Sex and Drugs and HCV: Lou Reed

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Lou Reed kam während des Zweiten Weltkriegs in Amerika auf die Welt. In Europa hätte er vermutlich Levi Rabinowitz geheißen und wäre damals kaum alt geworden. So kam er am 2. März 1942 in Freeport, Long Island, New York auf die Welt und starb, nach einer Lebertransplantation, am 27. Oktober 2013 in Southampton, ebenfalls im Staate New York, mit 71 Jahren….

Er kam aus einer ziemlich traditionellen jüdischen Familie, die ursprünglich Rabinowitz hieß. Er entdeckte früh sein Interesse für  Musik und war während seiner Schulzeit vor allem an Rock ’n’ Roll und Blues interessiert. Als Jugendlicher vermuteten seine Eltern homoerotische Phantasien, er war rebellisch, vielleicht nahm er sogar Drogen. Grund genug, ihn in psychiatrische Behandlung zu schicken, u.a. mit Elektroschocks.

Später beschrieb er diese Prozedur z.B. in „Kill Your Sons“: „Sie stecken dir was in den Mund und bringen Elektroden an den Kopf und jagen Strom durch deinen Kopf und anschließend fühlst du dich wie weichgekochtes Gemüse“.

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The Velvet Underground

Mit zwanzig zog Reed nach New York City und schrieb Songs. Schon 1964 hatte er einen kleinen Hit mit einer Parodie auf einen gerade populären Tanz (The Ostrich). Zufällig traf er auf John Cale, der überrascht war von der neuen Art, mit der Reed Gitarre spielte. Reed stimmte jede einzelne Saite gleich, und erzeugte damit einen „Drone„. Als Cale einige von Reeds Kompositionen hörte (u. a. eine frühe Version von Heroin), gründeten sie die Gruppe The Primitives. Ab 1965 traten Cale und Reed unter dem Namen The Velvet Underground auf. Gefördert wurde die Band von Andy Warhol. Reed sang und schrieb die meisten der Songs. The Velvet Underground ist eine der einflussreichsten Untergrund-Bands aller Zeiten, auch wenn sich der kommerzielle Erfolg nicht einstellen wollte. Das Stück Heroin wurde von zahlreichen Musikjournalen zu den wichtigsten Liedern der Musikgeschichte gezählt.

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The Velvet Underground & Nico„, das Album mit der Banane, wurde berühmt und viel besprochen. Zur Faszination trug damals auch die deutschstämmige Sängerin Nico (Christa Päffgen) bei. Aber mit Heroin und I’m waiting for my man (gemeint war der Dealer) standen Reed und seine Freunde ganz konträr zur immer stärker einsetzenden Verteufelung der Drogen, der Süchtigen und allem was damit zu tun hat. Bald sollte der weltweite „Krieg gegen die Drogen“ ausgerufen werden, der Leidensdruck der Süchtigen sollte ins Unerträgliche gesteigert werden, weltweit begannen Propagandafeldzüge, die Drogen und die Süchtigen derart zu dämonisieren, dass weder Verständnis noch Erbarmen für die Junkies zu erwarten war. Die Gefängnisse füllten sich und die Gerichte mussten Schnellverfahren einleiten. In Deutschland sahen Psychiater und andere Suchtexperten wieder einmal den gesamten Volkskörper bedroht. Kein Wunder also, dass die Verfolgung der Junkies und Kiffer gerade hierzulande mit ganz besonderer Verve geführt wurde und wird.

Inzwischen hat dieser „Krieg“ Hunderttausenden das Leben gekostet. Namhafte Organisationen, wie die Konferenz amerikanischer Staaten warnen vor einer Fortsetzung, die WHO spricht von einem der grausamsten und blutigsten Kreuzzüge der Gegenwart. Hunderttausende verloren ihr Leben, nicht durch die Wirkung irgendeiner Droge (Die Wahrheit über Heroin), sondern in Folge der Repressalien, der Vergiftung, der Infektion (v.a. durch HIV und HCV, v.a. durch mehrfach geteilte Spritzen und Prostitution) und der himmelschreienden Verelendung. Alles geschah in aller Öffentlichkeit. In Deutschland oft von Passanten mit „die gehören endlich vergast“ kommentiert. In Deutschland war die Lage tatsächlich besonders trostlos, da sogar die weltweit anerkannte Substitution kriminalisiert wurde und sich das gesamte medizinische Establishment daran hielt, wie nirgendwo sonst. Ärzte, Apotheker, Rauschgiftdezernate und Irrenwärter, alle waren sich einig im Schutz des Volkskörpers.

In diese Stimmung kam ein dissonantes Lied mit Aussagen, wie „it’s my live and it’s my wife“, „then I feel just like Jesus‘ son“…  und die Presse forderte von Reed eine klare Distanzierung vom Drogenkonsum. Ob man die ihm abgerungene Beteuerung, er habe keineswegs die Absicht, den Genuss von Heroin zu verherrlichen, abgenommen hat, ist fraglich. Auch sadomasochistische Fantasien wolle er nicht anregen, meinte er. Doch das Lied „Venus in Furs“ lehnte sich an den Klassiker „Venus im Pelz“ von Sacher-Masoch an.
Inzwischen weiss man, wie eng die sogenannte sexuelle Perversion, ähnlich wie süchtiges Verhalten, zu den Selbstheilungsversuchen früh traumatisierter Menschen gehört. Die Junkies jedenfalls fühlten sich verstanden, aber sie hatten kein Geld zum Schallplattenkauf. Finanziell wurde die Platte ein Flop, doch zum Glück unterstützte Andy Warhol den „Velvet Underground“ weiterhin.

Different colors made of tears: Love not given lightly…

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Es folgte noch White Light / White Heat, aber Lou konzentrierte sich immer mehr auf seine Solokarriere. Doch auch hier blieb, trotz guter Kritiken, der kommerzielle Erfolg aus. Erst die Zusammenarbeit mit David Bowie brachte ihn mit Walk on the Wild Side aus der Minderheitenecke heraus. Es war ein ironischer Gruß an die Außenseiter, Junkies, Stricher, Transvestiten, Sadomasochisten etc.
Reed meinte einmal, er vertone Leute wie Allen Ginsberg, William S. Burroughs und Jean Genet. Er war ein Meister des Humors und der Selbstironie, aber kein Zyniker, dazu war er viel zu empathisch.

Es folgte das Album „Berlin“, das die gescheiterte Liebe zweier Junkies schildert. Während er daran arbeitete, wurde seine eigene kurze erste Ehe mit Bettye Kronstadt geschieden (1973). Entsprechend der besonders qualvollen Situation der Süchtigen in Deutschland, vermittelt das Album die oben bereits beschriebene Trostlosigkeit. In Stücken wie Sad Song, Caroline Says II, The Kids und The Bed geht es um Gewalt, Prostitution und schließlich Selbstmord, damals eine häufige Todesursache unter süchtigen Jugendlichen. Reed war einer der ganz wenigen, die damals nicht auf den „Anti-Drogen“-Zug aufspringen wollten. Die Süchtigen verstanden, dass er wusste, wovon er sprach, aus eigenem Erleben. In der Mehrheitsgesellschaft stieß „Berlin“ auf aggressives Unverständnis, von Reed war man geradezu entsetzt. Diese Ablehnung machte ihm mehr zu schaffen, als er zugab. Der Presse gegenüber schützte er sich mit einer gewissen Arroganz.

1975 folgte Metal Machine Music. Eine LP ohne Worte. Die Wahrheit wollte eh keiner wissen und das Leben der Süchtigen beschrieb er so tiefsinnig, dass es die oberflächliche Polpulärkultur nicht fassen konnte.  Die Stimmung verlangte eher nach Schnulzen wie „am Tag als Connie Cramer starb“.

Zu dieser Zeit war ihm seine Beziehung zu Rachel, einem Transvestiten, sehr wichtig und er befasste sich intensiv mit seiner Homosexualität. In die Charts schaffte es schließlich das insgesamt weichere Album „Coney Island Baby„. Nach weiteren Abstürzen und Zusammenbrüchen heiratete er 1980 Sylvia Morales, die danach seine Managerin wurde. Kennengelernt hatte er sie in einem New Yorker SM-Club.

Reed begann sich politisch zu engagieren. Diesmal hieß sein Album „New York“ (1989). Unter anderem beklagte er die Verfolgung der Süchtigen und der Illegalen und griff Bevormundung, Rassismus und Ausbeutung an. Er nannte auch Namen, z. B. den des antisemitischen Populisten Jesse Jackson.

Andy Warhols Tod führte ihn wieder mit John Cale zusammen. Das gemeinsame Album Songs for Drella setzte dem großen einsamen Mann ein Denkmal. Auch andere Freunde starben, viele an Krebs. Die LP Magic and Loss griff dies auf. Ein Remake seines Songs Perfect Day wurde zum BBC-Song für Kinder in Not.

2001 wurde gemeldet, er sei an einer Überdosis Heroin verstorben. Seine chronische Hepatitis C machte ihm zwar zu schaffen, seine Leber war im Laufe der Jahre fibrotisch und schließlich zirrhotisch geworden und sein Alkoholkonsum war natürlich Gift für die Leber. Heroin ist im Gegensatz zu Alkohol keine die Leber belastende Substanz. Die Hepatitis (Leberentzündung) verbreitete sich unter iv-Drogenabhängigen durch den gemeinsamen Gebrauch von Injektionsnadeln und Spritzen, die ja aufgrund des „Kriegs gegen Drogen“ nicht an jeden verkauft wurden.

Reed lebte damals eher ruhig und bodenständig. Als liberaler Jude besuchte er zu Pesach die beliebten Downtown-Seder im Lincoln Center oder im Museum of Jewish Heritage. Er beteiligte sich sogar aktiv am Gemeindeleben, indem er z. B. Vorträge oder Lesungen hielt oder die obligatorischen vier Fragen am Sedertisch stellte. Er brachte auch gerne Elemente aus seinem Schaffen mit ein, z. B. aus der 2003 erschienen CD The Raven, die auf dem Werk von Edgar Allan Poe basierte.

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Nachdem er Laurie Anderson kennengelernt hatte, verließ er Sylvia und heiratete 2008 noch einmal. Eine Europatournee (Krems, Wroclaw, Bern, Leipzig, Hamburg, Berlin) musste 2009 aus „extreme personal issues“ abgesagt werden. Zum zwanzigsten Jahrestag der Samtenen Revolution kam er aber nach Prag, wohin ihn Václav Havel zusammen mit Joan Baez, Suzanne Vega und Renée Fleming eingeladen hatte. Havel bezeichnete ihn als einen Mann, dessen freies Denken ihn auszeichne. Er hat immer auf der Seite der Freiheit gestanden und war solidarisch auch in dunkleren Zeiten.

Im April 2013 konnte Reed eine neue Leber bekommen. Seine Ehefrau Laurie Anderson sagte der Londoner “The Times”. “Er lag im Sterben, so etwas macht man nicht zum Spaß.” Er hatte sich in Cleveland / Ohio operieren lassen, weil dort die beste Klinik für solche Eingriffe bestehe. Am 27. Oktober 2013 starb Lou Reed in seinem Haus auf Long Island.
Jehi Sikhro baruch!

David Gall

Quellen: wikipedialoureed.comhuffingtonpost.com

Globale Hepatitis C-Epidemie:
Eine Folge der repressiven Drogenpolitik
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt in einem aktuellen Bericht der Global Commission on Drugs davor, die Gefährlichkeit der weltweiten Hepatitis-C Epedemie zu unterschätzen. Es handle sich um eine “virale Zeitbombe”, der viel zu wenig Beachtung geschenkt werde. Ruth Dreifuss in Genf: “Es ist an der Zeit, das Schweigen über die furchtbaren Folgen der repressiven Drogenpolitik zu beenden!”…

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