Helfer, Täter, Opfer?

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Erinnerung an die facettenreiche Persönlichkeit Berthold Storfers, der im November vor 70 Jahren ermordet wurde und durch illegale Schiffstransporte nach Palästina mehr Juden als Oskar Schindler rettete, aber fast unbekannt blieb…

Von Judith Kessler

Arno Lustiger verstarb wenige Tage vor dem Erscheinen von Gabriele Anderls akribisch recherchierter Biographie »9096 Leben« (»9096 Leben«. Der unbekannte Judenretter Berthold Storfer. Rotbuch 2012) über den »unbekannten Judenretter« Berthold Storfer, dem »die größte maritime Rettungsaktion während des Krieges« zu verdanken war, wie Lustiger noch in seinem Vorwort zu dem Buch schrieb. Für ihn war Storfer, der direkt oder indirekt fast  zehntausend Menschen zur Flucht verhalf, »ein Held der Rettung«, dem die Aufnahme als Gerechter unter den Völkern in Yad Vashem jedoch versagt blieb, weil er sich hatte taufen lassen.

Der Wiener Kommerzialrat Berthold Storfer, 1880 in einer jüdischen Familie in Czernowitz geboren, Weltkriegsteilnehmer und erfolgreicher Bankier, kam bereits unmittelbar nach dem »Anschluss« an das Deutsche Reich im März 1938, als er angesichts der neuen Realitäten schon im April eine Hilfsorganisation für die jüdische Auswanderung gründen wollte, in Kontakt mit Adolf Eichmann, damals Leiter der »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« in Wien. Der SS-Obersturmbannführer beauftragte Storfer auf Empfehlung der Jüdischen Gemeinde mit der Einrichtung des »Ausschusses für jüdische Überseetransporte«, der praktisch ausschließlich illegale Transporte in das britische Mandatsgebiet Palästina zu organisieren hatte. Denn zu dieser Zeit forcierte die NS-Führung noch die Auswanderung, besser gesagt: Vertreibung der Juden (bei gleichzeitigem Einbehalt ihres gesamten Vermögens); andererseits war die Einwanderungspolitik der Briten restriktiv. Und nicht nur der Briten. Ein Kapitel im Buch befasst sich mit der beschämenden Abwehrpolitik der meisten »freien« Länder gegenüber Flüchtlingen und der ergebnislos verlaufenden Flüchtlingskonferenz von Evian 1938, an der auch Storfer für die Wiener Gemeinde teilgenommen und in deren Nachgang der Völkische Beobachter gehöhnt hatte, dass Deutschland der Welt seine Juden anbiete, aber niemand sie haben wolle.

Die ebenfalls bei der Organisation der Auswanderung tätigen zionistischen Organisationen Hechaluz, Betar und Mossad beschuldigten Storfer, der mit dem Palästina-Amt, aber auch mit der »Reichsstelle für das Auswanderungswesen« in Berlin in Kontakt stand, mit der SS zu kollaborieren. Der wiederum sorgte – anders als diese – auch für die Flucht älterer und kranker Menschen aus Danzig, Wien und Bratislava, freigekaufter KZ-Häftlinge aus Buchenwald und Dachau und dafür, dass Begüterte die Fahrt für Mittellose mitbezahlten. Viele Bewerber musste er aber auch abweisen.

Berthold Storfer war wie die Offiziellen der Jüdischen Gemeinde gezwungen, zu kooperieren. Anderl meint, Storfer habe sich »in ein gefährliches Nahverhältnis zum NS-Regime« begeben – so, als er im Oktober 1939 bei den ersten Deportationen von Wien ins »Generalgouvernement« gemeinsam mit anderen jüdischen Funktionären in Südostpolen eine Selbstverwaltung aufbauen sollte und wollte. Doron Rabinovici schreibt, Storfer habe sich »auf seine Art dagegen gewehrt, zum ›Untermenschen‹ degradiert zu werden« und auch Hannah Arendt würdigte Storfers Rolle als Retter. Aus der Ferne ist leicht urteilen über einen Mann, der mit immer neuen, kaum überwindbaren Problemen zu kämpfen hatte und sich auf einer ständigen Gratwanderung befand – die NS-Behörden im Nacken, die zionistischen Aktivisten als Konkurrenten, raffgierige Reedereibesitzer, erpresserische Reisebüros und korrupte Mittelsmänner als Partner, irrwitzige Devisenbestimmungen, schrottreife Schiffe, kriminelle Besatzungen und meuternde Flüchtlinge, die schon monatelang in Notunterkünften hatten ausharren müssen und von Rückschiebung bedroht waren.

Die Autorin beleuchtet all diese Widrigkeiten und zeichnet ein detailliertes Bild von Storfers Aktivitäten, seinem Umfeld und dem Zeitgeschehen. Klar wird: Es war eine organisatorische Großleistung und grenzt an ein Wunder, dass es ihm am Ende gelang, trotz aller Widrigkeiten im September 1940 vier Transporte loszuschicken, erst mit Flussschiffen über die Donau, anschließend auf umgerüsteten Seefrachtern weiter Richtung Haifa. Auf den überladenen Schiffen fehlte es an allem: an Kohle, Platz, Trinkwasser und Lebensmitteln, auf einem der Schiffe mussten sogar Kabinenwände, Masten und Pritschen verfeuert werden und es brach Typhus aus. Nach sechs Wochen Fahrt erreichten die Schiffe nacheinander schließlich Haifa. Doch durften die Passagiere nicht an Land, sondern mussten auf ein anderes Schiff, die »Patria« umsteigen, das sie in eine britische Kolonie abschieben sollte. Daraufhin verübte die Hagana einen Bombenanschlag auf die »Patria«, um sie unbrauchbar zu machen. Unglücklicherweise sank das Schiff. 267 Menschen starben. Ein Teil der Überlebenden wurden in das Internierungslager Atlith bei Haifa gebracht, der andere auf die Pazifikinsel Mauritius…

Berthold Storfer jedenfalls hatte insgesamt 9096 Juden zur Flucht verholfen. Er selbst hatte bei seinen Auslandsreisen mehrfach die Gelegenheit, nutzte sie jedoch nicht, so wie er auch – trotz Taufe – seine Konfession in der NS-Zeit immer wieder als »mosaisch« angab.

Im Oktober 1941 verbot Heinrich Himmler die Ausreise von Juden, bald folgte die beabsichtigte »Endlösung«. Die »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« wurde aufgelöst. Als Storfer erfuhr, dass auch seine Deportation bevorsteht, tauchte er Anfang September 1943 unter, wurde jedoch erwischt und nach Auschwitz deportiert. Adolf Eichmann sagte bei einer Vernehmung in Jerusalem 1961 über seine letzte Begegnung mit Berthold Storfer in Auschwitz: »Storfer … hat mir sein Leid geklagt. Ich habe gesagt: Ja, mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt? Und ich habe ihm auch gesagt, schauen Sie, ich kann Ihnen wirklich gar nicht helfen, denn auf Befehl des Reichsführers kann keiner Sie herausnehmen (…) Und dann hab ich Höß gesagt: Arbeiten braucht Storfer nicht.«.

Berthold Storfer wurde im November 1944 ermordet.