Eritrea – die vergessene Diktatur am Horn von Afrika 

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In Eritrea hat sich nach der Unabhängigkeit des Staates 1993 eine Militärdiktatur etabliert. Trotz der damit verbundenen Gefahren fliehen jeden Monat nach Schätzungen des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) 3.000 Menschen aus dem Land. Sie begeben sich auf eine gefahrenvolle Reise. Wer überlebt, landet in Israel oder der „Europäischen Union“. Doch wie ist die Situation in Eritrea, dass so viele Menschen die Strapazen und Gefahren einer Flucht auf sich nehmen?…

Lucius Teidelbaum

Eine Broschüre von Amnesty International über Eritrea trägt den passenden Titel „Unabhängig, aber nicht frei!“. Eritrea war vor seiner Unabhängigkeit vermutlich bekannter als nach der Unabhängigkeit 1991 bzw. endgültig nach einem erfolgreichen Referendum 1993.

In drei Jahrzehnten erkämpfte sich eine eher linksgerichtete Befreiungsbewegung die Sezession der ehemaligen Provinz von Äthiopien. Dieses verlor damit seinen Zugang zum Meer und ist seitdem wieder ein Binnenstaat. Doch blieb es zwischen den beiden Ländern nicht friedlich. Von 1998 bis 2000 kam es zu einem Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien mit geschätzten 100.000 Toten und 1,3 Millionen Flüchtlingen auf beiden Seiten. Im Jahr 2008 kam es ebenfalls zu Auseinandersetzungen mit dem kleinem Staat Dschibuti.

Im neuen Staat Eritrea entwickelte sich aus der Regierung der Unabhängigkeitsbewegung „People’s Front for Democracy and Justice“ („Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“) ein Einparteienstaat, der unter dem Staats- und Regierungschef Isayas Afewerki die Züge einer Militärdiktatur angenommen hat.

Im Jahr 2001 wurde die freie Presse abgeschafft, im Jahr 2006 die Universität Asmara aufgelöst und 2011 wurden die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit massiv eingeschränkt. Auf der Rangliste des Pressefreiheit-Index von „Reporter ohne Grenzen“ belegte Eritrea den letzten Platz, obwohl es hier eine starke Konkurrenz gibt.

Auch in puncto Religionsfreiheit ist Eritrea kein Glanzlicht. Nur staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften, nämlich der eritreisch-orthodoxen, der römisch-katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche und Muslimen, wird gestattet, ihre Religion auszuüben. Wer dagegen verstößt, kann in Gewahrsam genommen werden.

Wer im Gefängnis sitzt ist laut „Amnesty International“ (AI) häufig von Folter und andere Misshandlungen betroffen. AI berichtet in seinem Jahresbericht 2012:

„Eine große Anzahl von Gefangenen war in unterirdischen Zellen untergebracht. Andere waren in Schiffscontainern aus Metall eingesperrt, von denen sich viele in Wüstenregionen befanden, wo sie extremer Hitze und Kälte ausgesetzt waren. Die Gefangenen erhielten weder ausreichende Nahrung noch sauberes Trinkwasser. Viele wurden in stark überfüllten und unhygienischen Zellen festgehalten.

Gefangene wurden oft gefoltert oder auf andere Weise misshandelt. Man zwang sie, beschwerliche und erniedrigende Tätigkeiten zu verrichten, und sie mussten lange Zeit gefesselt in schmerzhaften Stellungen ausharren.“

Laut AI gibt es derzeit 10.000 politische Gefangene in den Gefängnissen des kleinen Landes, was etwa 6 Millionen Einwohner/innen hat.

Fluchtursache ist häufig bei jüngeren Menschen, dass sie sich dem Militärdienst entziehen wollen. Dieser ist für Frauen und Männer ab 18 Jahren obligatorisch und inzwischen fest an den Schulbesuch gekoppelt. AI berichtet: „Alle Schüler mussten das letzte Schuljahr im militärischen Ausbildungslager Sawa verbringen. Berichten zufolge wurden Jugendliche, die erst 15 Jahre alt waren, bei Razzien zusammengetrieben und nach Sawa gebracht.

Der Militärdienst dauert eigentlich 18 Monate, wird aber häufig auf unbestimmte Zeit verlängert. Den Militärdienstleistenden werden geringe Löhne gezahlt, die nicht zur Deckung der Grundbedürfnisse ihrer Familien ausreichen. […] Die Militärdienstleistenden mussten häufig Zwangsarbeit in Regierungsprojekten, z.B. im Straßenbau, verrichten oder in Unternehmen arbeiten, die dem Militär oder den Eliten der Regierungspartei gehören und von diesen geführt werden. Es bestand die Gefahr, dass internationale Bergbaufirmen durch die Untervergabe von Aufträgen an diese Unternehmen Zwangsarbeit förderten.“

Vor diesen Verhältnissen fliehen jeden Monat tausende Menschen aus Eritrea, die meisten davon in die Nachbarländer Äthiopien, den Sudan und den neuen Staat Südsudan. Einige versuchen auch Europa zu erreichen und begeben sich dafür auf eine gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer in häufig schrottreifen Booten. Viele der Opfer des großen Schiffunglücks von Lampedusa im Oktober 2013 stammten aus Eritrea. Andere versuchen nach Israel zu gelangen. Aber viele Flüchtlinge werden auf dem Weg dorthin auf der Sinai-Insel von Banden entführt, die versuchen die Familien der Entführten zu erpressen. Wer Israel erreicht, ist aber auch nicht sicher. Die israelische Regierung fährt eine harte Linie gegenüber den Flüchtlingen aus Afrika. Mehrere tausend wurden bereits rechtswidrig zur Rückkehr in ihre Heimatländer gezwungen.

Im Gegensatz zu anderen Regimen und Konflikten steht Eritrea im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit. Möglicherweise auch deshalb, weil hier im Westen keine traditionellen Feindbilder befriedigt werden können. Die USA spielt keine Rolle. Trotzdem hat der Konflikt Verbindungen, die bis in die Bundesrepublik reichen. Genauer gesagt bis zu den hier lebenden Eritrer/innen. Da ist einmal der Umstand, dass das Regime von den Eritrer/innen außerhalb des Landes eine Diaspora-Steuer erhebt. Diese wird auch von deutschen Staatsbürger/innen eritreischer Herkunft eingefordert.

Zum anderen verfügt die Diktatur auch in Deutschland über Verteidiger/innen und Parteigänger/innen. Als am Samstag, den 23. November 2014, im schwäbischen Göppingen die „National Union of Eritrean Women“ (NUEW, „Nationale Eritreische Frauenunion“) in der Göppinger Werfthalle feierte, gab es auch eine Gegen-Kundgebung und einen Informationsstand von „Amnesty International“. Das hatte seine guten Gründe. Steht doch die NUEW dem Regime nahe und verteidigte den Diktator Afewerki gegen Kritik.

Aus ganz Deutschland rollten Busse zu der Feier an, an der mehrere tausend Personen teilnahmen. Diese trugen häufig traditionelle Landestrachten, aber Schilder auf denen „Wir unterstützen die Eritreische Regierung“ und der Diktator als „Lion of Nakfa“ tituliert wurden, entlarvten den vorgeblich unpolitischen Charakter der Veranstaltung.

Dagegen protestierten auf der anderen Straßenseite zeitweise über hundert Personen, vor allem eritreische Flüchtlinge. Aber auch die Piratenpartei Göppingen und der Landesverband der Linkspartei schlossen sich dem Protest an. Der Göppinger Linkspartei-Stadtrat Christian Stähle hielt auch eine kurze Rede.

Goeppingen, 22.11.14., Demo und Gegendemo Eritrea Goeppingen.22.11.14.d