„Demokratische Parteien versagen im Kampf gegen rechtsextreme Phänomene“

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„Die offen antisemitischen und den Holocaust instrumentalisierenden Äußerungen von Jean-Marie Le Pen zeigen, welches Gedankengut den ideologischen Kern der Front National bildet,“ kommentierte Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidenin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ein Video, in dem der Gründer der rechtsextremen französischen Partei Front National bezüglich des Sängers Patrick Bruel, einem prominenten Kritiker seiner Partei, sagt „Wissen Sie, da machen wir das nächste Mal eine Ofenladung“…

Knobloch weiter: „Rasch nachgeschobene trickreiche Wendungen des Beschwichtigens und Entschuldigens sind unglaubwürdig und belanglos, solange sie nicht durch aufrichtige Konsequenzen untermauert werden. Eine Partei, die als Ehrenvorsitzenden einen rassistischen und neo-nazistischen Wiederholungstäter hofiert, der regelmäßig den Holocaust relativiert, steht abseits des freiheitlich-demokratischen Meinungsspektrums. Angesichts des Erfolgs solcher Bewegungen in ganz Europa fordere ich von den demokratischen Parteien endlich systematische Konzepte im Umgang mit rechtsextremen Phänomenen.“

Schließlich hätten die EU-Wahlen am 25. Mai erschreckend belegt, wie nachhaltig die etablierte Politik in den letzten Jahren im Kampf gegen Rechtspopulismus versagt habe, erläuterte Knobloch. „Die französische FN steht nicht allein. Erklärte Europa-Feinde, Nationalisten und Rechtsextreme haben vielerorts triumphiert. Im neuen EU-Parlament sitzen neben den Populisten aus Großbritannien, Dänemark, Finnland, Italien, Österreich und anderen Ländern auch stramme Neonazis aus Ungarn, Griechenland und leider auch Deutschland. So entsendet die Bunderepublik mit dem ehemaligen NPD-Parteichef Udo Voigt einen verurteilten Volksverhetzer – ein absolutes, unerträgliches Armutszeugnis. Die Positionierung der AfD darf skeptisch-gespannt abgewartet werden.“

Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland zeigte sich besorgt: „Der europaweite Rechtsruck verheißt, dass sich künftig öfter ungeniert fremdenfeindliche, antisemitische, homophobe oder anderweitig menschenfeindliche Entgleisungen im öffentlichen Diskurs mehren werden. Ihnen muss ausnahmslos sofort und unmissverständlich seitens der demokratischen Parteien begegnet werden. Ich erwarte, dass gruppenbezogene Stigmatisierungen sowie Geschichtsvergessenheit oder gar -verfälschung Widerspruch und Verurteilung erfahren. Nur dann kann es gelingen, Menschenfeindlichkeit politisch und gesellschaftlich zu verbannen. Wer Äußerungen wie jenen von Le Pen nicht mit aller Entschlossenheit entgegentritt, versündigt sich an unserer gewachsenen politischen Kultur.“

Knobloch warnte: „Die Gewöhnung an Hass und verbale Verachtung befördert tätliche Gewalt. Der tödliche Anschlag im Jüdischen Museum in Brüssel ist nach dem Terrorakt vor der jüdischen Schule in Toulouse ein neuer Höhepunkt antisemitischer Exzesse in Europa.“ Wehrhafte Demokraten in ganz Europa seien in der Pflicht, Frieden und Freiheit zu verteidigen – und zwar nicht nur als Reaktion auf die wachsenden Sorgen in der jüdischen Gemeinschaft und vielen anderen Minderheiten, sondern vor allem, damit die Demokratien in Europa nicht immer weiter, immer größeren Schaden nehmen.

„100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach dem des Zweiten Weltkriegs wird es Zeit, die passiven Gedenkrituale abzulegen und die der Erinnerung entspringenden aktiven Handlungsprämissen umzusetzen“, so Knobloch.