70 Jahre „Operation Gomorrha“ – der vergessene Mustergau Hamburg

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Die Erinnerung an die Geschichte des Nationalsozialismus wird jenseits der ofiziellen Gedenkpolitik auch im Alltäglichen vermittelt. Die familiäre Erzählung der großflächigen Bombardierung Hamburgs durch die RAF überlagert in der deutschen oral history die Gräueltaten der NS-Volksgemeinschaft im Mustergau Hamburg. Neonazis spielen – anders als in Dresden – nur am Rand eine Rolle im hanseatischen Opferdiskurs…

Gaston Kirsche

In den innenstadtnahen Stadtteilen Hamburgs, besonders östlich der Alster, sind sie an vielen wiederaufgebauten Mehrgeschosshäusern zu sehen: Tontafeln, mit dem Hamburger Wappen und dem Hinweis: „Zerstört 1943, wiederaufgebaut …“. Die Tafeln kommen von der städtischen Baubehörde und sind im Alltag präsenter als das offizielle Mahnmal, dass an die Bombardierung Hamburgs im Sommer 1943 erinnert: Der Turmrumpf der Kirche St. Nikolai, der nach dem 8. Mai 1945 als Ruine restauriert wurde und zum städtischen Mahnmal „für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ erklärt wurde. Der markante Kirchturm diente den Piloten der britischen Royal Air Force, RAF, bei ihrem Anflug auf Hamburgs Osten als Orientierungsmarke. In den Stadtteilen ringsherum blieb kein Haus stehen.

zVom 25. Juli bis 3. August 1943 flogen die britische RAF und die US Air Force mit bis zu 1000 Bombern Angriffe auf Hamburg. Die werden meist als die bis dahin schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges bezeichnet. Befohlen wurde das „Carpet Bombing“ von Luftmarschall Arthur Harris. Harris wies darauf hin, dass die Deutschen diese Strategie in den 2. Weltkrieg eingeführt hatten, sie bereits unmittelbar nach dem Beginn des Einmarsches begonnen hätten, polnische Städte zu bombardieren. Und bereits zuvor im Spanienkrieg mit der Bombardierung der baskischen Kleinstadt Gernika am 26. April 1937 die flächendeckende Bombardierung erprobt hätten. Wo in Gernika der Durchhaltewillen der AnhängerInnen der spanischen Demokratie gegen den reaktionären Militärputsch von General Franco gebrochen werden sollte und in Polen von den Deutschen bevorzugt Städte mit jüdischen Vierteln bombardiert wurden, ging es Luftmarschall Arthur Harris und seinem Premier Winston Churchill ebenfalls um ein Brechen des Durchhaltewillens – allerdings diesmal der als Aggressor unter Führung der Nazis agierenden deutschen Volksgemeinschaft, die bereits halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatte.

Goebbels umjubelte Rede im Berliner Sportpalast für die Führung eines „totalen Krieges“ lag ein halbes Jahr zurück – auch die Niederlage bei Stalingrad hatte nicht zu einem Nachlassen der deutschen Kampfkraft an den Fronten und bei der Kriegswirtschaft im Hinterland geführt. Es ging – nicht nur im Rahmen der militärischen Logik – um eine schnellere Beendigung des von Deutschland geführten Angriffskrieges. Hamburg war ein Zentrum der deutschen Rüstungsproduktion und der Seekriegsführung, auch der Nachschublinien für die Wehrmacht. Nach der Operation Gomorrha, wie der Deckname für die Bombardierung Hamburgs lautete, gab es ähnliche Flächenbombardements in Kassel, Braunschweig, Magdeburg, Dresden, Pforzheim, Mainz, Würzburg und Hildesheim. Die meisten Toten gab es in Hamburg, damals mit 1, 5 Millionen EinwohnerInnen die zweitgrößte Stadt des Deutschen Reiches. Bei der Operation Gomorrha starben weit über 30.000 Menschen, etwa 125.000 wurden verletzt. Wie viele Menschen aus den Bomberbesatzungen starben, blieb unerwähnt. Bekannt ist aber, dass im II. Weltkrieg die Hälfte der Besatzungen der RAF bei den Einsatzflügen starb.

Für die Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 gibt es in Hamburg einen feststehenden Namen: Feuersturm. In diese Nacht waren die eng bebauten Arbeiterwohnquartiere von Hammerbrook bis Barmbek das Ziel der Spreng- und Brandbomben. Es entstand eine mächtige Feuerwalze, die den Sauerstoff so stark anzog, dass Menschen mit ins Feuer gesogen wurden, im glühenden Asphalt einsackten, nahezu verdampften. Wolf Biermann erzählte Jahrzehnte später, wie seine Mutter ihn und sich rettete, in dem sie in einen Fleet sprang. In alteingesessenen Hamburger Familien gibt es wohl kaum jemanden, dem nicht etwas Vergleichbares erzählt wurde. Dass wurde auch in den größeren Medien Hamburgs wiederholt aufgegriffen – in einer ähnlichen Diktion wie Berichte von der großen Flutkatastrophe im Februar 1962. ((Vgl. etwa einen NDR-Beitrag vom 21. Januar 2013: „Bis heute sieht man den Straßen in Barmbek an, wo sie gekittet wurden. Von der ‚Operation Gomorrha‘ blieb hier fast keine Familie unversehrt. Denen, die das erlebt haben, steckt noch der Schrecken in den Knochen.“ http://www.ndr.de/kultur/kunst_und_ausstellungen/hamburg/feuersturm107.html)) Bereits Anfang 2013 gab es eine Ausstellung zu den Auswirkungen der „Operation Gomorrha“ auf der Elbinsel Wilhelmsburg. ((„1943: Operation Gomorrha – das Bombardement auf den Elbinseln“, BallinStadt, 21. 01. bis 31.03. 2013, www.ballinstadt.de)) In der „Welt“ hieß es aus diesem Anlass, dass „die Royal Air Force den Bombenkrieg perfektionierte“, ((Welt 22. Januar 2013, Artikel: „’Operation Gomorrha“ – Die Bombardierung Hamburgs setzte neue Maßstäbe“)) im „Hamburger Abendblatt“: „Es sind die bis dahin schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges“. ((Hamburger Abendblatt, 01. Februar 2013, Artikel: „Gomorrha auf den Elbinseln“)) Der Feuersturm oder die Hamburger Bombennächte, wie sie auch genannt werden, ist eine auf Familientreffen an die nachfolgenden Generationen weitergegebene Erzählung. ((In Norddeutschland auch über Hamburg hinaus: „Vor 70 Jahren: Hamburgs schrecklichste Nächte“ ist etwa ein ganzseitiger Artikel in der Dithmarscher Landeszeitung vom 20. Juli 2013 überschrieben, in dem nur ein Halbsatz zur Vorgeschichte, den Verbrechen der deutschen Luftwaffe enthalten ist.)) Anders als bei Wolf Biermann, der über den Nationalsozialismus auch noch anderes erzählt, ist für viele HamburgerInnen der Feuersturm das wichtigste Ereignis der Nazizeit. Biermanns Vater Dagobert war ein kommunistischer Widerstandskämpfer, der im Hamburger Hafen auf der Werft, wo er arbeitete, Beweise dafür sammelte, dass dort Schiffe für die Putschisten um Franco in Spanien gebaut wurden, der sabotierte, wo er konnte. Und der im KZ Auschwitz vergast wurde, als Jude, als Kommunist.

Dem gegenüber konstituiert sich die Mehrheit der autochthonen HamburgerInnen in einem Opferdiskurs als postnationalsozialistische, deutsche Schicksalsgemeinschaft – dadurch, dass sie neben dem Leid ihrer Vorfahren in ihrer aktiven Erinnerung keinen Platz für die Leiden der Opfer des Nationalsozialismus einräumen. Dies zeigt sich anschaulich in mündlichen Familienüberlieferungen und in der oral history, wenn Alteingesessene aus ihrem Leben im Hamburg der Nazizeit erzählen. Oft ist dann nur verkürzt von der „Kriegszeit“ die Rede, und von der Steckrübenzeit danach. Nicht alle sind dabei so direkt wie Jochen Rodenbeck, der den Feuersturm auf der Uhlenhorst erlebte und im Extraheft der Hamburger Morgenpost zur Operation Gomorrha erklärte: „Ende Juli 1943 hörte der Krieg auf, ein Spiel zu sein“. Auch in den anderen im Extraheft abgedruckten Schilderungen von ZeitzeugInnen geht es nur um deutsche Opfer. ((Hamburger Morgenpost, 24. Juli 2013, Titelseite: „Heute vor 70 Jahren begann das Bomben-Inferno – Die Nacht als Hamburg unterging – 40.000 Tote im Feuersturm – Augenzeugen erinnern sich: ‚als die Stadt zur Hölle wurde – zwölf Seiten Beilage“. Dazu ein Foto von einem Lancaster – Bomber.))

Die offizielle Gedenkpolitik nennt selbstredend immer auch die NS-Opfer mit. Beim genaueren Hinschauen zeigt sich aber auch hier eine klare Hierarchisierung des Erinnerns: Wo an jedem zerbombten, wiederaufgebauten Haus eine entsprechende Tontafel hängt, so finden sich entsprechend präsente Tafeln, die an die 1299 Zwangsarbeiterlager in Hamburg erinnern, nicht. Auch nicht an den 928 Betrieben, die Zwangsarbeitende beschäftigen. Bezeichnend: Das Grab für 140 sowjetische Zwangsarbeiterinnen, die bei einem späteren Bombardement starben, liegt weitab vom großen Massengrab für die Todesopfer der Operation Gomorrha. Die jungen Frauen, zwischen 14 und 25 Jahren alt, mussten in einer Fabrik von Valvo‐Phillips Röhren für Radios und Fernmeldegeräte sowie Glühbirnen produzieren und durften wie alle ZwangsarbeiterInnen und Häftlinge aus den 20 Nebenstellen des KZ Neuengamme in Hamburg nicht in die Schutzräume. So starben sie 1944, geduckt in einen Graben. Während an dem beeindruckend großflächigen Bombenopfer-Sammelgrab auf dem städtischen Friedhof Ohlsdorf jährlich offizielle Kranzniederlegungen stattfanden, 1952 im Mittelpunkt des Sammelgrabs ein Mahnmal erreichtet wurde – ein monumentaler quadratischer Sandsteinblock – so organisiert das Gedenken an die Valvo-Frauen nicht die Stadt, sondern kontinuierlich die VVN, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ((2004: archiv.avanti-projekt.de/p_antifa/pdf/HH_040131_PR.pdf, 2005: http://www.infoarchiv-norderstedt.org/termine/gedenkkundgebung-zum-internationalen-frauentag.html)) – seit einigen Jahren im Bündnis Ohlsdorfer Friedensfest, wodurch die Aufmerksamkeit etwas erhöht wurde.

Zu den Toten der Bombardierungen gehörten zahlreiche ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene – Ende Juni 1943 waren in Hamburg gut 66.000 ausländische Zwangsarbeitende registriert.
Im Chaos der Luftangriffe versuchten viele von ihnen zu fliehen. So in der Nacht zum 30. Juli auch 72 von 100 sowjetischen ZwangsarbeiterInnen aus dem Krankenhaus St. Georg. Die Reaktion der Krankenhausleitung ist dokumentiert. Sie alarmierte umgehend die Gestapo, die auf der Stelle acht der nicht geflohenen Sowjets vor den Augen der Mitpatienten per Genickschuss ermordete. Erst seit September 1989 erinnert auf Initiative der Geschichtswerkstatt St. Georg ein kleiner Gedenkstein auf dem Krankenhausgelände daran.

Zu den gefährlichsten Räumungsarbeiten in den Trümmern, dort, wo viele nicht explodierte Bomben lagen, wurden Zwangsarbeitende und KZ-Häftlinge gezwungen. Wer sich weigerte, ohne Schutzanzüge und Maske verwesende Leichen zu bergen, wurde sofort erschossen. Graf Georg Henning von Bassewitz-Behr, Hamburgs SS- und Polizeiführer, verschärfte umgehend nach den Bombenangriffen den Kurs gegenüber den Zwangsarbeitenden und erließ eine entsprechende Direktive. Himmler schickte darauf ein Telegramm nach Hamburg, in dem er das „scharfe Durchgreifen“ lobte.

Im offiziellen wie im privaten Gedenken wird hiervon geschwiegen, obwohl es nicht an markanten Ereignissen mangelt. Am 16. August 1943 schrieb Generalmajor Liessem, als höherer SS- und Polizeiführer für Norddeutschland zuständig, in einem Bericht: „Ausländer haben sich zum größten Teil schlecht benommen. Sie sahen bereits den kommenden Sieg. Ein Werk wurde von Ausländern besetzt und musste durch Marine-Soldaten mit Gewalt erobert werden.“ Aber wer nicht von der gewalttätigen Ausbeutung der NS-Opfer in Hamburg sprechen will, sich nicht in dem eigenen selbstreferenziellen Opferdiskurs stören lassen will, schweigt lieber davon, dass die Bombardierung Hamburgs, eben für die Zwangsarbeitenden und KZ-Häftlinge auch ein Zeichen des nahenden Sieges über die Deutschen und ihre Wehrmacht war.

Der Hamburger Gomorrhardiskurs verliert in seinem indifferenten Gedenken an „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, in seiner Diffusität jede Schärfe gegenüber dem Nationalsozialismus. So schreibt die unabhängige Freie Akademie der Künste im Begleittext zur am 15. August begonnenen Ausstellung „Die erwartbare Katastrophe“: „…die Operation Gomorrha prägte sich als tiefste Zäsur des 20. Jahrhunderts in das Hamburger Stadtbild ein.“ ((http://www.erwartete-katastrophe.de/downloads.html/Programm)) Bezeichnend, dass trotz der ja vorhandenen Gedenkstätten, die an den nationalsozialistischen Terror und die Shoah erinnern, bis hin zum KZ Neuengamme, die in Hamburg „tiefste Zäsur“ die Bombardierung 1943 gewesen sein soll. Eine tiefere Zäsur als die Naziherrschaft in Hamburg, die mit ihren Orten des Terrors, der Machtentfaltung, der Volksgemeinschaft, der Blut-und-Boden-Ideologie das Stadtbild nachhaltig geprägt haben – von den Außenstellen des KZ bis hin zur völkischen motivierten Anlage von Wohnvierteln? In einer unschönen, offiziösen Form ist Gedenken im Stadtbild am Dammtorbahnhof präsent: Dort wurde 1936 von den Nazis ein Kriegerdenkmal errichtet – ein riesiger Steinblock mit marschierenden Soldaten und der Inschrift: Deutschland muss Leben, auch wenn wir Sterben müssen. Der Hamburger Senat hat auf die Forderungen linker Gruppen nach einem Abriss dem Kriegsklotz zur Hochzeit der westdeutschen Friedensbewegung ein paar kleine Skulpturen des Bildhauers Alfred Hrdlicka gegenübergestellt, die den Feuersturm zeigen, die Opfer – und, aber das wird kaum beachtet, Hrdlicka schuf auch eine Skulptur für Häftlinge des KZ Neuengamme, die durch britisches Bombardement starben. Die Britische Besatzungsmacht wollte den Kriegsklotz sprengen – der erste Nachkriegssenat verhinderte dies. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf eines antifaschistischen Bündnisses für ein Deserteursdenkmal, welches den Kriegsklotz ersetzen soll. Es braucht keine prophetischen Gaben, um darauf zu kommen, dass der Hamburger Senat wieder bestenfalls eine die durch die neue Initiative geweckte kritische Öffentlichkeit sättigen sollende Gedenkbeilage neben dem Kriegsklotz drapieren wollen wird. Es ist angerichtet!

Der Hamburger Senat hat für 2013 ein „Gedenkjahr“ ausgerufen: „Es ist wichtig, das kollektive Gedächtnis Hamburgs und die Erinnerung an das menschenverachtende Unrecht des Nationalsozialismus und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs wachzuhalten“, so Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt, SPD, anlässlich der Vorstellung der Website zum Gedenkjahr. ((www.hamburg.de/gedenkjahr-2013)) Und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, ebenfalls SPD, pflichtete ihr bei: „Unsere Website soll dazu beitragen, dass die vielen engagierten und aufrüttelnden Erinnerungsprojekte in unserer Stadt zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer finden.“ Bezeichnenderweise stand kurz nach dem Start im Februar kaum etwas zum Nationalsozialismus auf der Site, aber dafür schon ein Hinweis Jahrestag der Operation Gomorrha: „Gedenkveranstaltung und Ausstellungseröffnung im Mahnmal St. Nikolai“. Die dortige Ausstellung zum Gomorrha-Gedenken wurde für den Publikumsverkehr am 1. September größer als bisher wiedereröffnet. ((http://www.mahnmal-st-nikolai.de/))

Im Sommer standen auf der Gedenkseite die Veranstaltungen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und des Ohlsdorfer Friedensfestes, mit dem ein Bündnis von VVN über ver.di bis hin zur Kriegsgräberfürsorge vom 20. Juli bis zum 4. August mit Veranstaltungen am Sammelgrab der Bombenopfer Präsenz zeigten, in denen nicht die Deutschen als Opfer der Bombardierungen im Mittelpunkt standen – im Gegenteil wurde gezeigt, wie antifaschistisch gedacht werden kann. Das Ohlsdorfer Friedensfest gibt es seit 2009 und Schwerpunkt ist es, ein kritisches Gedenken im Zusammenhang mit den alliierten Bombardierungen zu etablieren. Antifaschistische Gruppierungen haben hier die Möglichkeit, eigene, auch staatskritische Veranstaltungen durchzuführen. „Es hat eine gänzlich andere Qualität, als noch vor 10 Jahren bei den Gedenkfeiern in Ohlsdorf“, so Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts, dass das Friedensfest mitveranstaltet gegenüber dem Autor: „Die Gedenkpolitik im Rahmen des Ohlsdorfer Friedhofes hat sich in den letzten fünf Jahren verschoben.“ Dadurch können jetzt Neonazis dort auch nicht mehr ihre geschichtsfälschenden Kundgebungen abhalten wie bis 2007. ((http://hamburg.vvn-bda.de/2013/07/09/friedensfest-ohlsdorf/)) Die Hamburger Innenbehörde hatte die Nazikundgebungen genehmigt und mit Polizeipräsenz begleitet. Erst als linke Antifagruppen dagegen offensiv protestierten, wurde die Friedhofsverwaltung aktiv und verbat sich das Nazigedenken. Dass Hamburger Abendblatt interviewte im Juli den Pressesprecher der Friedhofsverwaltung Lutz Rehkopf zum Ohlsdorfer Friedensfest, liess aber das Engagement der Antifagruppen außen vor, stellte es so dar, als ob die Verwaltung von sich aus aktiv geworden sei. ((http://www.abendblatt.de/hamburg/article118224242/Das-Ohlsdorfer-Friedensfest-ein-Sieg-ueber-die-Neonazis.html))

Beim offiziellen städtischen Gomorrha-Gedenken früherer Jahrestage wurde das Ausmaß der Zerstörung durch die Bombardierung wesentlich eindrücklicher beschrieben und bebildert als alle Naziverbrechen. ((Vgl. http://www.bombenkrieg-gegen-hamburg.de/. Auf dieser von Professor F. C. Gundlach, dem ehemaligen zweiten Bürgermeister Hamburgs, Ingo von Münch und dem damaligen Leiter der staatlichen Landesbildstelle, Dr. Joachim Paschen 1993 initiierten Gedenkseite finden sich zahlreiche Trümmer- und Opferfotos. Einleitend heißt es: „Von den Luftangriffen, welche die Stadt Hamburg im Juli 1943 im Zuge der ‚Operation Gomorrha‘ heimsuchten….“. Hervorhebung von mir. Heimsuchung laut Duden = Martyrium, Unglück, Schicksalsschlag.)) Insbesondere zu dem offiziellen Gedenken 2003 hat der Historiker Malte Thießen eine sehr informative, im Internet frei zugängliche ausführlicher Untersuchung veröffentlicht. ((Malte Thießen: Gedenken an Hamburgs „schrecklichste Stunden“. Zur Erinnerungskultur des Bombenkrieges von 1945 bis heute. Historicum.net, Themenportal Bombenkrieg (9. März 2005), http://www.bombenkrieg.historicum.net/themen/hamburg.pdf)) Auch dazu, wie der Eindruck erweckt wurde, die Operation Gomorrha wäre die Stunde Null für Hamburg gewesen. So als ob es danach mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft vorbei gewesen wäre und alle nur noch auf das Ende gewartet hätten.

Wenige Wochen nach dem Hamburger Feuersturm hatte die Rüstungsproduktion in Hamburg mit „deutschem Durchhaltewillen“ schon wieder 80 Prozent des Leistungsniveaus vor Gomorrha erreicht. Noch fast zwei Jahre leisteten die HamburgerInnen ihren Beitrag zum Krieg. Sie gaben erst auf, als am 3. Mai 1945 die ersten britischen Panzer über die Elbbrücken rollten. Unbeirrt von den Bombardierungen auch weiterer Städte. Ralph Giordano, der die Operation Gomorrha in Hamburg-Barmbek überlebte, betonte: „Am Morgen nach der Nacht, in der Dresden unterging, also am 14. Februar 1945, fuhr der letzte Transport Hamburger Juden nach Theresienstadt ab“. René Senenko, aktiv in der Ohlsdorfer Geschichtswerkstatt Willi-Bredel-Gesellschaft, brachte es gegenüber dem Autor auf den Punkt: „Das Schicksal Hamburgs wurde nicht 1943 besiegelt, sondern 1933“.

5 Kommentare

  1. Dies alles ist keineswegs nur „Geschichte“.
    Ein aktuelles Beispiel: Insbesondere organisierter Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus bleibt eine große Gefahr für die Demokratie. Ãœber den Präsidenten des Fußballvereins von Wismut Gera, Lars Weber, „nebenbei“ Kampfsportler, berichtet die ZEIT in der aktuellen Ausgabe: „Der Fußballpräsident mit den Nazi-Codes“. Der gewählten Vorsitzenden von Wismut spielt öffentlich mit Nazi-Symbolik spielt. Sogar ein Gericht bescheinigt ihm, dass er den Rechten nahe steht:
    http://www.zeit.de/sport/2013-09/wismut-gera-lars-weber-rechtsextrem

  2. http://www.zeit.de/1989/39/freud-der-mann-moses-und-der-antisemitismus/seite-3

    Die Überwindung der Ambivalenz zugunsten einer realistischen Sicht, zugunsten einer Integration von Gut und Böse, so ließe sich (..) das Ziel dessen umschreiben, was der vielfach zitierte und noch öfter mißbrauchte, in Sonntagsreden zu Schanden gesprochene Freudsche Terminus „Trauerarbeit“ meint.

    Im Falle der Deutschen könnte der Beginn von Trauerarbeit nur bedeuten, daß sie zunächst einmal emotional nacherlebten, wie sehr sie einst, bei aller heute bekundeten Abscheu, Hitler – und sei es auf eine ganz und gar narzißtische, selbstzerstörerische Weise – liebten. Denn nur was geliebt worden ist, kann betrauert werden; das ist jedenfalls der Sinn des Konzepts „Trauerarbeit“. Wir heute hier oben – und Hitler dort unten, gestern … Eine solch verrückte Spaltung der deutschen Geschichte und Identität widerspricht jeder möglichen Form von Trauerarbeit.

    Wenn Trauerarbeit nicht gelingt, bleibt nach Auffassung Freuds nur der Ausweg in die pathologische Trauer, nämlich in die Depressivität als Zeichen einer nach dem Verlust (im deutschen Falle: nach dem Verlust aller narzißtisch motivierten Ideale, die an den „Führer“ und seine ideologischen Versprechungen gebunden waren) nicht mehr wiederherzustellenden Identität. Solange das Objekt, um das getrauert werden müßte (im deutschen Falle: um Hitler oder um das, was er für die Deutschen verkörperte), nicht als Bestandteil der eigenen (historischen) Identität anerkannt werden kann, bleibt es bei der pathologischen Trauer. Deren Depressivität kann phasenweise durch die manische Wut, alles „neu“ aufzubauen, abgewehrt, aber eben nicht überwunden werden.

    Zu unterscheiden von Trauerarbeit im hier skizzierten Freudschen Sinne wäre die Aufarbeitung von Scham- und Schuldgefühlen wegen mörderischer Taten, die im Namen aller Deutschen begangen worden sind, also unverbrüchlich zur deutschen Geschichte gehören. Aber auch hierbei kommt es darauf an, ob die Mahner dem Geiste Freuds folgen wollen, also an echter Therapeutik interessiert sind; oder ob sie die peinigenden Affekte, um die es geht, unversöhnt lassen wollen. Aus aller psychoanalytischen Erfahrung im Umgang mit individuellen Affekten der Schuld und der Scham weiß man, daß gerade diese Affekte als unversöhnte erneut mörderische Destruktivität freisetzen können, wenn nur die Umstände „günstig“ erscheinen, sich auf diese Weise zu entlasten (ohne sich dabei tatsächlich zu befreien).

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