Eine große Portion Zuckerbrot

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Hat das Genfer Abkommen die Aufhaltung des iranischen Atomprogramms untergraben?…

Analyse von Benjamin Weinthal, Jerusalem Post, 05.01.2014
Übersetzung: Daniela Marcus

Das atomare Zwischenabkommen, das am 24. November 2013 zwischen den Großmächten und der Islamischen Republik Iran geschlossen wurde, öffnete die Tore für Investitionen westlicher Firmen, die aus den neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Iran Kapital schlagen wollen. Bereits in der ersten Woche des Jahres 2014, noch vor Umsetzung des Interimsabkommens Ende Januar, behandelt eine Reihe von Zeitungsartikeln den wilden Ansturm auf den Beginn der Geschäfte mit dem Iran.

Eine Reihe von Nahostexperten empfand das Genfer Abkommen als schwer zu verdauen, unter anderem deshalb, weil Israel und arabische Alliierte der USA am Persischen Golf große Lücken in den Sanktionserleichterungen für Teheran sahen. Die Experten sprachen am Sonntag in Interviews mit der Jerusalem Post neue Warnungen aus. Laut Experten wird die von Habgier gesteuerte Handlungsweise westlicher Firmen Teheran helfen, eine Atomwaffe zu entwickeln und die Menschenrechte der iranischen Bevölkerung zu unterdrücken.

Prof. Gerald M. Steinberg, Politikwissenschaftler an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, Israel, sagte, nach Genf ginge der Goldrausch wieder den gewohnten Gang, und das ohne bedeutende Änderung im iranischen Verhalten.

„Die Behauptungen von Präsident Obama und den europäischen Staatsführern, nach denen die Sanktionen einfach wieder erneuert werden könnten, sollten die iranischen Führer die Produktion von Atomwaffen wieder aufnehmen, werden zunehmend entkräftet.“ Steinberg fügte hinzu: „Wenn die Sanktionen weiterhin ins Wanken geraten, ist die letzte Rettung zur Aufhaltung des Iran eine Militäroperation, die Israel, die USA und Europa lange versucht haben zu vermeiden.“

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel behandelte den Zerfall der allgemeinen Haltung, keine Geschäfte mit dem Iran zu machen, mit einem Artikel, der die Überschrift trägt: Jahrhundert-Chance: Internationale Investoren strömen nach Teheran.

Daniel Bernbeck, Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Handelskammer in Teheran, sagte gegenüber dem Spiegel, dass Flugzeuge, die in den Iran fliegen, „voller Italiener“ seien. Hierzu gehörten Manager des italienischen Erdöl- und Energiekonzerns Eni S.p.A.

Der Spiegel berichtete, dass Frankreich auch unterwegs sei. Angesichts eines millionenschweren Handels sind die Franzosen dabei, ihren Lizenzvertrag für die Lieferung von Peugeot-Teilen an den iranischen Automobilhersteller Iran Khodro zu erneuern.

„Und die Amerikaner sind bereits mit ExxonMobil, Chevron Corporation und anderen US-Firmen hier“, sagte Bernbeck. „Sie sind für die Erneuerung der alten Erdölförderungsanlagen und Ölraffinerien zuständig und für die Suche nach neuen Ölfeldern. Das ist ein riesiges Geschäft, bei dem es um Milliarden von Euro geht.“

Bernbeck löste im Jahr 2009 Kontroversen aus, weil er sich tatkräftig bemühte, auf Kosten der Menschenrechte Aufträge mit dem Iran einzuholen. Nachdem der Iran wohl die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen 2009 manipuliert hatte, sagte Bernbeck, er sähe auch angesichts antidemokratischer Unterdrückung überhaupt kein moralisches Problem darin, sich an Handelsabkommen mit dem Iran zu beteiligen.

Irwin Cotler, kanadischer Parlamentsabgeordneter und früherer Justizminister, kritisierte Bernbeck damals scharf und sagte, eine wichtige Rolle der Zivilgesellschaft sei, die Daniel Bernbecks zur Verantwortung zu ziehen.

Tom Gross, ein Nahostexperte, sagte gegenüber der Jerusalem Post: „Der Ansturm westlicher Firmen und Diplomaten auf den Iran ist äußerst beunruhigend und sehr gefährlich.“ Er fügte hinzu: „Das machthaberische iranische Regime, das bereits mehr Hinrichtungen ausführt als alle anderen Länder dieser Welt −ausgenommen China−, wird sich nun noch ermutigter fühlen, mit seinem harten Durchgreifen gegen Liberale, Reformer und Menschenrechtsaktivisten und seiner Verfolgung von Minderheiten wie Bahai, Belutschen und Homosexuellen fortzufahren.“

Die Schwachstellen des Iran-Abkommens stehen in den USA auf dem Prüfstand.

Michael Doran, leitender Fellow des Saban Center für Nahostpolitik der US-Denkfabrik Brookings Institution, sagte gegenüber der Jerusalem Post: „Der Gedanke, die USA könnten den Investitionsfluss in den Iran wie einen Wasserhahn auf- und abdrehen, war schon immer abstrus. Es wurde die klare Botschaft vermittelt, dass Geschäfte mit dem Iran nun legitim sind und dass Teheran und Washington auf dem Weg verbesserter Beziehungen sind. Dadurch wurde im Westen eine einflussreiche Wirtschaftslobby gebildet, die sich der Aufgabe gewidmet hat, zu gewährleisten, dass die Amerikaner und Iraner auf diesem Weg bleiben. Das System der Sanktionen ist nicht tot, aber es ist beschädigt.“

In Israel äußerten Experten wachsende Frustration und Enttäuschung angesichts des Versagens der internationalen Gemeinschaft, dem Iran entgegenzutreten.

Tommy Steiner, ein ranghoher wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Politik und Strategie am Interdisziplinären Zentrum Herzliya, sagte der Jerusalem Post: „Europäische und amerikanische Führungskräfte strömen in den Iran, um in Erwartung von Sanktionserleichterungen Geschäfte mit dem Iran zu prüfen und sich dafür zu positionieren. Dies unterwandert die Verhandlungsposition der USA und der EU in der nächsten Verhandlungsrunde. Iranische Verhandlungsführer könnten die „Charme-Offensive“ der Führungskräfte fehlinterpretieren und fälschlicherweise annehmen, dass die baldigen Sanktionserleichterungen schon beschlossene Sache sind und dass sie nicht gezwungen sind, ihr Atomprogramm zurückzufahren und aufzugeben.“

Steiner, der auch führender Experte für Israel-EU-Beziehungen ist, fügte hinzu: „Während man die Reisen westlicher Führungskräfte in den Iran nicht verbieten kann, sollten sich amerikanische und europäische Regierungen an diese Firmen wenden und ihnen erklären, dass ihr Bestreben, mit dem Iran Geschäfte zu machen, Fehlannahmen verursachen und diplomatische Bemühungen untergraben könnte. In diesem Fall tragen die westlichen Führungskräfte eher zu einer eskalierenden Krise mit dem Iran als zur Entwicklung neuer Geschäftsmöglichkeiten bei.“

Emmanuel Navon, Leiter der Abteilung für Kommunikations- und Politikwissenschaften des Haredi College Jerusalem, sagte der Jerusalem Post, er sei „nicht überrascht“, dass westliche Firmen in den Iran eilen. Das Genfer Abkommen überbrachte die Botschaft, dass die Sanktionen erleichtert werden. „Viele der Firmen brechen eigentlich das Embargo (gegen den Iran). Doch aufgrund der Stimmungslage möchte niemand im Westen die Sanktionen 100prozentig umsetzen“, sagte er. Navon sieht, dass westliche Firmen „einen Vorteil aus dem Interimsabkommen ziehen“ und dass der Westen Teheran einen Freifahrtschein gibt.

Steinberg sagte: „Genau davor warnte Premierminister Netanyahu nach dem Durchbruch in den Genfer Gesprächen mit dem Iran letzten Monat. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, um wichtige Wirtschaftssanktionen zu verhängen, nachdem die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) das illegale Atomwaffenprogramm des Iran dokumentiert hatte. Doch schließlich wurde Druck auf das Regime in Teheran ausgeübt.“

Der Iran sicherte sich Sanktionserleichterungen von mehr als 20 Milliarden Dollar. Das Interimsabkommen könnte falsch damit liegen, den Iran mit einer großen Portion Zuckerbrot versorgt zu haben. Diese Methode dient eher dazu, das ursprüngliche Ziel der Weltmächte, sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche für die Aufhaltung des iranischen Atomprogramms anzuwenden, zu untergraben.

Benjamin Weinthal berichtet für die Jerusalem Post über Europaangelegenheiten und ist Fellow der amerikanischen Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies.