Hitler-Tribüne: Trittfest machen oder verfallen lassen?

0
55

Streit um die NS-Weihestätte in Nürnberg geht weiter…

Von Jim G. Tobias

Der Rest der baufälligen Zeppelintribüne. Schon Mitte der 1960er Jahre ließ die Stadt Nürnberg über 100 Pfeiler des Säulengangs wegen Baufälligkeit sprengen. Foto: Wikipedia/Stefan Wagner
Der Rest der baufälligen Zeppelintribüne. Schon Mitte der 1960er Jahre ließ die Stadt Nürnberg über 100 Pfeiler des Säulengangs wegen Baufälligkeit sprengen.
Foto: Wikipedia/Stefan Wagner

„Erhaben, mächtig und ehrfurchtgebietend“ ist sie, die sogenannte Zeppelintribüne auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände. „Farben oder schmückende Elemente“ sucht man vergebens, „kaltes Grau“ dominiert. Trotz dieser respektablen Tristesse empfiehlt die Nürnberger Tourismus-Zentrale einen Besuch des „größten noch erhaltenen Monumentalbauwerks der Nationalsozialisten“. Der altersschwache, in Stein gemeißelte Wahnsinn des NS-Regimes als touristischer Höhepunkt.

Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly, der den Vorsitz des Fremdenverkehrsverbands innehat, scheint allerdings über solche Werbetexte der Touristenzentrale nicht begeistert zu sein, lehnt er doch die ökonomische Nutzung des Areals strikt ab. Er will die vor sich hinbröckelnde Tribüne des „Tausendjährigen Reichs“ als „authentischen Lernort“ für zukünftige Generationen erhalten. Denn ein Besuch der NS-Weihestätte, an der hunderttausende deutsche Volksgenossen bei den jährlichen NSDAP-Parteitagen ihre mörderische Ideologie feierten, sei höher zu bewerten als „1.000 Seiten Geschichtsbuch“.

Die Debatte über den Umgang mit dem NS-Erbe in der ehemaligen Nazi-Hochburg Nürnberg nimmt kein Ende (wir berichteten). Soll die Stadt nun Hitlers im klassizistischen Stil gestaltete Tribüne sanieren oder verfallen lassen? Diese Frage spaltet nicht nur die Bürgerschaft, sondern beschäftigt auch die historische Fachwelt. Auf Einladung der „Nürnberger Nachrichten“ diskutierte deshalb gestern, am 1. April, Professor Norbert Frei von der Universität Jena mit dem Oberbürgermeister der Stadt vor etwa 200 Besuchern in einer öffentlichen Veranstaltung.

Unter der Leitung des Journalisten Michael Husarek diskutierten Ulrich Maly (links) und Norbert Frei (rechts). Foto: Jim G. Tobias
Unter der Leitung des Journalisten Michael Husarek diskutierten Ulrich Maly (links) und Norbert Frei (rechts). Foto: Jim G. Tobias
Studienforum
Im Studienforum bietet das Dokumentationszentrum Kurse für Jugend- und Erwachsenengruppen an. Der Lernort wird jährlich von weit über 200.000 Menschen aus dem In- und Ausland besucht. Foto: Dokumentationszentrum Reichparteitagsgelände

Der renommierte Historiker erteilt dem Plan einer Sanierung der Tribüne eine klare Absage. Aufgrund des schlechten Bauzustandes sei das Bauwerk so marode, dass eine Ausbesserung auf eine Rekonstruktion herauslaufe. Auch meint Frei, dass dieser „Erhaltungsfetischismus“, der immerhin mindestens 70 Millionen Euro kosten soll, nicht mehr einer zeitgemäßen Vergangenheitsbewältigung entspreche. „Wen wollen Sie mit dieser jämmerlichen Architektur beeindrucken?“, fragte er seinen Gegenpart. Oberbürgermeister Maly nahm den Fehdehandschuh auf und erklärte humorlos: „Geld ist ein Totschlagargument!“ Und wer das Gelände verfallen ließe, würde die deutsche Geschichte entsorgen.

Obwohl Norbert Frei verschiedene konstruktive Vorschläge einbrachte, wie das Gelände auch als zukünftige Ruine in die politische Bildungsarbeit integriert werden könne, blieb die Stadtspitze bei ihrer Linie. „Zerfall bedeutet Mystifizierung“, so Maly. Und da bei einer kontrollierten Dekonstruktion das Gelände aus Sicherheitsgründen umzäunt werden müsste, würde ein „Respektsabstand“ geschaffen, der eher kontraproduktiv wäre.

Da der Oberbürgermeister die Mehrheit des Stadtrates hinter sich weiß, scheint die Entscheidung gefallen zu sein – entgegen der Meinung von vielen Fachleuten. Millionen sollen für die „Trittfestigkeit“ eines Steinhaufens aufgewendet werden, während im nahegelegenen „Lernort“ Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Geld für Forschung, Personal und ausreichende Räumlichkeiten fehlt.