Der alte Mann und die Musik

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Amnon Weinstein bringt in Tel Aviv Geigen von Holocaust-Opfern wieder zum Klingen. Nur in einem Fall hat er sich bislang geweigert…

Von Christa Roth

Wie ein schwerer Mantel legt sich der Geruch aus Holz und Lacken über jeden Besucher, der Amnon Weinsteins Reich betritt. Von der Decke der wohnzimmergroßen Werkstatt im Zentrum Tel Avivs hängt eine Vielzahl an Geigen in allen Größen und Farben. Einige ziert der Davidsstern als kleines Mosaik auf der Unterseite. „Das sind meistens einfache Instrumente von Klezmer-Musikern“, sagt Weinstein, „aber für mich gehören sie zu dem Wertvollsten, das ich habe.“

Wer Weinstein bei der Arbeit zuschaut, sieht nicht nur einen stattlichen Mann mit ergrautem Haar und hufeisenförmigem Schnurrbart, wie er filigrane Klangkörper auseinander- und wieder zusammenbaut. Vielmehr betrachtet der Besucher jemanden, der sich mit allergrößter Hingabe seinem Lebenswerk widmet.

Bereits als junger Mann reparierte der heute 75-Jährige Streichinstrumente. Genau wie sein Vater Mosche, einer der ersten Geigenbauern in Israel. Zusammen mit seiner Frau war dieser 1938 vor den Nazis aus Vilnius in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina geflohen. „Die Begriffe ‚Oma‘, ‚Opa‘ oder ‚Tante‘ und ‚Onkel‘ kannte ich als Kind nicht“, erinnert sich Amnon Weinstein. Außer seinen Eltern hat kein anderes Familienmitglied den Krieg überlebt.

Dass er im Schatten des Holocausts lebte, wurde Weinstein allerdings erst in den ’80ern bewusst. Bei einer Reparatur fand er im Inneren einer ramponierten, alten Geige etwas, das wie schwarzer Staub aussah – Staub, der sich später als Asche herausstellte. Asche aus Auschwitz. Weinsteins Nachforschungen ergaben, dass der Besitzer des Instruments in einem der Männerorchester des KZ gespielt hatte.

Weil ihn das Schicksal der ermordeten Musiker nicht los ließ, beschloss Weinstein Mitte der ’90er Jahre, Violinen aus den Lagern, den Ghettos und auch von Partisanen zu sammeln und zu restaurieren. Mehr als 50 Stück umfasst sein Fundus. Im Grunde führe er nur fort, erklärt Weinstein, was sein Vater angefangen habe. Mit den Worten „Entweder Sie kaufen meine Geige oder ich verbrenne sie!“ seien nach ’45 etliche verzweifelte Musiker in die Werkstatt gekommen. Sie wollten nicht mehr auf ihren Instrumenten spielen, von denen die meisten aus deutscher Hand stammten oder KZ-Häftlinge auf ihrem Weg in den Tod begleitet hatten. Weinsteins Vater nahm sich der schwer verkäuflichen Ware an und schützte sie so vor dem Verfall.

Gegen das Vergessen

Amnon Weinstein bemüht sich nicht nur, die Instrumente wieder spielbar zu machen. Sein eigentliches Ziel ist, soviel wie möglich über die Fundstücke herauszubekommen. Ein Davidsstern etwa deutet auf einen jüdischen Besitzer hin, auch wenn seine Identität im Dunkeln bleibt. Im besten, aber auch seltensten Fall ist der Eigentümer bekannt. Ansonsten verweist lediglich die Bauweise einer Geige auf Herkunft und Alter. Welches tatsächliche Geheimnis sich hinter ihren Saiten verbirgt, bleibt oft im Verborgenen.

Anders verhält es sich mit der Geschichte der „Drancy Violine“. Auf dem Weg aus dem französischen Durchgangs- und Sammellager Drancy Richtung Osten hielt ein Transport eine zeitlang im Bahnhof. Ein Mann nutzte die Gelegenheit und warf sein Instrument aus dem Zug auf den Bahnsteig. Sein Schicksal erahnend, rief er den Wartenden zu: „Nehmen Sie meine Geige! Wo ich hingehe, wird sie nicht lange bestehen.“ Über Umwege kam auch dieses Stück in Weinsteins Hände. „Das war bislang meine schwerste Reparatur“, sagt er und blickt lange auf die sorgsam restaurierte Violine.

Traumatisch war für den Israeli jedoch eine andere Entdeckung. Ein befreundeter Geigenbauer aus den USA hatte ihm eine alte, auf einem Flohmarkt erworbene Geige zukommen lassen. Als Weinstein den Deckel abnahm, konnte er kaum glauben, was er auf der Rückseite sah. „Ein Hakenkreuz aus Graphit, mit einer unglaublichen Gewalt in das dünne Holz geritzt!“, sagt er, während er dem Besucher die Schandtat zeigt, „und daneben: ‚Heil Hitler 1936.‘“ Auch zwei Jahre nach dem Fund sieht man Weinstein die Erregung an, die die Inschrift bei ihm ausgelöst hat.

„Diese Geige werde ich niemals reparieren. Sie soll so bleiben und uns mahnen, mit welcher Brutalität gegen die jüdische Kultur vorgegangen wurde.“ Weinstein glaubt, dass der Besitzer der Geige nie erfahren hat, mit welcher Botschaft er unterwegs war. „Wahrscheinlich hat ein dummer Lehrling das Instrument ohne Wissen seines Meisters heimlich besudelt. Die wenigsten Geigenbauer waren Nazianhänger.“

Wenn man Weinstein fragt, warum er das alles macht, antwortet er lapidar: „Weil ich es kann.“ Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Welche Motivation hinter seinem Engagement steckt, offenbart sich an Tagen wie dem 27. Januar. An diesem Tag jährt sich nicht nur die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 70. Mal. Dann bringen auch die Berliner Philharmoniker 15 oder 16 Geigen aus Weinsteins Sammlung zum Klingen. „Violinen der Hoffnung“ hat er die international bekannte Konzertreihe genannt, die ihn und seine Geigen in diesem Jahr auch nach Deutschland führt.

Und während der israelische Geigenvirtuose Guy Braunstein morgen Abend auf der Bühne stehen wird, wird Weinstein selbst im Publikum sitzen und der Opfer des Holocausts gedenken. „Wenn wir diese Instrumente wieder zum Leben erwecken, sie vor Publikum spielen und das vor Rührung weint,“ sagt Weinstein und hält kurz inne, „dann ist das der größte Beweis, dass die Nazis gescheitert sind.“