Das Misshandelte-Frau-Syndrom

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Als jemand, der keine Gelegenheit versäumte, Benjamin Netanyahu, seine Person und seine Leistung als Führungskraft zu kritisieren, fand ich mich selbst in dieser Woche beim Wetten darauf, dass er die Wahlen gewinnt. Ich habe ein paar Schekel gewonnen, aber das war zu wenig an Ausgleich für die Tatsache, dass wir Netanyahu auch für eine vierte Amtszeit –und wer weiß für wie viele weitere Jahre− bekommen haben…

Kommentar von Yoel Marcus, Haaretz, 20.03.2015
Übersetzung von Daniela Marcus

Der Himmel sei mir gnädig, ich hatte keine Ahnung, dass Netanyahu zum vierten Mal als Premierminister gewählt werden würde. Ich hatte auch nicht im Traum daran gedacht, dass der Wahltag zu einem Yom Kippur für die Meinungsforscher werden würde, deren Hochrechnungen die Menschen mit dem Gedanken zu Bett gehen ließ, die Zionistische Union von Herzog und Livni läge gleichauf mit dem Likud − um dann doch wieder mit Netanyahu als Premierminister aufzuwachen. Ein weiterer Sieg würde Netanyahu zum Premierminister mit der längsten Amtszeit in der Geschichte des Landes machen. David Ben Gurion dreht sich vermutlich in seinem Grab herum.

Was wusste oder vermutete Netanyahu als er die Wahlen auf den 17. März legte? Er hatte das Gefühl, dass sich ein Tsunami entwickeln und über ihn kommen würde, dass alles über ihm zusammenbrechen würde. Mitglieder des Likud liefen zu Moshe Kahlons Kulanu-Partei, zu Habayit Hayehudi und –in geringerem Maße− zu Yair Lapids Yesh Atid-Partei über. Niemand untersuchte das Wieso-Weshalb-Warum des Abweichens der Likud-Mitglieder. Niemand achtete darauf, dass die Schädigung einer Partei und ihres Rufes als Überschreiten einer roten Linie betrachtet wird. Letzten Endes sind die Likudniks loyal: Selbst wenn sie danach dürsten, zittern ihre Hände, wenn sie ihren Anführer bei den Wahlen stürzen.

Netanyahu bekämpfte das Phänomen auf zwei Arten. Er präsentierte sich als jemand, der um sein Leben flehte und als ein Mann, der eine intendierte Verschwörung mit dem Ziel seiner Absetzung aufdeckte. Unter diesem Vorwand, wurden Likudniks, die ausgebrannt waren, in den Schoß der Partei zurückgebracht. Seine Darstellung als bedauernswerte Person half ihm, Likudniks –so fanatisch wie sie sein mögen− zurückzuholen und zu rekrutieren. Während die Kommentatoren über die Wiederherstellung der Arbeiterpartei Begeisterung zeigten, interpretierten sie Netanyahus Verhalten als das eines Mannes, der in Panik geraten war.

„Wen wollt ihr am anderen Ende der Leitung, wenn das rote Telefon klingelt?“ fragten PR-Leute in vorangegangenen Wahlen, basierend auf dem berühmten Slogan von Hilary Clintons Wahlkampagne für das Präsidentenamt. Die Aufmerksamkeit, die in der gerade geendeten Wahlkampagne der weniger beeindruckenden Körpergröße und Stimme von Bougie Herzog gewidmet wurde, tat der neuen Führung der Zionistischen Union –der Nachfolgerin der früheren Mapai-Partei− keinen guten Dienst. Kommentatoren, die die Vergangenheit der Führungskandidaten gut kannten, sagten voraus, dass die beiden in Streit geraten würden, wenn im Fall eines Wahlsiegs der Zionistischen Union die Zeit für Herzog und Livni käme, die vorgeschlagene Ministerpräsidenten-Rotation tatsächlich durchzuführen. Aus diesem Grund teilte Livni kurz vor den Wahlen mit, dass sie auf das Rotationsprinzip verzichten würde. Offenbar half diese Ankündigung jedoch nichts. Diejenigen, die in der Vergangenheit solche Streitereien in der Mapai-Partei erlebt hatten, verloren eher schnell das Vertrauen in die neue Führung.

Netanyahu konnte die Situation besser einschätzen. Im letzten Moment kam er zu Sinnen und appellierte an diejenigen im Volk, die gegen die Araber und gegen Konzessionen sind und ein vereintes Jerusalem als Israels Hauptstadt und den Weiterbau der Siedlungen und dergleichen unterstützen. Mit einem Schlag zog er sein Engagement für zwei Staaten für zwei Völker, das er 2009 bei seiner Ansprache in der Bar-Ilan-Universität zeigte, zurück – und das nach seiner unhöflichen Rede vor dem US-Kongress, die die Obama-Regierung verärgerte, jedoch die israelische Rechte erfreute. Wenn Netanyahus Wahlversprechen wahr gemacht werden, werden wir weiterhin in einer regionalen Seifenblase leben, bis diese platzt. Wir sind nicht weit davon entfernt.

Netanyahu führt uns in ein Scheinland, in dem wir vergessen, dass wir Teil einer unbeständigen und explosiven Region sind. Wenn er seine Wahlversprechen umsetzt, wird sich Israel schnell auf einem gefährlichen Weg bezüglich der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten befinden. Die Amerikaner werden die Beziehungen zu uns nicht abbrechen, doch es wird nicht länger ein automatisches amerikanisches Veto bei den Vereinten Nationen geben, die Zusammenarbeit der Geheimdienste hinsichtlich des Themas Iran wird reduziert werden, und unsere Isolation in Europa wird sich vollenden.

Netanyahu wird der gleiche Ministerpräsident sein, nur schlimmer, kämpferischer und gegen jegliche Zugeständnisse für Frieden. Dieser Mann hat sich nicht geändert. Er ist die gleiche Person mit den gleichen Fähigkeiten. Was er in den letzten drei Amtszeiten als Ministerpräsident nicht getan hat, wird er auch dieses Mal nicht tun. Wie lange noch wird Netanyahus Wählerschaft dieses Misshandelte-Frau-Syndrom durchleiden und sich weigern, den Tatort zu verlassen?

1 Kommentar

  1. In der Tat: die Wahl Netanyahus ist eine Katastrophe für die Bevölkerung Israels und dem Friedensprozess.
    Bezüglich Friedensprozess hat Fatah unter der Leitung von Mahmud Abbas aber seit neusten auch nichts im Sinn als Israel bei der UN zu diskreditieren. Und wer glaubt, daß die Versöhnung der Fatah mit der Hamas letztlich eine Zweistaatenlösung anstrebt, muß sehr am träumen und ignorant sein.
    Letztlich ist Netanyahus Wahl wohl doch eine Konsequent der Politik von Hamas (besonders) und Fatah (auf alle Fälle).

    Ich denke: man muß den Palästinenser einen Staat geben und dann beobachten, wie er sich gegenüber Israel verhält.
    Kyniker

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