verleger des Spiegel, Rudolf Augstein, ähnelt – finanzieren. Eine Konstellation, die Raum lässt für Ambivalenzen, Täuschungen und Enttäuschungen. Auch ein aktueller NS-Kriegsverbrecher-Prozess mit der typisch westdeutschen Toleranz gegenüber Nazitätern wird in die Handlung eingeflochten, der Überlebende ist dort als unbequemer Zeuge nicht erwünscht, bei den Filmaufnahmen tritt als Experte ein ehemaliger Marineoffizier der Cap Arcona auf, alte Naziseilschaften wirken fort. 1982, zum Zeitpunkt des Drehs der Filmhandlung, lebten noch viele der Nazi-Täter und Täterinnen wohlgelitten im Westen.

Die Verschachtelung der fiktiven Filmproduktion mit den Ereignissen im KZ Neuengamme und auf der Cap Arcona macht den Umgang mit der deutschen Geschichte, die Toleranz gegenüber den Nazis plastisch. Seine eindringlichsten Momente hat „Der Mann von der Cap Arcona“, wenn Geschonneck über KZ und Cap Arcona spricht. Vor Ort am KZ-Gelände, auf dem sich 1982 noch zwei Haftanstalten in Betrieb befanden – zum Unbehagen des Überlebenden – spricht Geschonneck über die Kinder vom Bullenhuser Damm. Jene zwanzig jüdischen Kinder, die im April 1945 aus dem KZ in die dortige Schule gebracht wurden, um sie zu erhängen und damit die Spuren der an ihnen verbrochenen Menschenversuche mit Seuchenerregern zu beseitigen. Monatelang hat der SS-Arzt Dr. Kurt Heißmeyer die zehn Jungen und zehn Mädchen als Versuchsobjekte für medizinische Experimente missbraucht: Er hat den Kindern lebende Tuberkelbazillen unter die Haut gespritzt und mit einer Sonde in die Lunge eingefühlt. Dann hat er ihre Lymphknoten herausoperiert.  Eindringlich, klar, unerbittlich ist der Film hier, ist Geschonneck. Ein westdeutscher Kritiker nannte den Film abwertend spröde und die emotionalen Höhepunkte nicht ausspielend. Das stimmt, gereicht dem Film aber gerade zum Vorteil. Die nüchterne, zurückgenommene Spielweise von Geschonneck macht den Film umso überzeugender. Hier geht es eben nicht wie in „Sonnensucher“ um den Einsatz für den Sozialismus, um kommunistische Utopien, sondern um eine perfide Kriegslist der Nazis, um ihre KZ-Häftlinge von ahnungslosen britischen Bomberpiloten ermorden zu lassen. Wer die beiden Filme nacheinander sieht, hier den lebenslustigen, anarchischen Bergarbeiter, der sich in Konrad Wolfs „Sonnensucher“ mit der Parteibürokratie anlegt, dort den verhaltenen, sich mit den Erinnerungen an die Zeit im KZ konfrontierenden gealterten Schauspieler, bekommt eine Ahnung davon, wie ihn die Nazis in der Zeit im KZ geschunden haben.

Der NSDAP-Gauleiter Hamburgs, Karl Kaufmann, der die tödliche Falle für die KZ-Häftlinge auf der „Cap Arcona“  erdacht hat, lebte bis zu seinem natürlichen Tod 1969 als gutsituierter und anerkannter Bürger in Hamburg.

„Der Mann von der Cap Arcona“ wurde erstmals am 12. September 1982 vom Deutschen Fernseh-Funk der DDR ausgestrahlt. Nach dem Zusammenbruch der DDR lag der Film lange Jahre im Deutschen Rundfunkarchiv verschlossen. Studio Hamburg hat ihn jetzt in der Reihe „DDR-TV-Archiv“ auf DVD herausgebracht.

„Der Mann von der Cap Arcona“, DDR 1982, in Farbe, 98 Min. Regie: Lothar Bellag; Drehbuch: Lothar Bellag, Werner Bergmann; Kamera: Werner Bergmann. Mit Erwin Geschonneck, Vít Olmer, Jana Brezková, Lothar Bellag, Klaus Gehrke, Wilhelm Koch-Hooge u.v.a. Ab 12 Jahren freigegeben. Jetzt auf DVD für 14 Euro erhältlich, Bestellen?

„Der Mann von der Cap Arcona“ wird am Sonntag, 17. Mai um 17 Uhr im Metropolis Kino im Kalkhof 7 in Hamburg gezeigt. Im Rahmen der antifaschistischen Filmreihe „Täter – Opfer – Widerstand“ der VVN Hamburg.

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