70 Millionen für Weihestätte des Nationalsozialismus

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Nürnberg will Tribüne auf dem Reichsparteitagsgelände vor dem Verfall retten…

Von Jim G. Tobias

In der Frankenmetropole brodelt es! Die „Nürnberger Nachrichten“ werden mit Zuschriften überschwemmt. „Es wirkt wie eine Verhöhnung der einstigen Opfer und heute lebender Nachfahren, wenn für die Erhaltung eines Kult-Areals des NS-Faschismus weiteres Geld ausgegeben würde“, empört sich etwa ein Leser, während ein anderer eher pragmatisch auf den Verfall der städtischen Infrastruktur verweist: „Wenn man liest, dass alleine das Gutachten für entstehende Sanierungskosten schon mehrere Millionen Kosten verursacht, ist dies bei maroden Schulgebäuden, kaputten Straßen und baufälligen Brücken nicht zu verantworten.“

Was ist der Stein des Anstoßes? Es geht um die im klassizistischen Stil erbaute „Führer-Tribüne“ auf dem von den Nationalsozialisten errichteten Reichsparteitagsgelände. Im Herbst 1934 hatte Hitlers Architekt Albert Speer mit der Planung und dem Bau einer gigantischen Anlage begonnen: Auf dem sogenannten Zeppelinfeld entstand ein riesiges Versammlungs- und Aufmarschgelände für hunderttausende Menschen! Jährlich wurde hier mit den „Reichsparteitagen“ ein NS-Propagandaspektakel veranstaltet, bei dem die Massen auf das System und den geplanten Krieg eingeschworen wurden.

"Tag der Gemeinschaft" auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände 1938
„Tag der Gemeinschaft“ auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände im Jahr 1938. Heute sind von der Tribüne nur noch die Stufen und der Mittelteil mit der Rednerkanzel erhalten. © Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Eigentlich sollte die Tribüne tausend Jahre halten. Doch schon einige Jahrzehnte nach dem Bau setzte der Verfall ein. Mitte der 1960er Jahre ließ die Stadt Nürnberg den acht Meter hohen, von über 100 Säulen getragenen Portikus wegen Baufälligkeit sprengen, später wurden auch die abschließenden Seitenteile abgetragen. Übrig blieben die steinernen Stufen, die beispielsweise beim jährlichen DTM-Autorennen als Zuschauerbühne dienen und auf denen im Sommer 1978 rund 80.000 Fans ein denkwürdiges und bewegendes Bob Dylan Open-Air-Konzert erleben konnten. An der Rückwand des Rumpfgebäudes übten jahrzehntelang Tennisspieler ihre Technik, indem sie den Ball stundenlang gegen die brüchige Mauer schlugen. Damit ist schon länger Schluss! Denn das Bauwerk bröselt vor sich hin. Wegen drohendem Steinschlag wurde die Wand weiträumig abgesperrt. An der Vorderseite der Tribüne warnen zweisprachige Schilder mit der Aufschrift: „Betreten auf eigene Gefahr – Enter at your own risk!“ Wenn nicht bald etwas passiert, verwandelt sich Hitlers Tribüne in einen Haufen Bauschutt.

Das will die Stadt Nürnberg auf alle Fälle vermeiden. Sie will die NS-Kulisse für zukünftige Generationen erhalten und die Ruine für geschätzte 70 Millionen Euro renovieren! Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ stellte ein Beamter aus dem städtischen Baureferat diese Zahl jedoch infrage: „Das Bauprojekt könnte am Ende durchaus weniger als die bisher erwarteten 70 Millionen Euro kosten. Es könnte aber auch deutlich teurer werden.“

Schon seit Längerem gibt es heftige Kritik an diesem bizarren und nicht billigen Vorhaben. Der ehemalige Kulturreferent der Stadt Nürnberg und renommierte Kulturhistoriker Hermann Glaser hält die Sanierung des „aussageschwachen Steinhaufens“ für „Erhaltungsfetischismus, der ein Nachdenken über Sinnfragen suspendiert“. Zudem sei für ihn die „Aufwendung von zunächst veranschlagten 75 Millionen Euro (im Laufe der Arbeiten sicherlich zunehmend) eine Fehlinvestition“. Auch die Architektenvereinigung „Baulust“ meldet starke Zweifel an: „Man muss sich schon die Frage stellen dürften, ob das richtig ist, dass wir quasi die Gebäude von Hitler neu aufbauen“, sagte Baulust-Gründungsmitglied Josef Reindl gegenüber Hagalil. „Denn der Zustand der Tribüne ist so schlecht, dass man befürchten muss, dass es eine Rekonstruktion wird und eben keine Sanierung.“ In einem Gastbeitrag für „Die Zeit“ forderte der Historiker Norbert Frei von der Universität Jena unmissverständlich: „Die architektonischen Monstrositäten der Nazizeit verdienen keine Renovierung“, weil die „Ausbesserungen angesichts der schlechten Bauqualität in weiten Teilen auf eine Rekonstruktion hinauslaufen; immerhin 80 Prozent von Fassade und Stufen gelten als marode“.

Das will Nürnbergs Presseamtsleiter Siegfried Zelnhefer so nicht stehen lassen: Auf Anfrage von Hagalil versucht er wortreich die kritischen Stimmen zu entkräften. „Es geht uns nicht um eine Rekonstruktion des Bauwerks, wir wollen die Tribüne erhalten – als einen historischen Ort. Denn es gibt keinen vergleichbaren Täterort in Deutschland, an dem sich das NS-System so in Szene gesetzt hat.“ Nach seiner Auffassung bestünde bei einem „kalkulierten Verfall“ des Nazi-Baus die Gefahr, dass die Ruinen, wie etwa die Bauwerke der Antike, in unzulässiger Weise „romantisiert“ würden. „Wir wollen einen authentischen Lernort und die gewaltigen Dimensionen müssen erfahrbar bleiben!“

Mit dem „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ gibt es den vom Pressesprecher geforderten Lernort jedoch schon seit 2001, in der nur einige hundert Meter entfernt liegenden unvollendet gebliebenen gewaltigen NS-Kongresshalle. Die dort untergebrachte Dauerausstellung „Faszination und Gewalt“ wird jährlich von über 200.000 Menschen aus dem In-und Ausland besucht. Im Studienforum bieten Pädagogen und Historiker zahlreiche generationsübergreifende Bildungsangebote an und auf dem etwa vier Quadratkilometer großen Reichsparteitagsgelände informieren Text- und Bildtafeln über die Historie des Standortes. Ergänzend werden Führungen über das Gelände angeboten.

Eingang zum „Lernort“ Dokuzentrum in der Kongresshalle
Eingang zum „Lernort“ Dokuzentrum in der Kongresshalle. Ein über 100 Meter langer begehbarer Speer (oben) aus Glas und Stahl durchschneidet das Gebäude und erschließt damit die Stationen des Ausstellungsbereichs. © Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände